Von Milchriesen, Wertschöpfungsketten und neuen Konsumtrends

Die 20 größten Molkereikonzerne der Welt erfassen ein Viertel der globalen Milchproduktion und stehen für 40 Prozent der industriellen Verarbeitung. Aber in der Frage der Wertschöpfung und der Ausrichtung der Unternehmen unterscheiden sie sich erheblich. Die Coronaverwerfungen haben sie durchgängig gut verkraftet. Im Gegenteil sind das freie Kapital und die Gewinne in den letzten fünf Jahren gestiegen. Das hat das auf die Milchwirtschaft spezialisierte Beratungsunternehmen IFCN Dairy Research Network in Kiel anhand der Geschäftsdaten analysiert. Von der Größe her sind neun der 20 globalen Mengenführer in Europa beheimatet, darunter vier Molkereien aus Frankreich (Lactalis auf 2, Danone auf 13, Savencia, wozu auch die Biomolkerei Söbbeke gehört, auf 19 und Sodiaal auf 20). Die größten deutschen Unternehmen sind DMK (6,6 Mio. t auf Rang 15) und Müllermilch (6,5 Mio.t auf 16). Dazu kommen mit der dänischen Arla (13,7 Mio.t auf Rang 4) und der niederländischen FrieslandCampina (11,8 Mio.t auf Platz 6) zwei weitere Milchkonzerne, die auch in Deutschland Milch einsammeln. Wertschöpfung sehr unterschiedlich
Dagegen variieren die Betriebe in den Umsätzen pro Kilogramm erheblich. Führend sind die französischen Konzerne mit Spitzenreiter Danone, die überdurchschnittlich viel aus der Milch erwirtschaften, was sich aus der margenträchtigen Weiterverarbeitung ergebe. Die großen amerikanischen Konzerne erzielen dagegen nur etwa 25% bis 50% der Franzosen, weil sie vor allem Milch und Milchpulver an die Weiterverarbeitung liefern – quasi als Rohstofferfasser und -vermittler. Bei ihnen, so die Analysten, gelte das Prinzip: viel Menge und gute Kapazitätsauslastung. Das Geld verdiene man aber an einem guten differenzierten Sortiment – wenn man einen erfolgreichen Vertrieb nebst Marketing dahinter habe. Viele haben bis in die Gegenwart von den Erfolgen im Export, vor allem nach China gelebt und z.B. von dem Boom für Kindernahrung und Milchpulver ins Reich der Mitte profitiert, nachdem die dortige Milch melaninverseucht aufgefallen war. Inzwischen ist das Vertrauen der Chinesen in ihre Milchverarbeitung gestiegen, so dass die chinesischen Molkereien wie Yili (Platz 9) und Mengniu (Platz 10) das Geschäft wieder selbst übernehmen. Und die neuseeländische Fonterra (Exportanteil 80%) und die holländische FrieslandCampina, die lange Zeit gutes Geld damit verdient haben, müssen sich auf anderen Märkten umsehen. Fonterra streckt seine Fühler in alle Weltrichtungen, auch nach Europa oder Südamerika aus, was angesichts des globalen Nachfragebooms auch aktuell funktioniert und womit sie in diesen Zeiten zusätzliche Marktanteile in vielen Ländern gewinnen will. Bei FrieslandCampina hat es zu einem Führungsstreit geführt, welche Rolle in Zukunft Mengenwachstum, Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt und Wertschöpfung einnehmen sollen. Laut der Führung um den wiederbestellten Chef Schumacher soll Wachstum für die Erzeugerbetriebe ermöglicht und über die Menge die optimale Wertschöpfung erzielt werden. FrieslandCampina befinde sich mitten in einer mehrjährigen Transformation, erklärte die Genossenschaft. Angesichts der in 2020 kräftig gesunkenen Gewinne, der weltweiten Corona-Rezession und der Umstrukturierungsausgaben von jährlich 100 Mio.€ müsse ein strategischer Fahrplan bis 2030 erarbeitet werden, in den auch die landwirtschaftlichen Betriebe mit neuen Beiträgen einzahlen müssen, um vorrangig die Liquidität zu erhöhen. Das hat den Widerstand von Erzeugern hervorgerufen. 250 Betriebe mit 2,5% der Milch haben zum Jahresende gekündigt.
Andere Molkereien scheinen sehr gut durch die Coronazeit und vor allem das Jahr 2021 zu kommen, wozu die niedrigen Erzeugerpreise bzw. deren verzögerte Erhöhungen kräftig beigetragen haben. Neue Verbrauchererwartungen
Aber nicht nur für FrieslandCampina stehen große Veränderungen im Geschäftsmodell auf dem Programm. Unter den Konsumenten in Deutschland findet ein Wechsel statt. Das zeigt sich auch an der Supermarktkasse. Die jüngeren Generationen konsumieren anders als die „Babyboomer-Generation“ (über 55 Jahre) der Eltern: gesunde, nachhaltige und bewusste Ernährung rückt mehr in den Fokus. Die Lebensmittelhändler spüren die gewandelte Verbrauchernachfrage und treiben die Veränderungen voran. Vielfach bilden sie die Spitze der Bewegung. Das ist für viele industrielle Hersteller, auch für viele Politiker, neu und sie trauen den Aussagen der bisherigen Preisdrücker nicht. Und noch habe sich, so ihr Lamento, die Trendänderung auch nur in Umfragen, aber nicht an der Ladentheke gezeigt. Viele Verbands- und Industrievertreter ruhen sich gern auf dem Widerspruch zwischen Bürger mit hohem Nachhaltigkeitsanspruch und dem Verbraucher mit der kleinen Geldbörse aus. Beim Konsumenten gäbe es eine Lücke zwischen Reden und Handeln. Die Nach-Boomer-Generation kommt
Neue Konsumanalysen kommen aber zu dem Ergebnis, dass dieser Widerspruch sich vor allem bei den über 60-jährigen zeige, während die nachwachsende Generation eher bereit sei, mehr Geld für ihre Werte wie Nachhaltigkeit, gesunde Ernährung, Tierwohl, Klimaschutz, Regionalität auszugeben. Tierwohl-Haltungskennzeichnung wie Weidehaltung oder Auslaufhaltung, Heumilch, GVO-freie, Bio oder CO2-arme „Klimamilch“ – diese neuen Märkte werden bei Handel und Molkereien immer gefragter. Nur die Bauern sind nicht einbezogen und lassen sich die Konditionen und die Preise vorsetzen. Der Wandel zeige sich auch am Trend zu mehr Fleisch- und Milchersatzprodukten, um deren Produktion kein führender Hersteller herumkomme. Dabei sei weniger die wachsende Zahl der Vegetarier- und der Veganerinnen die Herausforderung, deren Anteil nur langsam wachse. Der geringere Verbrauch der sogenannten Flexitarier, die sowohl Original- als auch Ersatzprodukte konsumieren, sei bedeutsamer. Der Konsumtrendforscher Fischer analysiert diese zunehmende Bereitschaft und den gleichzeitig wachsenden Anteil dieser Konsumentengruppe als Bedrohung, aber auch als Auftrag für die Fleisch- und Milchindustrie wie für den Einzelhandel. Zwar seien die Babyboomer zahlenmäßig heute noch in der Mehrheit, aber der Druck der nachwachsenden Generation sei spürbar. Rund 35 Mio. Deutsche sind jünger als 40 Jahre, davon sind 22 Mio. über 18 Jahre und oftmals mit einem eigenen Haushalt. Und selbst bei den 13 Mio. minderjährigen Konsumenten zeige sich der schleichende Generationenwechsel in den Handelsregalen. Schließlich prägen Wertvorstellungen und Überzeugungen der jungen Generation schon früh die Kaufentscheidung der Elterngeneration. Eltern kaufen selten Produkte gegen die Überzeugung ihrer Kinder. Die Diskussion am häuslichen Esstisch ist eröffnet und nicht selten strittig. Angesagt seien regionale und integrierte Wertschöpfungsketten, die sind – so Fischer – „robuster gegenüber der Verhandlungsmacht Dritter und dem Streben nach ständig billigeren Waren.“
Noch – ruft der Marktbeobachter laut! Entscheidungsfenster stehen nicht beliebig lange auf. Hugo Gödde