Rechtsgutachten: Gesetzliche Regelungen sind unzureichend, um Missstände in der Milchviehhaltung zu beheben

Ein jetzt von Greenpeace veröffentlichtes Rechtsgutachten zeigt, dass in der Milchviehhaltung häufig gegen den gesetzlichen Tierschutz verstoßen wird, und bemängelt, dass bisher Mindestanforderungen, die die Haltung von Milchkühen gesetzlich regeln, fehlen. Greenpeace fordert Landwirtschaftsminister Cem Özdemir auf, das Tierschutzgesetz und die Haltungsverordnung zu überarbeiten. Für die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) greift das einseitige Setzen auf das Ordnungsrecht „deutlich zu kurz“.

„Deutschland braucht dringend eine klare Rechtsvorschrift, wie die Millionen Milchkühe hier gehalten werden dürfen. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir muss dazu einen Vorschlag für nationale Mindestvorgaben vorlegen. Milchkühe ganzjährig anzubinden und die Hornanlagen bei Kälbern ohne Schmerz- und Betäubungsmittel auszubrennen, gehört umgehend verboten“, erklärt Martin Hofstetter, Landwirtschaftsexperte bei Greenpeace.

Die einseitige Zucht auf maximale Milchleistung belaste die Gesundheit vieler Kühe und führe häufig zu Stoffwechselstörungen, Unfruchtbarkeit, Euterentzündungen und Klauenkrankheiten. Dies betrifft laut Greenpeace besonders die in Deutschland weit verbreitete, auf hohe Milchleistung spezialisierte Rinderrasse Holstein Friesian. Anstatt die Ursache der Krankheiten, die leistungsbedingte Überforderung der Tiere zu bekämpfen, werde jedoch versucht, die Krankheiten mit Infusionen, Antibiotika und Hormonen klein zu halten. Trotz häufiger Behandlungen werden Milchkühe in Deutschland jedoch nur vier bis fünf Jahre alt. Die natürliche Lebenserwartung von Kühen liegt bei 15 bis 20 Jahren.

„Die angezüchtete hohe Milchleistung bringt derartige starke und häufige Beeinträchtigungen der Gesundheit mit sich, dass dies bei Hochleistungskühen qualzüchterische Ausmaße annimmt. Es bedarf daher dringend konkreter Regelungen, wann bei Milchkühen von Qualzucht im Sinne des Tierschutzgesetzes auszugehen ist. Der Gesetz- bzw. Verordnungsgeber ist verpflichtet, dem Staatsziel Tierschutz aus Art 20a GG Rechnung zu tragen“, erklärt Rechtsanwältin Dr. Davina Bruhn, Mitverfasserin des Rechtsgutachtens.

In Deutschland werden rund 3,8 Mio. Milchkühe gehalten, die insgesamt 33 Mrd. Liter Milch im Jahr erzeugen. Laut Milchindustrieverband ist die durchschnittliche Milchleistung der Kühe in den vergangenen Jahren stark gestiegen und liegt heute im Durchschnitt bei 8.500 Litern Rohmilch pro Tier und Jahr. Eine Greenpeace-Analyse hat gezeigt, dass nur noch knapp ein Drittel der Milchkühe im Sommer überhaupt auf die Weide kommt. In den Stallanlagen sind aus Kostengründen häufig zu geringe Liege- und Fressbereiche und der Bewegungsspielraum eingeschränkt, so dass die Tiere sich nicht artgerecht verhalten können.

Ilchmann: Nötig ist Mix aus Ordnungs- und Förderrecht

Eine zunehmende Intensivierung in der Milchviehhaltung sieht auch Ottmar Ilchmann, selbst Milchbauer und Vorsitzender der AbL in Niedersachsen. „Diesem Trend nun durch eine einseitige Anhebung des Ordnungsrechtes begegnen zu wollen, greift aus meiner Sicht aber deutlich zu kurz. Nötig ist stattdessen eine Gesamtstrategie mit einem langfristig planbaren Mix aus Ordnungs- und Förderrecht, wie er zum Beispiel von der Borchert-Kommission für den Bereich der Schweinehaltung vorgeschlagen wurde“, erklärt Ilchmann.

Nicht zuletzt müssten endlich Marktregeln geschaffen werden, die es den Milchviehaltern ermöglichen, auf dem Markt gerechte Preise zu erzielen. Eine Möglichkeit dazu wäre die Umsetzung des Artikels 148 der gemeinsamen europäischen Marktordnung. „Denn ohne langfristige wirtschaftliche Perspektive werden viele Betriebe nicht ihre Haltungsbedingungen verbessern, sondern aus der Milchviehhaltung aussteigen“, mahnt Ilchmann.

Wosnitza: Verhalten des Bauernverbandes nicht nachvollziehbar

Für  Kirsten Wosnitza, Milchbäuerin und AbL-Vertreterin in Schleswig-Holstein, ist nicht zuletzt auch aufgrund des Verhaltens des Bauernverbandes viel Zeit verloren gegangen, um vielfältige und zukunftsfähige Betriebsstrukturen aufzubauen. Seit Jahren werde darüber diskutiert, ob und wann die Anbindehaltung von Kühen auslaufen bzw. verboten wird. „Die ökologisch wirtschaftenden Betriebe haben sich schon entschieden. In Dänemark und Österreich ist das Aus der ganzjährigen Anbindehaltung längst beschlossen. Es ist einfach nur traurig für die betroffenen Bauern und ihre Kühe, dass nicht längst mit voller Kraft von Seiten der Bauern und der Politik an guten Umbau-Lösungen gearbeitet wurde. Nun wird die Keule des Ordnungsrechts zuschlagen, ähnlich wie bei der Düngeverordnung“, erklärt Wosnitza. Die Gegenwehr des Berufsstands werde auch hier auf großes Unverständnis bei den Verbrauchern stoßen. „Zu Recht. Auch aus unternehmerischer Sicht ist das Verhalten des Bauernverbandes und seiner Mitglieder in Sachen Anbindehaltung nicht nachzuvollziehen. Wie schon so oft wird versucht, auszureizen was geht, um Zeit herauszuschinden. Dass dabei das Image der Milchbauern stark beschädigt wird, ist genauso schlimm wie der Verlust wertvoller Zeit, die man dazu hätte nutzen können und müssen, mit aller Kraft Politik und Gesellschaft in die Pflicht zu nehmen, sich am Umbau der Tierhaltung zu beteiligen. So hätten vielfältige und zukunftsfähige Betriebsstrukturen geschaffen werden können“, erklärt die AbL-Vertreterin und mutmaßt: „Aber vielleicht wollte man das gar nicht? Vielleicht hat man auf das Auslaufen dieser kleinen Betriebe gesetzt, um den Weg (und das Pachtland) für große Strukturen frei zu machen.“

05.04.2023
Von: FebL/PM

Das im Auftrag von Greenpeace erstellte Rechtsgutachten.