Das EU-Parlament lehnt Vorschlag zur Verschärfung der Regulierung des Einsatzes von Antibiotika in der Tierhaltung ab

Das vom EU-Umweltausschuss eingebrachte Veto gegen den delegierten Rechtsakt der EU-Kommission zur Antibiotikanutzung, das eine Verschärfung der Regulierung des Einsatzes von Antibiotika, der sogenannten Reserveantibiotika, in der Tierhaltung zum Ziel hatte, ist mit großer Mehrheit von den Europaabgeordneten abgelehnt worden. Insgesamt 450 Parlamentarier stimmten am 15.9. gegen die Zurückweisung des Kommissionspapiers. Für das unter dem Berichterstatter, dem grünen Agrarsprecher Martin Häusling, erstellte Veto votierten 204 Abgeordnete, 32 enthielten sich. Damit kann die neue EU-Tierarzneimittelverordnung zu Beginn des kommenden Jahres in Kraft treten. Die Mehrheit des Parlaments stimmte damit nach Ansicht von Häusling „für einen gefährlichen Kompromiss auf Kosten von menschlicher Gesundheit und zugunsten einer unbelehrbaren Agrarlobby“. Auch der gesundheitspolitische Sprecher der SPD-Europaabgeordneten, Tiemo Wölken, spricht von einem „Lobby-Sieg“, der mit Falschinformationen errungen worden sei. Auf Kritik stößt die Entscheidung auch bei der Umwelt- und Verbraucherschutzorganisation Germanwatch und der Deutschen Umwelthilfe (DUH). Häusling: Böses Erwachen befürchtet
Ein „böses Erwachen“ befürchtet nach der Entscheidung Martin Häusling. „Wenn das mal nicht ins Auge geht. Mit seinem Votum hat das Europäische Parlament der EU-Kommission grünes Licht gegeben für die Erarbeitung der Liste derjenigen Antibiotika, die ab Januar 2022 als Reserveantibiotika allein der Behandlung von Menschen vorbehalten sein werden. Alle Stoffe, die auf dieser Liste landen, sind dann radikal für alle Tiere, egal welcher Spezies und welcher Haltungsform, gesperrt. Dieser Ansatz kann nicht allen gerecht werden - Tiere oder Menschen, eine Seite wird auf der Strecke bleiben: Kommen nur wenige Antibiotika zur Liste der Reserveantibiotika, dann droht die weitere Verwendung in Mastbetrieben und damit auch eine weiter fortschreitende Resistenzentwicklung. Werden hingegen viele Antibiotika als Reserveantibiotika für den Menschen reserviert, so werden viele Tierärzte umdenken und so mancher Haustierhalter möglicherweise den Verlust seines Tieres beklagen müssen“, erklärt Häusling. Der Vorschlag der Grünen habe einen guten Kompromiss zwischen Human- und Veterinärmedizin vorgesehen. Er hätte strenge Kriterien für die Bestimmung der Reserveantibiotika angelegt, den Einsatz dieser Reserveantibiotika in der Gruppenbehandlung von Tieren untersagt und gleichzeitig die Behandlung einzelner Tiere, wie Haustiere, ermöglicht. „Dass sich nun eine Mehrheit der EU-Parlamentarier für den Kommissionsvorschlag ausgesprochen hat - trotz der zahlreichen Unterstützerbekundungen von Ärzteschaft und Umweltverbänden für den Gegenvorschlag - führe ich vor allem auf die großangelegte Lobbykampagne des Bundesverbandes praktizierender Tierärzte (bpt) zurück. In einer beispiellosen Kampagne instrumentalisierte die Organisation Haustierbesitzer für ihre Zwecke, operierte mit falschen Behauptungen, und zwar basierend auf Spekulationen über die künftige Ausgestaltung der Reserveliste. Es erstaunt nicht, dass sich der bpt Seite an Seite mit der altbekannten Agrarlobby aus Bauernverband, Copa Cogeca und Konservativen ins Zeug gelegt hat. Aber es schmerzt - jetzt einige mit dem Thema vertrauten Menschen, zukünftig aber viele Tiere und Menschen“, so der grüne EU-Abgeordnete. Nach Ansicht von Germanwatch hat das EU-Parlament die Chance verpasst, strengere Antibiotika-Regulierungen auf den Weg zu bringen. „Das ist ein Fehler, denn Resistenzen gegen lebensrettende Antibiotika sind eine der größten Bedrohungen für die Gesundheit der Menschen - und diese werden durch den massenhaften Einsatz dieser Mittel in der industriellen Tierhaltung weiter zunehmen. Um die Wirksamkeit von unverzichtbaren humanmedizinischen Mitteln sicherzustellen, muss die EU den Einsatz in der Tierhaltung so weit wie möglich einschränken“, betont Konstantinos Tsilimekis, Referent für Landwirtschaft, Tierhaltung und Antibiotika bei Germanwatch.
Auch Germanwatch hatte zuletzt immer wieder die großen Schlupflöcher in dem Entwurf des Rechtsakts kritisiert, der Kriterien zur Bestimmung von allein Menschen vorzubehaltenden Antibiotika festlegen soll.

Strenges Vorgehen bei Erstellung der neuen Wirkstoff-Liste wichtig

„So wie der Rechtsakt jetzt in Kraft tritt, ist die Gefahr groß, dass Antibiotika mit höchster Priorität für Menschen weiterhin in großen Mengen in der industriellen Tierhaltung eingesetzt werden dürfen. Die weitere Ausbildung von Resistenzen gegen ausgerechnet diese Antibiotika können wir uns aber längst nicht mehr erlauben.“ Entscheidend sei jetzt, wie die Kriterien angewandt werden. „In der Diskussion um den Einspruch hat die EU-Kommission mehrfach betont, dass auch mit ihren vorgeschlagenen Kriterien eine strenge Regulierung möglich sei und die Schlupflöcher nicht so groß wie befürchtet seien. Es hängt nun an ihr, ob sie den Worten Taten folgen lässt. Sie muss die Kriterien nun so streng wie möglich anwenden“, fordert Tsilimekis.

Die EU-Kommission wird im nun folgenden Schritt eine Liste von Wirkstoffen erstellen, die aus der Veterinärmedizin ausgeschlossen werden sollen. Germanwatch ruft dazu auf, die nun festgelegten Kriterien vor allem aus humanmedizinischer Perspektive so genau wie möglich anzuwenden. Das klare Ziel der Vom-Hof-auf-den-Teller-Strategie der EU, den Antibiotikaeinsatz in der Tierhaltung bis 2030 zu halbieren, müsse bei der Definition der Wirkstoffliste und der der anstehenden Revision der Tierschutzgesetzgebung zur Geltung kommen. Sascha Müller-Kraenner, Bundesgeschäftsführer der DUH, fordert von einer neuen Bundesregierung ein Verbot des Einsatzes von Reserveantibiotika in der Massentierhaltung. Nach der Entscheidung des EU-Parlaments erklärt er: „Das EU-Parlament hat es versäumt, die Gesundheit von Menschen endlich über die Profitinteressen der Fleischindustrie zu stellen. Die konservativ-liberale Mehrheit setzt das Herumeiern der EU-Kommission fort und riskiert damit, dass Reserve-Antibiotika wie bisher auch massenhaft ins Futter und Wasser gemischt und an Zehntausende Tiere in industriellen Massentierhaltungen verabreicht werden. Die EU-Kommission hat noch immer keine Liste vorgelegt, welche Antibiotikawirkstoffe in Europa für Menschen vorbehalten werden sollen. Außerdem befreit sie Fleischproduzenten von der Nachweispflicht, dass sie versucht haben, mit besserer Haltung, Zucht und Fütterung die Gesundheit der Tiere zu stabilisieren, bevor sie diese mit Antibiotika vollstopfen dürfen.“ Die Entscheidung legitimiere den Missbrauch von Reserve-Antibiotika bei Tieren, die bei besserer Zucht und Haltung gar keinen massenhaften Antibiotikaeinsatz nötig hätten. Die EU-Abgeordneten vergrößern damit nach Ansicht des DUH-Geschäftsführers das Risiko für die Ausbreitung antibiotikaresistenter Erreger, die über das Fleisch behandelter Tiere auch auf Menschen übertragen werden und im Krankheitsfall lebensrettende Antibiotika ausschalten können. „Die neue Bundesregierung kann und muss nach der Wahl der Gesundheit von Menschen endlich Vorrang einräumen und Reserve-Antibiotika in der Massentierhaltung verbieten“, so Müller-Kraenner.