Naturschutz fordert mehr Fläche und hat konkrete Anforderungen an die Landwirtschaft

Anlässlich des 36. Deutschen Naturschutztages (DNT) in Hannover wurde die „Hannoversche Erklärung“ an Bundesumweltministerin Steffi Lemke übergeben. In der Erklärung, an der alle 1.000 DNT-Teilnehmenden mitwirken konnten, fordern die Beteiligten die Politik auf, zukünftig einen stärkeren Fokus auf die Biodiversitätskrise zu legen und die notwendige Transformation von Wirtschaft und Infrastruktur in eine klimaneutrale Gesellschaft nicht als Hindernis, sondern als Chance für mehr Naturschutz zu begreifen. In der Erklärung werden unter der Überschrift „Landnutzung naturverträglich gestalten“ auch konkrete Anforderungen an die Landwirtschaft gestellt.

In der Erklärung mahnen die Unterstützer*innen, dass die Biodiversitätskrise mindestens so existenzbedrohend wie die Klimakrise und untrennbar mit ihr verbunden sei. Vor dem Hintergrund der Energie- und Verkehrswende sowie der industriellen Transformation werde sich der Druck auf die Natur und auf die biologische Vielfalt in Zukunft zudem noch weiter erhöhen. Daher müsse es zukünftig darum gehen, den Zustand der Natur dauerhaft und qualitativ auf zusätzlichen Flächen zu verbessern und Eingriffe in Natur und Landschaft konsequent unter der Prämisse eines Verbesserungsgebots umzusetzen, anstatt bloß einen Ausgleich herzustellen.

Heute gelte es mehr als je zuvor, Synergieeffekte mit Zielen aus dem Klimaschutz und der Klimaanpassung zu nutzen. Ein effektiver Naturschutz sowie eine naturverträgliche Landnutzungspolitik seien zentrale Elemente für einen natürlichen Klimaschutz und dieser könne gleichzeitig helfen, die Biodiversitätskrise zu entschärfen. Daher fordern die Unterstützer*innen der Erklärung unter anderem anspruchsvolle ökologische Mindeststandards in der Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft, den Abbau aller biodiversitätsschädigenden Subventionen, eine echte Offensive für die biologische Vielfalt sowie eine Energiewende im Einklang mit dem Natur- und Artenschutz. Nicht zuletzt müsse auch die Naturschutzfinanzierung neu ausgerichtet werden.

Florian Schöne, Geschäftsführer des Umweltdachverbands Deutscher Naturschutzring (DNR), einer der DNT-Ausrichter, erklärt: „Naturschutz braucht mehr Fläche und Qualität. Die Rahmenbedingungen müssen künftig so gestaltet sein, dass vorrangig naturverträgliche Landnutzung unterstützt und gefördert wird. Erforderlich sind anspruchsvolle ökologische Mindeststandards in der Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft sowie die Schaffung eines Mindestflächenanteils von zehn Prozent für Landschaftselemente, Saumstrukturen oder Brachen. Auch die Düngepolitik und die Pestizidzulassung müssen sich künftig am Schutz der Biodiversität orientieren. Eine naturverträgliche Landnutzungspolitik und eine konsequente Ausrichtung aller Fördermittel an ökologischen Leistungen sind entscheidend für die Erhaltung unserer natürlichen Lebensgrundlagen.“

Und Steffi Lemke, Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz sagte auf dem Deutschen Naturschutztag: „Das Motto des 36. Deutschen Naturschutztags „Naturschutz jetzt!“ ist zeitlos, in diesen Tagen aber wieder besonders wichtig: als Mahnung dafür, dass der Naturschutz auch im Kontext der „Zeitenwende“ nicht ins Hintertreffen geraten darf. Es gilt weiterhin: Diese Bundesregierung ist angetreten, den Naturschutz in Deutschland voran zu bringen. Die sozial-ökologische Transformation ist ihr zentrales Projekt. Ein wichtiges Element ist dabei, die Natur dort wirksam zu schützen, wo sie noch intakt ist und dort wiederherzustellen, wo sie geschädigt ist. Dafür setze ich mich ein, etwa mit dem Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz. Es geht darum, Synergien zwischen Natur- und Klimaschutz zu erschließen und Moore, Auen, Wälder und Grünland, marine und Küsten-Ökosysteme zu schützen, zu stärken oder wiederherzustellen. Denn gesunde Ökosysteme sind Teil der Lösung.“

Landnutzung naturverträglich gestalten

Unter der Überschrift „Landnutzung naturverträglich gestalten“ fordert der Naturschutz in der Erklärung konkret:
- Einführung von wirksamen ökologischen Mindeststandards für die landwirtschaftliche Nutzung. Auch notwendige Anpassungen in Folge des Klimawandels (z.B. Auswirkungen auf den Landschaftswasserhaushalt, Stärkung der Resilienz von Biotopen und des Biotopverbunds) müssen hierbei berücksichtigt werden. Dies soll für die Forst- und Fischereiwirtschaft entsprechend gelten.
- Schaffung eines Mindestflächenanteils von 10 % für Landschaftselemente, Saumstrukturen und nichtproduktive Flächen in der Offenlandschaft, wie es auch die Zukunftskommission Landwirtschaft empfiehlt.
- Verbot der Zulassung, Produktion und Anwendung von besonders biodiversitätsgefährdenden Pestiziden.
- Ausschluss der Anwendung von Pestiziden in Schutzgebieten und Schaffung eines ambitionierten nationalen Pflanzenschutz-Reduktionsplans, der die Einsatzmengen und Risiken durch Pestizide vermindert. Der Reduktionsplan muss mit messbaren Zwischenzielen und verbesserten Monitoringprogrammen ausgestattet sein, konkrete Grenzwerte festlegen und durch eine Pestizidabgabe flankiert werden.
- Ordnungsrechtliche Sicherung des artenreichen Dauergrünlands in Kombination mit gezielten Fördermaßnahmen für die Landbewirtschaftung.
- Neuausrichtung der Düngepolitik an den ökosystemaren Grenzen und den Vorgaben des Gewässerschutzes, um die flächendeckende Gefährdung des Grund- und Trinkwassers und den anhaltenden Verlust nährstoffarmer Lebensraumtypen durch Eutrophierung wirksam einzudämmen. Hierzu gehört auch die Einführung marktwirtschaftlicher Instrumente wie eine Stickstoffüberschussabgabe.
- Konsequente Ausrichtung der künftigen Agrarförderung an ökologischen Leistungen. Der Ausstieg aus den pauschalen Direktzahlungen muss bis zum Beginn der nächsten EU-Förderperiode erfolgen und kann z.B. durch das Modell der Gemeinwohlprämie abgelöst werden. Schon bei der anstehenden Überprüfung der nationalen Umsetzung der EU-Agrarpolitik (GAP) müssen weitere Handlungsspielräume für eine gezielte Stärkung ökologischer Leistungen genutzt werden. Dazu gehört die Sicherstellung von mindestens 10 % nicht-produktiven Flächen, das Angebot weiterer naturschutzfachlich wirksamer und finanziell attraktiver Öko-Regelungen sowie die maximal mögliche Umschichtung von Mitteln aus der ersten in die zweite Säule.
- Ergänzung der landwirtschaftlichen Ausbildung um Inhalte des Schutzes und der Entwicklung der biologischen Vielfalt sowie des Klimaschutzes und der Klimaanpassung.
- Verbesserung der Kooperation und Kommunikation mit der Landwirtschaft, auch auf überbetrieblicher Ebene, und Ausbau der Biodiversitätsberatung.

05.07.2022
Von: FebL/PM

Titelseite der Hannoverschen Erklärung.