Die Leitlinie „Jeder Hof zählt!“ muss das Fundament einer neuen Agrarpolitik werden!

„Wir haben es satt“-Kundgebung vor dem Landwirtschaftsministerium und Strohballen-Aufforderung „Agrarwende Jetzt“ am Bundestag.

Viele der Bäuerinnen und Bauern, die am Samstag, den 22. Januar 2021 im Zuge der Aktion „Neustart Agrarpolitik“ des Bündnisses „Wir haben es satt!“ vor das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) gefahren sind, um für eine sozial- und umweltverträgliche Agrarpolitik zu demonstrieren, haben dies nicht zum ersten Mal getan. Für den neuen Agrarminister Cem Özdemir waren die kraftvollen Motorgeräusche der Traktoren und die schon von weitem hörbaren Hupen in der Wilhelmstraße hingegen ein Debüt. Mehr als 50 Bäuerinnen und Bauern mit 30 Traktoren übergaben Cem Özdemir und den Staatssekretärinnen Silvia Bender, Ophelia Nick und Manuela Rottmann stellvertretend für die sonst tausenden Teilnehmer:innen der „Wir haben es satt!“-Demonstration ihre agrarpolitischen Forderungen für eine zukunftsfähige Landwirtschaft. Besonderes Highlight: ein neues Ministeriumsschild mit Trecker-Logo und der Aufschrift „Bundesministerium für bäuerliche Landwirtschaft und zukunftsfähige Ernährung. Jeder Hof zählt!“. Alle politischen Gäste erhielten zudem Miniaturtrecker für ihre Schreibtische mit derselben Botschaft – als Erinnerung an ihre Verantwortung für bäuerliche Betriebe. Eröffnet wurde die Kundgebung vor dem BMEL von Georg Janßen, Bundesgeschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL). Er hob hervor, dass die notwendigen Veränderungen in der Landwirtschaft „sozial und solidarisch“ gemeinsam angepackt werden müssen. „Ob eine Agrarwende Erfolg haben wird, hängt stark davon ab, ob viele Bäuerinnen und Bauern wirtschaftlich mitgenommen werden. Die zukünftigen politischen Rahmenbedingungen müssen als gemeinsame Möglichkeit verstanden werden, um Perspektiven für unsere Höfe zu schaffen. Wir Bäuerinnen und Bauern müssen sagen können: Ja, unsere Arbeit in der Landwirtschaft wird wertgeschätzt. Zusammen mit der Zivilgesellschaft sind wir wichtige Akteure für den Erhalt unserer Lebensgrundlagen und für eine lebenswerte Zukunft ", so Janßen. Martin Schulz, Bundesvorsitzender der AbL und Schweinehalter in Niedersachsen, begrüßte gegenüber Minister Özdemir, dass dieser die Tierwohl-Kennzeichnung umgehend anpacken will und sich zur Borchert- sowie Zukunftskommission bekennt. Aber: „Wir Bäuerinnen und Bauern erwarten, dass die Umsetzung der Finanzierung der Empfehlungen der Borchert-Kommission nicht länger rausgezögert wird. Sie muss im gleichen Zeitraum erfolgen wie die Kennzeichnung. Wir brauchen wirtschaftliche Planungssicherheit, bevor wir mit dem kostenintensiven Umbau beginnen. Eine rein ordnungsrechtliche Lösung ist für die Betriebe nicht zu stemmen und beschleunigt den Strukturwandel“, sagte Schulz. Zusätzlich brauche es dringend einen politischen Rahmen für faire Erzeuger:innenpreise, die die Produktionskosten decken und die Arbeit der Bäuer:innen auskömmlich bezahlen. Agrarminister Cem Özdemir sagte auf der Trecker-Kundgebung: Landwirtschaft ersetze keine Sozialpolitik, dafür seien andere Bereiche zuständig. Außerdem gehöre zur Sozialpolitik auch das Einkommen der Bäuerinnen und Bauern und derjenigen, die in der Fleischindustrie arbeiten. Der künstliche Gegensatz zwischen Bäuerinnen und Bauern und Tierschutz, Artenvielfalt und Klimaschutz sei zu beenden. Neben Janßen und Schulz sprachen auf der Kundgebung auch Lena Jacobi aus dem AbL-Vorstand, die Vorstandsvorsitzende vom Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) Tina Andres und Saskia Richartz, Sprecherin von „Wir haben es satt!“. Während Lena Jacobi die besondere Verantwortung der neuen Hausspitze des BMEL für die jungen Menschen in der Landwirtschaft – z.B. beim Zugang zu Land – hervorhob, betonte Tina Andreas, dass es zur Umsetzung des Zieles von 30 Prozent Ökolandbau darauf ankomme, die gesamte Wertschöpfungskette in den Blick zu nehmen. Saskia Richartz übergab dem Minister den finalen „Staffel-Lauch“ mit QR-Code zu Videobotschaften des gesamten „Wir haben es satt!“-Bündnisses, welche im Vorfeld der Aktion in einer Online-Mitmachaktion zusammengetragen wurden. Strohballen vor dem Reichstag Mit gigantischen Stroh-Buchstaben forderten am Samstag über 60 Organisationen aus Landwirtschaft und Gesellschaft in Berlin eine nachhaltige Agrar- und Ernährungspolitik. Aus 50 Tonnen Stroh bildet das „Wir haben es satt!“-Bündnis vor dem Bundestag den 4,5 Meter hohen Schriftzug „Agrarwende jetzt!“. Damit unterstreichen die Demonstrant*innen ihre Erwartung an Bundeslandwirtschaftsminister Özdemir, jetzt für einen schnellen und entschlossenen Umbau der Land- und Lebensmittelwirtschaft zu sorgen. „Es ist höchste Zeit, dass die Höfe und Menschen in diesem Land wieder zu den Gewinner*innen der Agrar- und Ernährungspolitik zählen“, sagt Bündnis-Sprecherin Saskia Richartz. „Minister Özdemir muss jetzt das Feld für die Agrarwende bestellen. Das heißt: Umweltfreundliche Bewirtschaftung, artgerechte Haltung und Klimaschutz auf Acker und Teller müssen sich wieder lohnen.“ Damit die Agrar- und Ernährungswende klappt, brauchen Höfe und Konsument*innen Transparenz, Verlässlichkeit und Zukunftsperspektiven. Die Bundesregierung muss das Höfesterben stoppen und sicherstellen, dass alle Menschen Zugang zu gutem pestizid- und gentechnikfrei hergestelltem Essen haben. Für den Klimaschutz müssen die Tierzahlen reduziert und artgerechte Tierhaltung muss ebenso wie der Ökolandbau zum Leitbild werden. Mit Blick auf die Lobby-Interessen, die in der Vergangenheit die notwendigen Veränderungen blockierten, verlangt das Bündnis klare Kante vom Landwirtschafts- und Ernährungsministerium. „Özdemir muss der Agrarindustrie die Stirn bieten. Weder Chemie-, Milch- und Fleischkonzerne noch Bodenspekulanten dürfen in Zukunft die Agrarpolitik bestimmen,“ so Richartz. „Die Agrarwende ist harte Arbeit und wird sicher kein Spaziergang. Wir halten den Druck aufrecht und werden die Arbeit des Ministers kritisch begleiten. Wenn Cem Özdemir eine zukunftsfähige Politik macht, hat er die Unterstützung unserer Bewegung.“ Die Lage auf dem Land ist nach 16 Jahren unionsgeführter Agrarpolitik dramatisch: Schlechte Erzeugerpreise durch das Preisdiktat des Handels und die fatale Ausrichtung auf Export zwingen Bauernhöfe zum Schließen. Landwirtschaftlicher Boden wird immer mehr zum Spekulationsobjekt. Tierfabriken verdrängen bäuerliche Betriebe. Der Antibiotikamissbrauch bedroht unser aller Gesundheit. Klimakrise und Artensterben eskalieren. Julia Bar-Tal, Bäuerin aus Brandenburg, von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft in Brandenburg, sagt: „Wir brauchen eine Landwirtschaft, in der faire Erzeugerpreise mit artgerechter Tierhaltung und Umwelt- und Klimaschutz einhergehen. Gleichzeitig müssen gesunde Lebensmittel für alle bezahlbar sein. Wir erwarten von Minister Özdemir, dass er jetzt sofort die Ärmel hochkrempelt und den Umbau der Landwirtschaft voranbringt. Bäuer*innen, Tiere und das Klima brauchen eine Zukunft." Die Videobotschaften der Aktion Staffel-Lauch sind hier zu finden, die agrarpolitischen Forderungen der AbL an die neue Bundesregierung hier. Und der Livestream der Kundgebung und der Strohballen-Aktion kann hier nachgeschaut werden.
25.01.2022
Von: xb

„Wir haben es satt“-Kundgebung vor dem Landwirtschaftsministerium und Strohballen-Aufforderung „Agrarwende Jetzt“ am Bundestag. Fotos: WHES