Das Töten männlicher Küken ist ein großes ethisches Problem. Allein in Deutschland wurden bisher jedes Jahr etwa 45 Millionen männliche Hühnerküken kurz nach dem Schlüpfen getötet. Die weiblichen entwickeln sich zu Legehennen. Für die Mast werden andere Linien verwendet, die auf schnelle Zunahmen gezüchtet worden sind.
Am 1. Januar 2022 traten Veränderungen im Tierschutzgesetz in Kraft: Kein Eintagsküken darf mehr wegen seines Geschlechts getötet werden. Eine Lösung ist die Bestimmung des Geschlechts im Brutei. Dazu wurden endokrinologische (Nachweis über Hormone oder DNA) und spektroskopische (Streuung des Lichts) Verfahren, sowie ein Verfahren mittels Kernspintomografie (MRT) entwickelt. Diese Methoden stehen an der Schwelle zur Serienreife. Praxistauglich sind derzeit solche Verfahren, die ab dem neunten Tag Ergebnisse liefern. Es wird davon ausgegangen, dass der Embryo ab dem siebten Tag bereits über gewisse Empfindungsfähigkeiten verfügt. Ab 2024 sollen Methoden verboten werden, mit denen bereits im Ei entwickelte, männliche Embryonen nach dem sechsten Bruttag getötet werden. Das setzt die Branche weiter unter Druck. Alternative Lösungen sind die Aufzucht von Bruderhähnen und die Rückkehr zum Zweinutzungshuhn.
CRISPR-Hennen
Auch die Biotechnologiebranche sucht nach Lösungen. Parallel forschten Wissenschaftler:innen aus Israel (Unternehmen EggXYt) und Australien (Unternehmen CSIRO) an einer Gentechnikmethode, mit der sich das Geschlecht im frühen Embryonalstadium bestimmen lässt. Die Verfahren wurden bereits zum Patent angemeldet.
Hennen besitzen zwei verschiedene Geschlechtschromosomen, ein weibliches und ein männliches (WZ). Hähne dagegen zwei gleiche männliche (ZZ). Somit bestimmen die weiblichen Hühner das Geschlecht des Nachwuchses. Laut Patentschrift wurde mittels eines neuen Gentechnikverfahrens (CRISPR/Cas) ein komplexes Genkonstrukt in das männliche Z-Chromosom der Mutterhennen eingefügt. Das Konstrukt besteht aus mehreren Genen – ein Gen reagiert auf UV-Licht und aktiviert so ein Lethalgen. Dieses Genkonstrukt wurde ins Z-Chromosom integriert. Männliche Küken erhalten ein Z-Chromosom von der Mutter (in diesem Fall aus dem GV-Huhn) und das andere Z-Chromosom aus dem normalen Hahn. Wird beim männlichen GV-Embryo über UV-Licht die Lethalfunktion aktiviert, stirbt dieser in einem frühen Stadium, sobald das Ei gelegt ist. Die weiblichen Tiere enthalten je ein Z- und ein W-Chromosom. Das Z-Chromosom stammt vom normalen Hahn und enthält kein Lethalgen. Ziel ist es, dass nur noch weibliche Küken schlüpfen, während die männlichen Embryonen absterben.
Das israelische Unternehmen NRS Poultry hat sein Verfahren beim Poultry Tech Summit Ende 2021 vorgestellt. Nun versuchen sie Hühnerzuchtunternehmen zu überzeugen, ihre CRISPR-Lösung zu integrieren. Parallel befragt die Firma mögliche Importländer, ob diese die Legehennen und auch deren Eier als GVO einstufen oder nicht. Laut NRS Poultry hat die EU-Kommission in einem Statement behauptet, dass Konsumeier und Legehennen, die mit dieser Technologie erzeugt wurden, nicht als Gentechnik eingestuft würden und dass diese sofort in allen EU-Mitgliedstaaten ohne Einschränkungen vermarktet werden könnten. EggXYt, ein Startup aus Israel, verfolgt einen ähnlichen Ansatz. Die Entwicklung des Verfahrens wurde mit 3,3 Millionen Euro aus dem EU-Forschungsprogramm Horizon 2020 gefördert. Sie rechnen laut der Plattform transgen.de bereits 2022 mit einem marktreifen Produkt. Auch hier müsste ein Zuchtunternehmen gefunden werden.
Gentechnik oder nicht?
Zu dieser heiklen Frage hat die AbL die EU-Kommission zu ihrer Einschätzung des rechtlichen Status der Legehennen befragt. Tatsächlich geht die Generaldirektion Gesundheit in einem Schreiben davon aus, dass die weiblichen Legehennen der Folgegeneration keine GVO seien, da das Transgen nur auf die männlichen Embryonen übertragen werde. Weder die Legehennen selbst noch die Eier seien als GVO einzustufen.
„Mit diesem Vorgehen würde die EU-Kommission von der bisherigen prozessbasierten Risikoprüfung und Bewertung unter der Hand zu einem produktbasierten Regime wechseln. Das wäre ein Präzedenzfall“, so Rechtsanwältin Katrin Brockmann aus Berlin. Im Zuchtprozess wurde das Gentechnikverfahren CRISPR/Cas eingesetzt. Entsprechend handelt es sich um gentechnisch veränderte Hühner und GV-Eier, die entsprechend der europäischen Gesetzeslage ein Zulassungsverfahren durchlaufen müssen, wenn Hersteller damit auf den europäischen Markt wollen, inklusive einer Risikountersuchung und Kennzeichnung.
Unterstützt wird diese Sichtweise von Christoph Then, Testbiotech. Anders als der Hersteller behauptet, sei nicht davon auszugehen, dass der Einsatz der CRISPR/Cas-Technologie nur zu den erwünschten Veränderungen auf einem bestimmten Chromosom führt. Studien an Zebrafischen wiesen große strukturelle Veränderungen durch CRISPR/Cas an sogenannten Nicht-Zielbereichen der DNA nach. Das bedeutet, dass CRISPR/Cas auch außerhalb der Zielregion spezifische unbeabsichtigte Mutationen auslösen kann. Solche unbeabsichtigte Veränderungen in Nicht-Zielregionen könnten noch bedenklicher sein als die in den Zielregionen, weil sie oft unentdeckt bleiben. Eine aktuelle Studie zeige, dass sich unbeabsichtigte Veränderungen, die von CRISPR/Cas verursacht wurden, auch vererben. Besonders überraschend war, dass es auch zu Abweichungen von den normalen Vererbungsregeln und zu ungewöhnlichen Mustern der Vererbung kommt. Then kommentiert: „Die Grundlagenforschung an Zebrafischen zeigt, dass bei Wirbeltieren durch CRISPR/Cas auch unbeabsichtigte Effekte ausgelöst werden, die nicht in der Zielregion oder nur auf einem bestimmten Chromosom liegen. Diese ungewollten genetischen Veränderungen werden auch auf nachfolgende Generationen vererbt. Deshalb müssen auch die Nachkommen, an die das Zielgen nicht vererbt werden soll, einer eingehenden Risikountersuchung unterzogen werden. Es reicht nicht aus, nur die beabsichtigten Eigenschaften der manipulierten Tiere zu bewerten. Dies gilt auch für die CRISPR-Hühner.“