Weiter als gedacht

Kommentar

Wer hätte das noch vor wenigen Monaten erwartet: Nach dem EU-Ministerrat und der EU-Kommission haben auch die deutschen Länderagrarminister den Weg freigemacht für eine freiwillige Reduzierung der Milchmenge auf Molkereiebene. Jetzt überschlagen sich Verbände und Politiker aller Couleur mit Vorschlägen zur Rettung der Milchbauern. Selbst Aussitz-Minister Schmidt will einen Milchgipfel einberufen, allerdings ohne Milchbauern und kritische Agrarminister, sondern nur mit den Verbänden, die die Krise verursacht haben. Sogar die Kanzlerin meldet sich zu Wort und kündigt Hilfen für Bauern an. Das Medienecho ist gewaltig, alle großen Tageszeitungen setzen das Thema Milch auf die Titelseiten. NGOs vom BUND bis zum Tierschutzbund stellen sich an unsere Seite. Die Verbraucher unterstützen uns ohnehin, fast jeder ist bereit, für Milch einen fairen Preis zu bezahlen. Der gesellschaftliche Rückenwind für die bäuerliche Landwirtschaft ist enorm. Das ist dem stetigen, zähen Kampf der Milchbauern für ihre Betriebe zu verdanken, wie jetzt gerade wieder bei der „Belagerung“ von Schmidts Wahlkreisbüro durch den BDM. Und was das Wichtigste ist: Auch die meisten Bauern kommen zu der Erkenntnis, dass weniger melken der einzige Weg ist, um schnell wieder zu besseren Preisen zu kommen; und sie sind dazu bereit und in der Lage. So weit, so gut! Aber was machen die Molkereien? Statt dem Handel in den anstehenden Verhandlungen über die Trinkmilchpreise zu signalisieren: „Wir gehen runter mit der Menge!“, schließen sie übereilt zu Preisen ab, von denen kein Bauer leben kann! Auch hier geht die größte deutsche Molkerei DMK wieder mit schlechtem Beispiel voran und zeigt damit, dass ihr die Existenz ihrer Mitglieder und Lieferanten völlig egal ist. Es ist bitter: Gerade jetzt, wo die Rettung eigentlich zum Greifen nahe ist, geschieht das, was nach der Milchkrise 2009 wohl niemand mehr für möglich gehalten hätte: Die Milchpreise stürzen zumindest im Norden wieder in Richtung 20 Cent und darunter ab. Die Nutznießer des unregulierten, „freien“ Marktes entfalten sich in ihrer ganzen Brutalität und drohen die Milchbauern zu vernichten. Immer deutlicher wird, dass diese Milchkrise kein Betriebsunfall ist, nein, sie ist die logische Folge einer falschen Agrarpolitik gegen die Bauern und für die Konzerne. Bauernverband, Molkereiindustrie und Bundesregierung haben sie in den letzten Jahren konsequent betrieben: Erst Erhöhung und dann Wegfall der Quote, freie Liefermöglichkeit, Wachstum mit Hilfe staatlicher Förderung in gesättigten Märkten, Export nicht mehr als Ventil für Übermengen, sondern als Kern der Strategie, und Ausbau der Verarbeitungskapazitäten der Molkereien mit zunehmender Konzentration. Der drohende Strukturbruch ist geplant und gewollt! Die Milcherzeuger sollen dem Weg der anderen Viehhalter in industrielle Strukturen folgen. Die Gesellschaft will das nicht. Sogar marktliberale Medien fragen nach dem Sinn einer solchen Entwicklung. Wir müssen jetzt die Verantwortlichen ganz klar benennen. Jeder Politiker, jeder Ehrenamtliche in Molkereien und Verbänden muss Farbe bekennen, wofür er steht. Mit Unterstützung der Gesellschaft können wir sie vor uns hertreiben. Dazu müssen Bäuerinnen und Bauern jetzt noch einmal Frust und Resignation überwinden und gemeinsam den Kampf um ihre Höfe aufnehmen. Das wird uns keiner abnehmen!
02.06.2016
Von: Ottmar Ilchman, Milchbauer im AbL-Bundesvorstand