Ohne Schweinezyklus

Vielleicht war es ihr letzter Gipfel, zu dem Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) zwei Wochen vor der Bundestagswahl die Beteiligten aus der Schweinebranche eingeladen hatte. Es ging um die katastrophalen ökonomischen Bedingungen, die im Moment den Schweinebauern und Bäuerinnen das Leben schwer machen. Alle an einen Tisch zu holen, ist etwas, das Klöckner in ihrer Amtszeit gerne gemacht hat, sie konnte sich dabei aufs Moderieren zurückziehen und brauchte nicht zu gestalten. Auch jetzt fällt konkret den Bauern und Bäuerinnen auf die Füße, dass sie es nicht forciert hat, die Empfehlungen ihres eigenen Kompetenznetzwerkes Nutztierhaltung auch nur ansatzweise umzusetzen. Stattdessen warten viele Betriebe auf politische Initiativen, Perspektiven und verlässliche Rahmenbedingungen. Wie Teilchenbeschleuniger wirken Corona und der Schlachtstau – der inzwischen zu einem Kühlhausstau geworden ist –, die afrikanische Schweinepest und die wegbrechenden Exportmärkte. Kombiniert mit einem verregneten (Nicht-)Grillsommer und einem grundsätzlichen Verbrauchsrückgang komplettiert die Preistalfahrt für Schweine die öffentliche politische Ächtung – auch durch Julia Klöckner – von Billigfleischaktionen der Supermarktketten. Wenn aber mehr als 50 % des Fleisches an den Theken über Schnäppchenpreise verkauft werden, ist es zwar immer noch richtig, Fleisch nicht zu verramschen, aber trotzdem das Dilemma groß. Veränderungsbereitschaft „Das lange Zeit kontinuierliche Wachstum unserer Branche erschwert uns aktuell die Vermarktung“, sagt Christoph Hüsing. Er ist Geschäftsführer der „Erzeugergemeinschaft für Qualitätsfleisch im Oldenburger Münsterland eG“ mit 500 Mitgliedsbetrieben. Dabei könne man sich in der Region gar nicht zu sehr beschweren, so Hüsing. Die Betriebe seien häufig gut aufgestellt, es gebe mit sieben, acht Schlachthöfen noch eine gewisse Vielfalt an Marktpartnern für die Erzeugergemeinschaft. Fast die Hälfte der Schlachtschweine sind inzwischen Tiere der Initiative Tierwohl, es gebe diverse Absicherungen, einige Betriebe könnten auch über Markenverträge einen Mehrwert generieren. „Die Perspektive ist nicht eindeutig, auch ist mittelfristig nicht alles negativ“, sagt er und verweist auf gerade die jüngeren Betriebsleiter, die nach wie vor auf Schweine setzten und versuchten, mit Pragmatismus und ohne sich zu sehr runterziehen zu lassen, das Tal zu überstehen. „Die Veränderungsgeschwindigkeit, aber auch die Veränderungsbereitschaft hat immens zugenommen“, sagt er. Es gebe auch schon jetzt einige, „und der Hauptanreiz ist nicht unbedingt, mehr Erlös zu erzielen“, die sich konkret mit Außenklimaställen und Ausläufen auseinandersetzten – zum Teil auch ohne bereits eine Vermarktungsperspektive zu haben. Hüsing sieht die Notwendigkeit, neue Wege zu gehen und in eine andere Position zu kommen. „Wir wollen gerne ein direkter Ansprechpartner für den LEH sein“, gerade eben auch wenn es um besondere Programme, Labelstufe drei oder vier, längerfristige Verträge, bessere Konditionen gehe. „Dafür müssen wir gebündelt etwas anbieten können, damit wir auf Augenhöhe mit dem Handel sprechen können“, ist er sich sicher. Er befürworte die Umsetzung der Pläne des Kompetenznetzwerkes Nutztierhaltung, gleichzeitig gebe es neben noch vorhandenen Hürden, das Ganze einheitlich zu beschließen, auch Skepsis bei den Betrieben, sich wieder über Fördergelder in Abhängigkeiten zu begeben. Näher am Erzeuger Einer, der bereits versucht, den direkten Weg mit dem Handel zu gehen, ist Henning Harms, Schweinehalter aus dem niedersächsischen Wendland. Seit einem Dreivierteljahr verhandelt er mit einem Handelsunternehmen, Interesse hat auch schon ein anderes angekündigt. Er hält inzwischen seine rund 5.000 Mastschweine mindestens im Außenklima, zum Teil auch mit Ausläufen. Weil er 15 % abgestockt habe und in einer Gegend mit einer geringen Schweinedichte liege, hätten die Genehmigungsbehörden wohlwollend auf seine Anträge reagiert. Konditionen, wie sie die Edeka Südwest den Bauern und Bäuerinnen biete, Fünf-Jahres-Verträge und mindestens 2,15 Euro/Kilo Schlachtgewicht, seien fair, allerdings machten im Norden die Handelsunternehmen da oft lange Gesichter. „Im Süden sind die wohl noch näher dran am Erzeuger“, vermutet er, lässt sich aber nicht entmutigen. Er hat auf eine heimische Futtergrundlage umgestellt, baut Lupinen an und Luzerne, auch um den „durch die Decke gehenden Futterkosten“ zu begegnen. Seit er auf Duroc-Schweine gewechselt hat, „funktioniert der Langschwanz sicher“. Er bekommt schon die Absetzer von einem Ferkelerzeuger, der ihm damit die Aufzucht – in der Langschwanzfrage die heikelste Periode – überlasse. Allerdings komme die Duroc-Genetik bei der AutoFOM-Klassifizierung immer ein paar Cent schlechter weg als vorher, ein weiterer Antrieb für Harms, aus dem „Massenmarkt raus zu müssen“. Harms resümiert, dass aus seiner Sicht wir in Deutschland niemals tatsächlich im Weltmarkt wettbewerbsfähig gewesen seien, allerdings habe es eben immer auch Produkte gegeben, die nur für den Export geeignet seien. Auf Kosten der Erzeuger Es gelte momentan vor allem die Handlungsfähigkeit zu bewahren, möglichst dadurch, dass man breit am Markt präsent sei, sagt Rudolf Festag. Er ist lange Geschäftsführer bei der „Erzeugergemeinschaft für Schlachtvieh im Raum Osnabrück eG“ gewesen, die nun versucht, in einem noch breiteren Zusammenschluss mit dem Raiffeisen-Viehverbund Twistringen noch besser reagieren zu können. Wäre man in der Coronazeit bei dem ursprünglichen Prinzip, nur mit einem Schlachthof zu arbeiten, geblieben, so Festag, „wären wir jetzt mausetot“. Die Umbrüche in der Schlachtindustrie, die Umstellungen der Werkvertragsarbeit und immer noch aufbrechende Coronabeeinträchtigungen seien nach wie vor Erschütterungen für den Markt. Und dass in China auch immer wieder auftretende Ausbrüche der ASP zu Massenschlachtungen führten, gehe eben auch nicht spurlos an Europa vorbei. Am meisten habe er allerdings unterschätzt, sagt Festag, wie konstant und rapide der Schweinefleischverbrauch doch sinke. „Und der LEH profiliert sich auf Kosten der gesamten Vorstufe mit PR-Maßnahmen, die er ja im Moment noch gar nicht liefern kann.“ 5mal D, also sämtliche Erzeuger- und Verarbeitungsstufen in Deutschland, die ja auch Thema auf Klöckners Schweinegipfel waren, „könnten, wenn es so weit ist, gar nicht mehr erfüllbar sein, weil es die Ferkel in Deutschland gar nicht mehr gibt“. Die Sauenhalter würden jetzt zum Teil auch von ihren Mästern auf der Jagd nach dem billigsten Ferkel hängengelassen. Festag würde sich da mehr Solidarität wünschen. Auch, damit es dann auch noch Betriebe gebe, die die Ansprüche an höhere Haltungsstandards baulich umsetzen könnten. Der sich differenzierende Markt, die unterschiedlichen Haltungsstufen seien, so Festag, auch eine große logistische Herausforderung. Touren müssten anders geplant, Chargen anders gebündelt und dokumentiert werden. Am Ende koste auch das mehr Geld. Auch wenn es zum Teil noch kleine Programme seien und sie sich für den Handel zumindest bislang kaum rechneten, werde daran festgehalten. „Niemand will sich die Blöße geben, so ein Programm sterben zu lassen.“ Gleichzeitig sei das Vertrauen der Bauern und Bäuerinnen in den LEH begrenzt, zu oft werde anders gehandelt als zunächst versprochen. „Und der Schweinezyklus findet nicht mehr statt“, resümiert Festag, zu groß seien längst weltweite Abhängigkeiten. Ein Gipfel mehr in Berlin spielt da auch keine große Rolle.