Tierwohl an allen Ecken, aber mit Kanten und im Wettstreit

„Eine effektive Tierschutzförderung mit dem Ziel des Verzichts auf das routinemäßige Kürzen der Schwänze bei Schweinen ist insbesondere durch ein ganzheitliches Förderkonzept mit einem selbstlernenden und sich immer weiter entwickelnden Anreizsystem zu realisieren“, so steht es in den „Gemeinsamen Eckpunkten zur Tierwohlförderung“, die am 8. Juni in Niedersachsen unterzeichnet wurden. Das Besondere dabei: Neben dem Landwirtschaftsministerium waren daran die Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands (ISN) und das Agrar- und Ernährungsforum Oldenburger Münsterland (AEF) beteiligt. Nach monatelangen Abwehrgefechten gegen die im Bundesland geplante „Ringelschwanzprämie“ liegt nun zumindest eine gemeinsame Absichtserklärung zur Auseinandersetzung mit den konkreten Möglichkeiten auf dem Tisch. Das Thema Tierschutz und Umsetzung von mehr Tierwohl in den Ställen ist zur Zeit ein Feld mit viel Bewegung in der Politik, auf den Höfen und bei Verbänden. Während es in dem Eckpunktepapier noch um das Sammeln von Praxiserfahrungen und den Aufbau von Beratung und Netzwerken geht, sind andere Initiativen auf einem ganz praktischen Weg: Das Markenfleischprogramm Neuland setzt seit über 25 Jahren auf artgerechte Haltungsformen und bietet seitdem lebende, individuell zugeschnittene Beispiele. Seit einem Jahr versucht sich das Tierschutzlabel des Deutschen Tierschutzbund als Zwei-Stufen-Modell auf dem Markt zu etablieren. Dabei werden in der Einstiegsstufe, ausgehend von gängigen konventionellen Haltungssystemen, Verbesserungen für arteigenes Verhalten der Tiere geboten. Die Premiumstufe entspricht den Neuland Standards mit Systemen, die auf Stroheinstreu und Auslauf setzen. Zu kämpfen hat das Tierschutzlabel bisher mit einer Konkurrenzsituation im Handel zur Tierwohl Initiative. Diese startete in diesem Jahr und wird vom Deutschen Bauernverband und Schlacht- und Handelsunternehmen getragen. Dabei bekommen Betriebe, die betriebsindividuell Maßnahmen für mehr Tierwohl wählen und umsetzen, über einen vom Handel gefüllten Fond einen finanziellen Ausgleich. Ihre Produkte werden jedoch nicht extra gekennzeichnet und vermarktet, was auf Kosten der Transparenz Aufwand und Kosten spart. Der Handel vermeidet eine Differenzierung an der Theke und kann trotzdem das eigene Image aufpolieren. Der Wirbel um die in den Kinderschuhen steckende Initiative reißt nicht ab: Von Anfang an stand die fehlende Wahlmöglichkeit für Verbraucher in der Kritik. Hinzu kam der Ärger vieler Bauern und Bäuerinnen, als der Fond sofort erschöpft war und viele trotz Vorleistungen nicht teilnehmen konnten. Die beteiligten Handelsunternehmen werden vehement aufgefordert nachzuschießen, weitere Firmen aufgefordert mitzumachen. Aktuell startet die Werbekampagne und sorgt für zusätzlichen Unmut: Logo und Werbematerial sind nicht für die teilnehmenden Höfe und landwirtschaftlichen Organisationen freigegeben sondern dem Lebensmitteleinzelhandel vorbehalten. Bezahlt aus dem ohnehin klammen Fonds. Wenn die vielfältige Kritik an der Imagekampagne des Handel kratzt und gleichzeitig mehr Geld her muss für die vielen Betriebe, die bereit sind sich um mehr Tierwohl zu kümmern – dann könnten die offen gelabelten Markenprogramme wieder zum Zug kommen. Als höherpreisige Vermarktungsschiene für die Betriebe, die klar definierte Standards erreicht haben.
09.06.2015
Von: cw