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Getreide: Markt für Prognosen und Spekulanten + Neue Tiefstände bei Rindern und Schweinen + Kampf um Schweinepreisnotierung geht weiter

Getreide: Markt für Prognosen und Spekulanten
Die Getreideernte ist noch nicht mal in den Scheunen, aber der Markt und die Preise drehen einen Salto nach dem anderen. Selten waren sich die Analysen so wenig einig und überlassen natürlich ein weites Feld für Spekulationen. Noch vor kurzum gingen die Weizenpreise durch die Decke und erreichten 26 € je dt. Große Importeure zahlten fast jeden Preis für Mais, Weizen und Soja. Die Anbau- und Ernteprognosen waren „bullig“, wie es auf dem Börsenparkett heißt. Und die Erklärungen waren nahezu einmütig. Die Chinesen müssen für ihren gestiegenen Schweinebestand kaufen, das Wetter in Europa, Ukraine, Russland ist vielversprechend, die Lagerbestände knapp. Gute Ernten und gute Preise – manch Ackerbauer rieb sich schon die Hände. Doch plötzlich drehte der Wind. Die seit einem Jahr fast unaufhörlich gestiegenen Preise fallen und fallen – zuletzt auf 20 Euro/dt. Experten trauen ihren Augen nicht, als ob Ware im Überfluss vorhanden sei. Damit hatte kaum jemand gerechnet, aber jetzt sind sie sofort mit Begründungen und Erklärungen für die fehlerhaften Prognosen am Start. Verschwörungstheoretiker vermuten, dass das US- Landwirtschaftsministerium mit ihren Analysen die Märkte manipuliert. Tatsächlich weiß man in den USA trotz Satellitenaufklärung immer noch nicht so wirklich, wie groß die Aussaatflächen für Mais oder Soja sind. Daneben wird immer stärker – welch Überraschung – auf die Wetterkapriolen verwiesen. Hat das nasse und kalte Frühjahr in Europa die Erträge gestützt oder beschädigt? Im Juni und noch heute ist es in weiten Teilen des Cornbelts in USA und Westkanada sehr heiß und trocken, wieweit hat das Getreide darunter gelitten? Russland und die Ukraine sollen eine Rekordernte bei Gerste, Weizen und Mais einfahren, aber stimmen die Prognosen? Brauchen die Chinesen nicht mehr so viel Mais und Weizen für ihre vollen Schweineställe? Die einfachste Erklärung ist: der Getreidemarkt ist volatil, d.h. flüchtig, unbeständig, sprunghaft. Das eröffnet den Börsen und Spekulanten Tür und Tor. Sie beeinflussen und manipulieren das wichtigste Lebensmittel auf der Welt, das Brotgetreide, das wiederum massiv auf die Armut in Entwicklungsländern einwirkt. Nicht zuletzt deshalb gelten Getreidebörsen als unethisches Geschäft. Wie die Ernten und die Preise sich in den nächsten Wochen entwickeln werden, ist noch ungewiss. Aber sicherlich haben die Analysten schon die Begründung parat, warum es so kommen musste, wie es kommt. Und mit zunehmenden Auswirkungen des Klimawandels wird ihr Geschäftsmodell noch an Bedeutung gewinnen. Wahrscheinlich – auch eine Prognose – werden die Tierhalter wieder unter den volatilen Futtermittelpreisen leiden. Neue Tiefstände bei Rindern und Schweinen
Die Zahl der Nutztiere ist in Deutschland erneut gesunken. Zugleich geht auch die Zahl der Landwirte mit Tierhaltung weiter drastisch zurück. Die Rinderzahl ist bei der Viehzählung im Mai auf 11,18 Mio. Tieren gesunken, dem niedrigsten Stand seit 1973. Allein in den letzten zehn Jahren haben sich die Bestände um 11% verringert. Noch im Jahre 1990 standen 19,5 Mio. Rinder in den Ställen – ein Rückgang von 74%! Auch die Zahl der Milchkühe geht zurück auf 3,9 Mio. Das ist ein Minus von 46% gegenüber 1950 bzw. 23% seit dem Jahr 2000. Die Anzahl der Schweine ist erneut rückläufig. Gezählt wurden 24,6 Mio. Schweine aller Altersklassen, minus 3,3% im Verhältnis zum Vorjahr und minus 11% gegenüber vor 10 Jahren. 1990 wurden laut Statischem Bundesamt incl. der DDR-Bestände über 30 Mio. Schweine gehalten. Besonders die Sauenhaltung wurde stark eingeschränkt. Mit 1,6 Mio. werden 38% weniger Sauen gehalten als 2011. Klimaschutzforderung schon erfüllt?
Wenn also in der Diskussion um den Klimaschutz ein Rückgang der Tierbestände gefordert wird, ist darauf zu verweisen, dass diese Reduktion seit Jahren voll im Gange ist. Datiert man den Beginn der besonderen Problematik der menschenverursachten Erderwärmung auf die letzten 30 bis 50 Jahre, wird deutlich, dass mindestens in Deutschland nicht wachsende Tierbestände als wesentliche Ursache gelten können. Betriebsaufgaben beschleunigt
Trotz Bestandserhöhungen der einzelnen Betriebe hat sich der Strukturwandel noch beschleunigt. In den letzten 10 Jahren haben 37% der Milcherzeuger aufgehört. Die Zahl der Ferkelerzeuger hat sich in der letzten Dekade auf 6.400 Betriebe mehr als halbiert. Im gleichen Zeitraum gaben etwa 10.000 Schweinehalter auf. Mit 19.800 ist deren Zahl um mehr als ein Drittel gesunken. Zum Vergleich: es gibt laut Bundesregierung etwa 35.000 Ökobetriebe. Damit bietet die (inzwischen große) Nische Ökomarkt fast doppelt so vielen Betrieben eine Existenz wie der Schweinemarkt, der nach Milch zweitwichtigsten Erwerbsquelle der Agrarwirtschaft. Kampf um Schweinepreisnotierung geht weiter
In dieser Woche geht der Streit um den Schweinepreis in die nächste Runde. Während die Erzeugerseite (Vereinigung der Erzeugergemeinschaften – VEZG) weiterhin 1,48 €/kg verlangt, bieten die großen Schlachtkonzerne nur 1,40 als Hauspreis an. Begründet werden die Differenzen mit den unterschiedlichen Einschätzungen des Vieh- bzw. Fleischmarktes. Die VEZG verweist auf das geringere Angebot und die gesunkenen Schlachtzahlen, so dass sich die Schweine problemlos vermarkten ließen. Dagegen führt die „rote“ Seite, die Schlachtunternehmen, die gesunkenen Fleischpreise im Inland und den fehlenden Export vor allem nach China ins Feld. Agra-Europe analysiert als Hauptproblem, dass die vormals aus der EU umfangreich nach China verschifften Ware wegen des Rückgangs der chinesischen Importe und des Preisverfalls im Reich der Mitte neue Absatzwege finden muss. Das war bis Ende April noch anders. 60% der EU- Schweinefleischexporte gingen nach China und Spanien als Ersatz für Ex- Meister Deutschland steigerte um 65%. Die großen EU- Exporteure, allen voran Spanien, bieten nun die überschüssige Ware zu Schleuderpreisen im Binnenmarkt an. Das trifft auch die zu großen deutschen Mengen, die nach dem ASP-bedingten Ausfall des China- Exports mit günstigen Preisen in Europa „herumwildern“. Der Präsident des Handelsverbandes, Josef Sanktjohanser, nutzte diese Marktsituation auf dem Deutschen Bauerntag und bot als Lösung an, für Kaufimpulse beim Verbraucher zu werben, d.h. das Fleisches noch billiger anzubieten. Lockangebote wären hilfreich. Und als Pflaster für die geschundenen Bauernhände führte der Handelspräsident aus, dass sich alle um mehr Fairness in der Lieferkette bemühen und bestehende Differenzen stärker im Dialog austragen sollten. Wechselseitige Schuldzuweisungen müssten ein Ende haben. Die von der Agrarlobby gepriesene Zentrale Koordinationsstelle Handel Landwirtschaft aus Handelsverband, DBV und Raiffeisenverband solle es regeln. Wer’s glaubt, wird selig, befürchtet der Marktbeobachter und fügt hinzu, dass die Scheinblüte des Exports, vor allem nach China, jetzt den Schweinehaltern und Fleischhändlern auf die Füße fällt. Die Erzeuger legen bei jedem Schwein mindestens 20 Euro drauf und die Fleischunternehmen sitzen auf fehlender Kapazitätsauslastung und engen Margen sowie übervollen Kühllägern. Vielleicht lernen beide Seiten, dass die Zukunft des Fleischmarktes die mengenbegrenzende Qualitätserzeugung und der Binnenmarkt ist und nicht die gezielte Massenproduktion für die ganze Welt. Das wäre dann nicht nur ein Umbau der Tierhaltung, sondern ein Umbau des Marktes. Man wird ja mal träumen dürfen.
05.07.2021

Die Tierzahlen sind weiter gesunken. Foto: FebL