Mit dem Trecker nach Berlin

Eine Protestfahrt aus der Sicht einer Nicht-Bäuerin

Was bewegt Bauern dazu, mit dem Trecker mehr als sechs Stunden nach Berlin zu fahren? Klar, es geht um eine gute Sache, agrarpolitisch etwas ändern zu wollen und Berlin ist eine tolle Stadt, aber das allein kann es nicht sein und bequem reisen ist auch etwas anderes. Ist es die Lust am Trecker fah­ren, das Treffen mit Gleichgesinnten oder geht es darum, zwei Tage raus zu sein aus dem Alltag auf dem Hof? Diese Frage, die Entdeckung der Langsamkeit und eine ungewöhnliche und großartige Reise haben meine journalis­tische Neugier geweckt. Los geht´s Ich habe mich entschieden: Dieses Jahr fahre ich mit. Nicht nur während der Demo durch Berlin, sondern die ganze Strecke! Mit Minimalgepäck und Fotoapparat geht es am Freitag Mittag zum Treffen nach Oldendorf. Dort stehen die Trecker von Reiner schon bereit, drei Fendts sollen mit auf die Reise, einer davon mit zwei Anhängern. Den Sinn der Anhänger verstehe ich am nächsten Tag, als sie mit großen Bannern „Wir haben es satt“ geschmückt das wohl meistfotografierte Gespann des ganzen Trecker-Konvois in Berlin sind. Zu uns stoßen noch Ortrud und Ramona aus Soltau. Ramonas Fastrac sieht zwar nicht aus wie ein richtiger Trecker, hat aber einen sehr komfortabel aussehenden Beifahrersitz, dort darf ich Platz nehmen. Die sympathische 25-Jährige räumt ihn mir bereitwillig frei und warnt mich noch augenzwinkernd, dass sie gern und laut die Lieder im Radio mitsinge. Das klingt nach einer lustigen Reise und so wird dieser Platz bis Samstag nach der Demo meiner. Auf ins Wendland Wir brechen auf zum Hof von Martin Schulz in Quickborn, dort ist der Treffpunkt für den wendländischen Trecker-Konvoi. Der erste Teil der Strecke gehört noch zu meiner täglichen Autoroute, dabei fällt schon auf, wie langsam die Geschwindigkeit von maximal 41 Kilometern in der Stunde eigentlich ist. Später auf den unbekannten Strecken wird das Tempo völlig nebensächlich, es gibt viel zu sehen und es entwickelt sich ein interessantes Gespräch mit meiner Fahrerin, die in Göttingen Landwirtschaft studiert und in Soltau auf einem Milchbetrieb arbeitet. Für den Erhalt von bäuerlichen Betrieben dieser Art fährt sie nach Berlin. Selbstbewusst steuert sie den zuweilen eigenwilligen Trac, mitunter braucht sie dafür ihre ganze Muskelkraft. Es ist sehr spannend zu beobachten, wie sehr die junge Frau und der Trac in den nächsten Tagen nach anfänglichen kleinen Kämpfen zwischen Mensch und Maschine immer mehr zusammenwachsen und ein Team werden. Fragen uns die anderen Bauern beim ersten Zwischenstopp noch mit einem breiten Grinsen nach einer etwas ruppigen ersten Etappe, ob wir Känguru-Diesel getankt hätten, klappt die Fahrt durch Berlin am nächsten Tag dann so reibungslos und ruhig, als hätte Ramona nie etwas anderes gemacht. Ab dem Wendland fahren wir mit zehn Treckern weiter, bemerkenswert vielleicht zu erwähnen, dass auf den zehn Treckern sechs Männer und sieben Frauen mitfahren, vier von zehn Treckern werden von Frauen gelenkt!  Spieglein, Spieglein Kurz hinter Dömitz an der Elbe gibt es dann einen kleinen Zwischenfall, der unseren Konvoi erstmal für zwei Stunden zum Stehen bringt. Auf der sehr schmalen Allee kommt uns in einer engen Kurve ein großer holländischer Tanklastzug entgegen. Bei ihm und dem Trecker vor uns reicht der Platz zwischen den beiden Außenspiegeln nicht aus. Beide Spiegel fliegen mit lautem Krach über die Straße, zum Glück reagieren die beiden Fahrer besonnen und können Schlimmeres verhindern. Erst der Lenker eines vorbeikommende Pferdegespanns kann uns in dieser sehr, sehr ländlichen Gegend die Frage der Polizei am Telefon, wo wir denn genau seien, beantworten; trotzdem suchen uns auch die Beamten eine Weile. So wild sind Osten und Westen nur noch auf dem Land. Die weiteren Kilometer bis Berlin ziehen ohne größere Zwischenfälle dahin und wir erreichen das StadtGut Blankenfelde kurz nach 22 Uhr. Der ganze Innenhof dieses imposanten alten Gutes steht voll mit unzähligen Treckern, Anhängern und sogar einem Milchwagen. Die Stimmung ist super, wir werden euphorisch empfangen von Gutsbewohnern und bereits eingetroffenen anderen Bauern und Bäuerinnen. Der einladende Speiseraum des Gutes erscheint einem nach der langen Fahrt wie eine Oase. Es gibt heiße Suppe, ein vielfältiges Buffet und Getränke. Es tut gut, nach der langen Fahrt hier einzukehren und sich zu den anderen an einen der langen Tische zu setzen. Die Vorfreude auf die Demo morgen ist hier förmlich zu spüren. Nach dem Essen werden noch die Trecker für den nächsten Tag geschmückt und plakatiert. Am nächsten Morgen haben ein tolles Frühstück mit reichlich Kaffee und einer üppigen Vielfalt tollster Bioprodukte sowie liebevoll geschmierte Brote und Würste als Lunchpakete zum Mitnehmen an der guten Stimmung der nächsten Stunden einen nicht unwesentlichen Anteil! Durch die Stadt Und dann geht es los! Wir werden zu einem langen Konvoi zusammengestellt und fahren zwei Stunden lang mit Polizeieskorte durch Berlin. Die Straßen sind für uns abgesperrt, es gilt die Devise, nicht anzuhalten, bis der erste Trecker am Messegelände der Grünen Woche anhält. Wir passieren noch menschenleere Straßen und fahren über unzählige rote Ampeln – ein komisches Gefühl und außerdem ein Eindruck dieser riesigen Stadt, den man sonst nicht bekommt. Je näher wir unserem Ziel kommen, desto mehr Menschen winken und jubeln den Treckern zu. Besonders die „Mädels-Trecker“ bekommen viele erhobene Daumen. Die absolute Krönung des Tages ist allerdings der Beginn der eigentlichen Demo. In diesem Jahr fah­ren die Trecker erstmals durch die ganze Menge der Demonstranten. Es ist unglaublich, wie viele Menschen die Straße säumen, schon hier wird klar, dass es mehr sind als im letzten Jahr. Man bekommt bei all der Sympathie für das Anliegen der Bäuerinnen und Bauern einen richtigen Kloß im Hals und außerdem die berechtigte Hoffnung, dass die Bevölkerung zusammen mit den Erzeugern wirklich etwas verändern kann. Bei der anschließenden Kundgebung treffe ich die Wendlandbauern aus unserem Treck hinter der Bühne wieder. Auch sie sehen nach einer Extradosis Dopamin aus, strahlen über das ganze Gesicht und es steht jetzt schon fest, dass sie auch im nächsten Jahr wieder dabei sind.
10.02.2015
Von: Stefanie Diekmann, freie Journalistin