Gemeinsam in längerfristige, transparentere Geschäftsbeziehungen treten und die Kosten der Milchviehbetriebe einbringen.
Ab Oktober 2024 soll es in Deutschland bei der Rewe-Tochter Penny eine faire Milch geben – auf Grundlage eines sogenannten Drei-Parteien-Vertrages, der zudem den Preis der Milch von den Produktionskosten der Milcherzeuger ableitet. Mit den drei Parteien sind die verschiedenen Akteure der Wertschöpfungskette bis zum Supermarktregal gemeint: Milcherzeuger, verarbeitende Molkerei und Lebensmitteleinzelhandel (LEH). Maßgeblich mit an der Vorbereitung dieses kooperativen Ansatzes beteiligt war Elmar Hannen, Milchbauer am Niederrhein und Vorstandsmitglied des EMB (European Milk Board): „Das Modell haben wir von den Franzosen abgeguckt, die solche Verträge schon seit längerem nutzen.“ Das Bahnbrechende am aktuellen Vertragsabschluss: Die Milchviehhalter:innen haben als Datenbasis für die Preisgestaltung und -anpassung die Milchkostenerhebung des Büros für Agrarsoziologie und Landwirtschaft (BAL) durchgesetzt, die im Auftrag der MEG Milch Board vierteljährlich aktualisiert wird. Weitere Verträge in anderen Produktbereichen sind geplant, einer für Schweinefleisch ist vor kurzem ebenfalls abgeschlossen worden.
Regeln für Verträge
Ausgangspunkt waren die Ergebnisse des branchenweiten Agrardialogs Milch, der jedoch nicht fortgeführt wurde. Allein der LEHler Rewe signalisierte Interesse, am Konzept des Drei-Parteien-Vertrages weiterzuarbeiten. Es wurde eigens ein Kompetenzzentrum Landwirtschaft eingerichtet, Hannen wurde Mitglied der AG Milch: „Mit dabei sind Kaufleute von Rewe, Fachleute zum Tierwohl, Vertreter von Umweltverbänden und Ministeriumsmitarbeiter.“ Rewe ließ vorhandene französische Drei-Parteien-Verträge, die ihr Partnerunternehmen E.Leclerc mit abgeschlossen hat, übersetzen und juristisch geprüft auf deutsche Verhältnisse anpassen. Die genauen Vertragsinhalte sind vertraulich. „Die grundsätzlichen Regeln, was bei den Verträgen berücksichtigt werden soll, stammen noch aus dem Agrardialog“, erklärt Hannen. So ist eine gewisse Langfristigkeit vorgesehen mit Vertragslaufzeiten von mindestens zwei Jahren, öfter drei und im Fleischbereich eher fünf Jahren. Für mehr Transparenz bei der Preisbildung sollen sich die Parteien auf Mechanismen wie vorhandene Notierungen oder Branchenindizes einigen und die gewählten Indikatoren vertraglich festhalten. Dazu gehört auch ein zeitlich festgelegter Anpassungsautomatismus halbjährlich oder öfter, um unerwartete Schwankungen auszugleichen. Außerdem sind Mengen festzulegen, eventuell mit Plus-minus-Abweichungen bis zu 20 Prozent. Gedacht ist dies als Abnahmegarantie für die Bäuerinnen und Bauern. Hinzu können besondere Qualitätsanforderungen kommen, deren Mehrwert in vorab festgelegter Höhe preislich honoriert werden muss.
Ein Marktsignal
Milchbauer Hannen beschreibt das Ganze als Pilotprojekt, das zeigen soll, dass der Milchpreis durchaus von unten her kalkuliert werden kann. Und: „Ein ganz wichtiger Effekt ist, dass wir so eine längerfristige Geschäftsbeziehung gründen. Das sind auch die Infos aus Frankreich: Der Kontakt wird viel intensiver, die Partner sind enger zusammengerückt und es wird über Probleme gesprochen und nicht einfach die Macht des Stärkeren ausgespielt.“ In Deutschland ist es ansonsten so, dass alle halbe Jahre die Lieferkontrakte für die sogenannte Weiße Linie, darunter Trinkmilch in zwei Fettstufen, Sahne und Quark aus Standardmilch, zwischen LEH und Verarbeitern abgeschlossen werden – mit dem Zuschlag für den billigsten Preis. Die Belange der Milcherzeuger:innen spielen da keine Rolle, sie bezeichnen sich an dieser Stelle selbst häufig als „Restgeldempfänger“. Anders soll die Zusammenarbeit der drei vertraglich miteinander verbundenen Parteien laufen: Der übergeordnete Vertrag hat eine Laufzeit von mehreren Jahren. Ein- bis zweimal pro Jahr sollen Gespräche über nötige Anpassungen geführt werden. Wichtige Punkte dabei: Wie ist die aktuelle Kostenentwicklung? Wie hoch ist der Aufwand für die gesetzten Qualitätsanforderungen an die Milcherzeugung?
Verhandeln neu lernen
Die Verhandlungen haben letztlich eine ganze Weile gedauert. Grund dafür war auch, dass alle Beteiligten zunächst lernen mussten, miteinander fair zu handeln, so Elmar Hannen: „Es brauchte das deutliche Bekenntnis aus dem Rewe-Vorstand von Chefeinkäufer Hans-Jürgen Moog zu dieser Art der Drei-Parteien-Verträge – deren Ziel entsprechend sollte in jedem Bereich ein Projekt umgesetzt werden, so seine Vorgabe. Die Einkäufer von Rewe sind ansonsten darauf aus, günstig einzukaufen und teuer zu verkaufen – und versuchen dabei möglichst viele Anforderungen ohne Aufpreis mit ins Paket zu packen.“ Die Verarbeiter im Bunde sind mehrere, die deutschlandweit verteilt jeweils die Milch im entsprechenden Standard als Qualitätsschiene im Portfolio haben und für die Marke abfüllen. In Nordrhein-Westfalen sind dies z. B. die Molkereien Gropper mit ihrer Tochtergesellschaft Moers Frischeprodukte und Naarmann. Als Erzeuger sind bundesweit mehr als 100 Landwirt:innen beteiligt, die über die Genossenschaft „Fair Food eG“ zusammengeschlossen sind. Sie erfüllen die entsprechenden Standards, betreiben eine flächengebundene Tierhaltung, füttern gentechnikfrei, kaufen keine Futtermittel aus Übersee und setzen Tierwohl- und Umweltmaßnahmen um. Sie sind die Programmteilnehmer und Gesichter der neuen fairen Milchmarke und beteiligen sich aktiv an der Bewerbung. Ihre Milch ist nicht zwangsläufig selbst in der Milchtüte, aber die Genossenschaft dient als Vermittler in dem Vertragskonstrukt: Sie kauft die Milchprodukte aus der entsprechenden Qualitätsschiene der Verarbeiter, kalkuliert den vertraglich vereinbarten Milchpreis mit ein und verkauft dementsprechend höherpreisig an die Rewe-Gruppe. Von dem Mehrwert, der mit dem Produkt erzielt wird, profitieren die beteiligten Milcherzeuger, in dem der Gewinn anteilig an sie ausgeschüttet wird.
Lernen und beharrlich bleiben
„Ein Problem im Milchmarkt ist immer wieder die fehlende Transparenz“, betont Hannen. „Was ist die Ursache für schlechte Milchauszahlungspreise? Alle schieben da die Verantwortung weiter. Die Verarbeiter weisen auf den Handel, der wiederum sagt, schaut doch mal, was dazwischen läuft.“ Bisher sind von den Verarbeitungsunternehmen keine Zahlen öffentlich. Sie sind zudem sehr unterschiedlich aufgestellt, haben verschiedene Absatzschienen und einen Mix an Verwertungen. Der Absatz über den LEH ist, wenn überhaupt, nur ein Teil. Die Drei-Parteien-Verträge bieten zumindest in diesem Bereich eine Lösungsmöglichkeit, wenn sie im Sinne der Erzeuger abgeschlossen werden können. Der verhandlungserfahrene und europaweit vernetzte Milchbauer Elmar Hannen betont: „Wir brauchen gute Verträge. Die Preisanpassung ist dabei der Knackpunkt. Da müssen wir als Erzeuger genau hinschauen. Und alle Beteiligten brauchen den Willen, am Tisch sitzen zu bleiben und die Sache bis zum Ende durchzudiskutieren. In Frankreich waren zuerst alle Milcherzeuger euphorisch – jetzt haben sie dort verschiedene Erfahrungen gemacht und berichten über die negativen Seiten, über das, was schieflaufen kann. Daraus wollten wir lernen.“