Özdemirs Vorschlag bringt Tierwohl nicht voran und bietet keine Perspektiven für Betriebe

Ganz in der Logik der bereits Anfang Juni vom Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) vorgestellten „Eckpunkte zur Einführung einer verpflichtenden staatlichen Tierhaltungskennzeichnung“ hat das Ministerium jetzt den „Entwurf eines Gesetzes zur Kennzeichnung von Lebensmitteln mit der Haltungsform der Tiere, von denen sie gewonnen wurden“ (Tierhaltungskennzeichnungsgesetz - TierHaltKennzG) vorgelegt. Der Referentenentwurf nimmt nach Ansicht der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) weder die Breite der tierhaltenden Betriebe beim Umbau mit, noch bekommt die Verbraucherschaft Lebensmittel mit deutlich mehr Tierwohl auf den Teller. Die Pläne, die die Borchert-Kommission als branchenübergreifenden Konsens entwickelt hatte, seien viel weiterreichender und zukunftsweisender. Sie müssten dringend in dem Gesetz aufgegriffen werden, fordert die AbL. Für die Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands (ISN) bietet der Entwurf „zu viele Schlupflöcher für Preisdrücker“ und der Tierschutzbund spricht von einer vertanen Chance.

Die Kennzeichnung ist laut Entwurf zunächst für frisches Schweinefleisch vorgesehen, das über den Lebensmitteleinzelhandel, Fleischereifachgeschäfte und den Onlinehandel vermarktet wird. Die Außer-Haus-Verpflegung wird nicht berücksichtigt. Importe von Schweinefleisch können freiwillig an dem deutschen Kennzeichnungssystem teilnehmen, werden dazu nicht verpflichtet. Maßgeblich für die Kennzeichnung soll die Haltungsform während der Mast sein, die Sauenhaltung bleibt außen vor. Die Pläne des Agrarressorts sehen die fünf Haltungsformen „Stall“, „Stall+Platz“, „Frischluftstall“, „Auslauf/Freiland“ sowie „Bio“ vor. Die Haltungsform „Stall“ entspricht den gesetzlichen Mindestanforderungen. Die Anforderungen der Haltungsform „Stall+Platz“ sollen ohne Umbauten erfüllt werden können. Vorgesehen ist ein höheres Platzangebot und ein Angebot aus Trennwänden, unterschiedliche Ebenen oder verschiedenen Temperatur- und Lichtbereichen. Die Haltungsform „Frischluftstall“ sieht einen dauerhaften Kontakt zum Außenklima vor und deutlich mehr Platz als gesetzlich vorgeschrieben. Bei der Haltungsform „Auslauf/Freiland“ sollen die Tiere mindestens acht Stunden im Freien ohne festes Stallgebäude gehalten werden, zusätzlich mindestens 86 % mehr Platz haben. Voraussetzung für die Haltungsform „Bio“ sind die Anforderungen der EU-Ökoverordnung.

AbL: Sauenhaltung einbinden, um Verbrauchertäuschung zu verhindern

Für die AbL bringt der Vorschlag das Tierwohl nicht voran und bietet keine Perspektiven für die Betriebe. „Wir Bäuerinnen und Bauern wollen Tierwohl verbessern. Aber mit diesem Gesetzentwurf bekommen wir keine Grundlage dafür. Damit werden wir nicht das Ziel einer gesellschaftlich akzeptierten Tierhaltung erreichen. Die Frage des Kupierens der Schweineschwänze oder Stroh als Einstreu- und Beschäftigungsmaterial sollen beispielsweise keine Rolle spielen. Das heißt, die Tiere können – auch in den höheren Stufen einer Tierhaltungskennzeichnung – auf Vollspalten stehen. Zudem ist in dem Gesetzentwurf nur die Schweinemast berücksichtigt nicht aber die Sauenhaltung. Damit ist fast die Hälfte des Schweinelebens von der Kennzeichnung ausgenommen. Aber den Verbraucher:innen wird mit dem Label auf dem Endprodukt suggeriert, das Tier wäre von der Geburt bis zur Schlachtung in der entsprechenden Haltungsform gehalten worden. Um Verbrauchertäuschung zu vermeiden, muss die Sauenhaltung umgehend eingebunden werden. Außerdem fordern wir Özdemir auf, neben Platz noch weitere Tierwohlkriterien aufzunehmen. Die Borchert-Kommission hat dafür eine gute Grundlage erarbeitet“, erklärt der AbL-Vorsitzende Martin.

Die AbL kritisiert, dass Betriebe, die nach der EU-Bio-Richtlinie wirtschaften, automatisch in die höchste Stufe der Tierhaltungskennzeichnung eingeordnet werden sollen, obwohl Programme wie Neuland oder Tierschutzlabel zum Teil mehr Tierwohl bringen. „Diese konventionellen Programme können die höchste Kennzeichnungsstufe nicht erreichen. Es ist zu befürchten, dass sie durch die Benachteiligung in der Labeleinstufung über kurz oder lang vom Markt gedrängt werden. Die Finanzierung der höheren Kosten für die tierhaltenden Betriebe ist absolut unzureichend geklärt. Die AbL fordert, die vorhandene eine Milliarde Euro für die Betriebe mittels Verträge langfristig und verbindlich einzusetzen und damit neben Investitionskosten auch laufende Kosten zu bezahlen. So ausgestaltet wäre das zumindest ein guter Einstieg für eine notwendige umfängliche Finanzierung nach den Borchert-Plänen", so Schulz.

ISN: Schlupflöcher ermöglichen Unterwanderung der Wettbewerbsfähigkeit der hiesigen Schweinehalter

„Wir können es nur wiederholen: Wenn das Kennzeichen wie angekündigt kommt, bleibt es eine abgespeckte Light-Version, die zentrale Bereiche wie den Außer-Haus-Verzehr ausspart“, kommentiert die ISN den Entwurf. Die ISN habe von Anfang an kritisiert, dass die staatliche Haltungskennzeichnung, so wie sie vorgestellt wurde und nun im Gesetzentwurf steht, lediglich genau für die Absatzwege und Fleischprodukte verpflichtend wird, die mit wenigen Ausnahmen so oder so bereits über die Haltungsform des Handels gekennzeichnet seien. Die nach Ansicht der ISN Schlupflöcher, die Großhandel, Außer-Haus-Verzehr, Verarbeitungsprodukte und auch Importware über zu lange Zeit gewährt werden, unterwandern die Wettbewerbsfähigkeit der hiesigen Schweinehalter. Daran habe sich inhaltlich nichts getan – scheinbar haben, so die ISN, die zahlreichen Gespräche zwischen dem Bundeslandwirtschaftsministerium und den Lebensmittelhändlern gefruchtet.

Beim Blick auf den Gesetzentwurf werde das Problem mit nicht gekennzeichneter Ware, sprich EU-Ware, besonders deutlich. Denn schon jetzt verhandeln nach Ansicht der ISN ALDI und die Nachahmer im deutschen Lebensmitteleinzelhandel beim Basispreis für Schweinefleischprodukte auf Weltmarktpreisniveau. Deutsche Schweinehalter könnten aber nicht einmal auf europäischem Preisniveau produzieren. Mit der nicht gekennzeichneten EU-Ware und den möglicherweise nicht unerheblichen ‚nicht kennzeichnungspflichtigen Anteilen‘ in gekennzeichneten Fleisch- und Wurstwaren könne der Basispreis vom Handel dann zukünftig munter weiter gedrückt werden. Wie sollen sich für Schweinehalter dann akzeptable Preise bzw. gewinnbringende Erlöse erzielen lassen, mahnt ISN-Geschäftsführer Dr. Torsten Staack an. Gegen temporäre verkaufsfördernde Preisaktionen im Lebensmitteleinzelhandel sei nichts zu sagen – aber wenn der Handel trotz Haltungskennzeichnung den Freifahrtschein haben wird, mit EU-Ware Druck auf die Basisnotierung auszuüben, sei das ein Schlag in das Gesicht der deutschen Schweinehalter, kritisiert Staack deutlich. „Die genannten Probleme dürfen von Bundeslandwirtschaftsminister Özdemir nicht ignoriert werden. Noch liegt das Gesetz nicht in einem offiziellen Entwurf vor und kann entsprechend angepasst werden. Wir fordern deshalb, dass der Minister die Schlupflöcher schließt, und mit der verpflichtenden Herkunftskennzeichnung zumindest national für alle Schweinefleischprodukte in allen Absatzkanälen startet. Importware, die möglicherweise zu geringeren als den deutschen Standards erzeugt wird, darf sich nicht in den gekennzeichneten Produkten verstecken lassen. Das muss schnellstens abgestellt und darf nicht von Brüssel auf die lange Bank geschoben werden“, heißt es seitens der ISN.

Tierschutzbund: Eine Chance wird vertan

„Wir begrüßen die Verbindlichkeit. Festzuhalten bleibt aber ganz sachlich: Aus einem geplanten Tierwohlkennzeichen ist ein Tierhaltungskennzeichen geworden,“ kommentiert Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbunds, den Entwurf. Statt dem Verbraucher Transparenz über die gesamte Lebensspanne des Tieres zu bieten und aus Tierschutzsicht zu bewerten, werde nur die Form der Haltung dargestellt. „Ein Anreiz zur Verbesserung der Haltung ist nicht vorgesehen. So wird die Verantwortung für mehr Tierschutz wieder auf den Verbraucher abgeschoben, das Ordnungsrecht bleibt unverändert. Damit wird eine Chance vertan“, so Schröder. Die gesellschaftliche Mehrheit für ein schärferes Ordnungsrecht, kombiniert mit Anreizsystemen wäre nach Ansicht des Tierschutzbundes da. „Wenn die FDP bei ihrer Förderblockadepolitik bleibt, wird zudem kaum ein Landwirt freiwillig seine Haltungssysteme umstellen können. Die FDP verweigert damit die Chance, die landwirtschaftliche Tierhaltung in Deutschland zukunftsfähig zu machen und den Anforderungen der Gesellschaft an mehr Tierschutz im Stall anzupassen.

Das Mindeste, was wir erwarten ist, dass im weiteren Verfahren klargestellt wird, dass die Stufe „Stall“ ein Ablaufdatum erhält, die Kriterien für alle Stufen angehoben und auf Transport und Schlachtung ausgeweitet werden. Zudem braucht es Klarheit, wie ein aus unserer Sicht notwendiges engmaschiges Kontrollsystem aussehen wird und wie dann der Vollzug seitens der Länder sichergestellt wird“, fordert der Tierschutzbund-Präsident.

Das neue Logo

Optisch soll das Kennzeichen ein schlichtes Rechteck werden (siehe nebenstehend). Auf dessen rechten Seite ist ein QR-Code abgebildet, über den die Verbraucher:innen weitere Informationen erhalten können. Damit erkennbar wird, aus welcher Haltungsform das Fleisch kommt, sollen auf der linken Seite des Labels alle fünf Stufen – Bio, Auslauf/Freiland, Frischluftstall, Stall+Platz und Stall – in absteigender Reihenfolge aufgelistet werden. Daneben jeweils ein Feld, das bei der entsprechenden Haltungsform schwarz unterlegt ist.

Für den Fall, dass z.B. bei weiterverarbeiteter Ware wie Hackfleisch oder Gulasch, das Fleisch aus unterschiedlichen Haltungsformen kommt, soll im Feld neben den Stufen jeweils der Anteil der Haltungsform an der Ware mit Hilfe einer Prozentzahl dargestellt werden. So sollen die Verbraucher:innen auf einen Blick erkennen können, wie viel Fleisch aus welcher Haltungsform stammt.

 

03.08.2022
Von: FebL/PM

Der Vorschlag des BMEL für das neue Tierhaltungskennzeichen.