Europa ist weiter als Berlin

Ein Rückblick auf Ablauf, Ergebnisse und nächste Schritte der EU-Agrarreform

Ab dem kommenden Jahr 2015 gilt in den 28 Mitgliedstaaten der Europäischen Union eine neue Gemeinsame Agrarpolitik (GAP). Bei den Direktzahlungen ist die neue GAP nicht mehr die alte, auch wenn fraglich ist, ob sich in der landwirtschaftlichen Praxis dadurch überall Großes verändern wird. Es ist nun über vier Jahre her, dass die EU-Kommission am 18. Oktober 2010 die Grundzüge dieser Reform in einer ersten Mitteilung vorgezeichnet hat. Auch das war noch nicht der Startpunkt dieser Reform-Debatte, vorher gab es viele Papiere, Gespräche und Konferenzen. Im April 2010 legte die deutsche Verbände-Plattform zur EU-Agrarpolitik (unter Beteiligung der AbL) ein Konzept vor. Davon fand sich ein gehöriger Teil im Reformansatz der Kommission wieder. Agrarkommissar Dacian Ciolos versuchte bewusst, die Agrarpolitik nicht allein mit den traditionellen Agrarvertretern auszuhandeln, sondern die Debatte breiter zu führen, sie auch für andere gesellschaftliche Interessen zu öffnen. Das Motto „grüner und gerechter“ war wie eine Einladung an die interessierte Öffentlichkeit, sich nun auch aktiv in die Meinungsbildung in Brüssel und besonders auch in den 28 Hauptstädten einzubringen. Mag sein, dass Ciolos auch auf das Europäische Parlament gesetzt hatte, das nun erstmals das Recht zur vollen Mitentscheidung über die EU-Agrarpolitik hatte und damit in die Lage versetzt war, mit einer eigenen starken Linie dem Agrarministerrat echte Zugeständnisse abzuringen. Das Glas ist jetzt so voll wie es ist. Greening im Gespräch Das Greening – also die Bindung der Direktzahlungen an drei übergesetzliche Mindest-Umweltstandards – ist gegen alle Widerstände aus Rat und Parlament und gerade auch aus Berlin EU-weit fast flächendeckend verbindlich eingeführt. Aber Rat und Parlament haben auf EU-Ebene so viele Abschwächungen, Ausnahmen und Sonderregeln eingebaut, dass die erhofften ökologischen Verbesserungen schwach ausfallen. Der Frust der deutschen Naturschützer wurde auf nationaler Ebene noch gesteigert, als Berlin die ökologischen Vorrangflächen für den Zwischenfruchtanbau freigab und damit für die Artenvielfalt kaum etwas gewonnen ist. Beim Erhalt des Dauergrünlands dagegen schöpft Deutschland den EU-Rahmen in die andere Richtung aus, indem es eine generelle Genehmigungspflicht für die Grünland-Umwandlung in Acker einführt. Auf den Herbst- und Winterversammlungen der Bauern ist das Greening das beherrschende Thema und wird, bei allem Kopfschütteln über Widersprüchlichkeiten im Detail, ernsthaft durchgeackert. Lange nicht mehr wurde so viel über Fruchtfolgen, Zwischenfrüchte, Blühstreifen, Leguminosen, Hecken und Baumreihen gesprochen. Anfang 2017 muss die Kommission einen Bewertungsbericht über die ökologischen Vorrangflächen vorlegen, um dann eventuell die Anhebung des Mindestanteils von jetzt fünf Prozent der Ackerfläche auf sieben Prozent vorzuschlagen. Andererseits soll der neue Agrarkommissar Phil Hogan schon im Jahr 2015 Vorschläge zur Vereinfachung der Direktzahlungen und damit wohl auch des Greenings vorlegen. Das Greening bleibt Thema, und es ist sehr zu raten, sich weiter einzumischen. Aber gerechter? Nicht nur grüner, auch „gerechter“ sollte es zukünftig zugehen. Das weckte nicht allein in der AbL einige Erwartungen. Bisher waren die Direktzahlungen für jeden Hektar fast gleich hoch. Die Abstaffelung durch die 2014 abgeschaffte Modulation betrug maximal 14 Prozent und lag deutlich unter den Kostenvorteilen großer Einheiten. So fördern Direktzahlungen Landkonzentration und benachteiligen bäuerliche Betriebe. Die Kommission brachte nun – wie schon früher – Obergrenzen für die Zahlungen pro Betrieb ins Spiel. Sie schlug vor, die Basisprämien oberhalb von 150.000 Euro gestaffelt zu kürzen, oberhalb 300.000 Euro ganz zu kappen und dabei die Arbeitskosten der Betriebe kürzungsmindernd anzurechnen. Herausgekommen ist, dass die Mitgliedstaaten in der Regel oberhalb 150.000 Euro Basisprämien je Betrieb um mindestens fünf Prozent kürzen müssen. Mehrere Mitgliedstaaten kürzen hier aber um 100 Prozent (Bauernstimme 11/2014). Würde Deutschland das auch umsetzen, so würden (bei einer Basisprämie von rund 175 Euro/ha) Betriebe für über 850 ha hinausgehende Flächen keine weitere Basisprämie mehr erhalten, sondern nur noch ca. 87 Euro/ha Greeningprämie. Es gibt kaum einen anderen Hebel, der auf den Bodenmärkten Ostdeutschlands die so viel beklagte Landkonzentration in der Hand „außerlandwirtschaftlicher Investoren“ so stark bremsen könnte. Die Chance ist vorerst vertan. Als weitere Maßnahme brachte der heutige französische Agrarminister als damaliger Abgeordneter im EU-Parlament den Vorschlag durch, eine pauschale Zusatzzahlung für die ersten Hektare je Betrieb einzuführen. Die Mitgliedstaaten haben die Möglichkeit, bis zu 30 Prozent der Direktzahlungsgelder für einen Zahlungs-Aufschlag für die ersten Hektare je Betriebe zu nutzen. Nach geltendem EU-Recht könnte Deutschland knapp 184 Euro je Hektar für bis zu 46 Hektar zahlen, d.h. es gäbe für die ersten 46 Hektar 184 Euro je Hektar mehr als für jeden weiteren Hektar. Das würde kleinere und mittlere Betriebe auf dem Bodenmarkt erheblich stärken. Tatsächlich beträgt der Aufschlag in Deutschland nur 50 Euro für die ersten 30 und 30 Euro für weitere 16 Hektar, der maximale Vorteil beträgt 18 Prozent gegenüber Großbetrieben – und liegt damit weiterhin deutlich unter den Kostenvorteilen großer Einheiten. Berlin nutzt den Aufschlag, um die Kürzung oberhalb 150.000 Euro zu umgehen, Polen führt beides ein: Aufschlag unten und Obergrenze oben. Wann sich das nächste agrarpolitische Zeitfenster öffnet, um die gefassten Beschlüsse und ihre Umsetzung zu ändern, ist derzeit offen. Aber auch hier ist geboten, sich gut vorzubereiten, um dann mit großer Kraft und viel Geschick die Chancen zu nutzen.
17.12.2014
Von: Ulrich Jasper, Geschäftsführer der AbL