EU-Agrarkommissar greift Kritik an Agrarpolitik auf

Gelder gerechter und ökologischer verteilen. Arbeitskraftbezug aufgegriffen. Wettbewerb fairer gestalten

Am 17. November wird die EU-Kommission ein Papier zur „Gemeinsamen
Agrarpolitik bis 2020“ vorstellen. Der Entwurf von EU-Agrarkommissar Dacian Ciolos für dieses Papier ist Anfang Oktober bekannt geworden. Obwohl das Papier ohne Zahlen auskommt und noch auffällig allgemein gehalten ist, setzt es doch einige Duftmarken, die die Diskussionen zur EU-Agrarpolitik bereits ordentlich beflügeln. Markt schafft nicht alles
Einerseits grenzt sich Ciolos mit der Forderung nach einer starken Agrarpolitik von den so genannten Marktliberalisierern wie Großbritannien, Dänemark, Schweden, den Niederlanden und zunehmend auch Deutschland ab. Ciolos stellt etwas umständlich fest, dass das normale Funktionieren von Märkten nicht in der Lage sei, den gesellschaftlichen Nutzen von regionaler und ökologischer Ausgewogenheit in der europäischen Landwirtschaft zu gewährleisten. Es brauche weiterhin eine starke öffentliche Politik. Was das konkret an Marktgestaltung oder Aufsicht durch die Politik bedeutet lässt Ciolos weitgehend offen. Die noch bestehenden Instrumente der Intervention (Aufkauf und Lagerhaltung) will er als „Sicherheitsnetz“ beibehalten, zum Teil wieder ausdehnen. Das Auslaufen der Milchquote im Jahr 2015 stellt er kurz fest, um gleich im nächsten Satz Gesetzesvorschläge zur Stabilisierung des Milchsektors (auf Basis der High Level Group) für Ende 2010 anzukündigen. An mehreren Stellen wird die Absicht erklärt, die Verhandlungsmacht der landwirtschaftlichen Erzeuger in der Lebensmittelkette stärken zu wollen. Konkreter wird es nicht. Direktzahlungen ändern
Der Schwerpunkt des Papiers liegt beim Geld, also bei der Frage, wofür und wie
der EU-Agrarhaushalt eingesetzt werden soll. Hier geht der Agrarkommissar
auf Distanz zu Regierungen (z.B. in Berlin) und Verbänden (wie den COPA-Bauernverbänden), die beim Geld alles beim Alten lassen wollen und damit die Interessen der bisherigen größten Profiteure vertreten. An sie
richten sich die Vorschläge, die Direktzahlungen der ersten Säule zwischen
den Mitgliedstaaten und den Betrieben „gerechter und ausgewogener“ zu verteilen sowie stärker an ökologische Leistungen der Betriebe zu koppeln. Dreiteilung in 1. Säule
Ciolos schlägt vor, die Direktzahlungen aufzuteilen in drei Bereiche (über die  Gewichtung der drei Teile sagt er nichts): 1.) Der erste Teil wird als Basis-Einkommens-Unterstützung bezeichnet. Sie soll aus entkoppelten Zahlungen
(wie heute schon in Deutschland) bestehen, die innerhalb eines Mitgliedstaates
oder einer Region (Bundesland) einheitlich hoch sein sollen und an die Einhaltung von vereinfachten Cross-Compliance- Vorschriften gebunden bleiben.
Für diese Basisprämien soll eine betriebliche Obergrenze „für große Einzelbetriebe“ eingeführt werden, wobei davon betroffene Betriebe mit vielen
Arbeitskräften die Möglichkeit erhalten sollen, die Kürzung durch Anrechnung
ihrer Lohnkosten zu mildern. Das knüpft an einen langjährigen Vorschlag
der AbL sowie der deutschen Plattformverbände an. 2.) Der zweite Teil der neuen Direktzahlungen wird als verpflichtende Begrünungs-Komponente bezeichnet. Diese Art Umwelt-Zuschläge sollen für einfache, einjährige Umweltmaßnahmen gezahlt werden. Genannt werden als Beispiele der Erhalt von Dauergrünland, Winterbegrünung, Fruchtfolge und ökologische
Flächenstillegung. Zusätzlich soll geprüft werden, so das Papier, ob die Anforderungen zum Erhalt der Flächen in einem guten landwirtschaftlichen und ökologischen Zustand angehoben werden sollen. Insgesamt soll mit diesen Maßnahmen auf die Herausforderungen des Umwelt- und Klimaschutzes sowie der Biodiversität eingegangen werden. Auch hier werden somit Vorschläge u.a. der deutschen
Plattformverbände aufgegriffen, wobei es auf die konkrete Ausgestaltung ankommen wird. 3.) Der dritte Bereich, in den ein Teil der heutigen Direktzahlungen der ersten
Säule übergehen soll, ist die Ausgleichszulage für benachteiligte Gebiete
mit spezifischen natürlichen Bedingungen. Diese EU-Zahlungen sollen
von den Mitgliedstaaten mit eigenen nationalen Mitteln freiwillig aufgestockt
werden können. Die heutige Ausgleichszulage würde damit aus der zweiten Säule (Ländliche Entwicklung) gestrichen und in die erste Säule verlagert.
Als eine weitere Komponente der zukünftigen ersten Säule nennt das Papier
ferner eine pauschale Zahlung für Kleinbauern. Diese Regelung zielt auf
die vielen Millionen Kleinbetriebe in Mittel- und Osteuropa ab. 2. Säule mit Risiko
Die zweite Säule der EU-Agrarpolitik will Ciolos im wesentlichen belassen,
allerdings will er die bei Bauern geschätzte Ausgleichszulage aus dieser Säule herausnehmen (s.o.). Aufgenommen bzw. ausgebaut werden soll dagegen die Subventionierung von Ertrags und sogar von Einkommensversicherungen.
Bisher ist das stärker in der ersten Säule angesiedelt, indem die Mitgliedstaaten
freiwillig einen Teil der Direktzahlungen dafür umverteilen können. Wird das in die zweite Säule verlagert, droht das zu Lasten insbesondere der Agrarumweltmaßnahmen zu gehen. Fazit
Agrarkommissar Ciolos greift mit seinen Vorschlägen einen Teil der öffentlichen
Kritik an der EU-Agrarpolitik auf, anderes – wie die gesamte Entwicklungspolitische Kritik oder die Eiweißfrage – lässt er außen vor. Doch der
Berliner Bundesregierung und dem Bauernverband geht das schon so viel
zu weit. Sie lehnen jegliche Qualifizierung der Gelder – sozial und ökologisch
– ab. Die Standpunkte werden deutlicher. Mitte 2011 werden die konkreten Gesetzesvorschläge der EU-Kommission erwartet.
01.11.2010
Von: Unabhängige Bauernstimme, Ulrich Jasper
Dateien:
Plattform-Papier-EU-GAP-2013.pdf