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10,80 Euro Mindestlohn in der Fleischwirtschaft beschlossen + Streit um Schweinepreise verschärft sich + Greenpeace protestiert bei Edeka

 

10,80 Euro Mindestlohn in der Fleischwirtschaft beschlossen
Fleischwirtschaft und Gewerkschaft NGG haben sich auf einen branchenspezifischen Mindestlohn geeinigt. Für die 160.000 Beschäftigten in den Schlachthöfen und Wurstfabriken gilt nun die neue Lohnuntergrenze von 10,80 € pro Stunde. Schrittweise soll der Mindestlohn über 11 Euro Anfang 2022 bis auf 12,30 € zum 1.12.2023 angehoben werden. Der Tarifvertrag gilt bis 30.11.2024. Damit liegt der „Fleischermindestlohn“ deutlich über dem gesetzlichen, der zur Zeit bei 9,50 € liegt und bis 1.7.2022 auf 10,45 € steigt.

Beim Bundesarbeitsministerium werden die Vertragsparteien jetzt die Allgemeinverbindlichkeit für die gesamte Branche beantragen. Dann sind alle Unternehmen der Branche daran gebunden, unabhängig davon ob sie Mitglied des Arbeitgeberverbandes sind oder nicht. Damit gibt es erstmalig einen allgemeingültigen Tarifvertrag für die Fleischindustrie. In einem Manteltarifvertrag sollen nach Angaben der Gewerkschaft die Mindestarbeitsbedingungen wie Arbeitszeit, Zeitkonten, Zuschläge und Urlaub noch geregelt werden.

„Diesen Tarifabschluss haben die Beschäftigten mit zahlreichen Streiks durchgesetzt. Vom neuen Branchenmindestlohn profitieren zehntausende Menschen und bekommen spürbar mehr Geld für ihren Knochenjob,“ bewertete der stellvertretende NGG- Vorsitzende Adjan das Ergebnis. Nach dem Verbot der Werksverträge durch das Arbeitsschutzkontrollgesetz sei der Tarifvertrag „ein zweiter ganz wichtiger Baustein für ordentliche Bedingungen in der Fleischbranche,“ so Adjan.

Für den Teilbereich der Fleischverarbeitung haben die Vertragsparteien die Möglichkeit des Einsatzes von Leiharbeit in dem vom Gesetz vorgegebenen geringen Umfang vereinbart. Dafür war der Abschluss des Tarifvertrages eine Vorbedingung. Besonders Mittelständler hatten auf ein Ergebnis gedrängt, damit sie in Arbeitsspitzen („Grillzeit“) zusätzliche Arbeiter auf Leihbasis einstellen können. Die Verbandsvertreter der Fleischindustrie stimmten einstimmig zu, zeigten sich aber reserviert, bedeute er doch eine 30%ige Erhöhung in den nächsten 2,5 Jahren. Wenn man den tatsächlichen Lohn der meist südeuropäischen Werksvertragsarbeiter in den letzten Jahren zugrunde legt, dürfte der Anstieg noch höher sein. „Zahlreichen Betrieben der Fleischwirtschaft wird damit viel zugemutet,“ erklärte Verbandssprecher Alemic. Man habe mit den Kostenerhöhungen schwer zu kämpfen. Die Einstimmigkeit belege aber, dass man sich deutlich zu sozialpartnerschaftlichen Lösungen bekenne, was die NGG seit Jahren anders sieht. Besonders die Allgemeinverbindlichkeit sei wichtig, da sonst eine Zweiklassengesellschaft auf den Schlachthöfen drohe. Selbst neutrale Marktkenner sprachen daraufhin von Heuchelei, weil gerade die Fleischbranche viele Jahre die Trennung von Belegschaft und Werkvertragsarbeitern auf die Spitze getrieben und davon profitiert habe. Auch Clemens Tönnies begrüßte als Branchenführer auf seiner homepage das Ergebnis, schließlich hatte er unter dem Eindruck von Corona- Maßnahmen im letzten Jahr selbst einen Mindestlohn von 12 Euro in die Diskussion gebracht und war damit auf heftigen Widerstand gestoßen.
Der Marktbeobachter meint, dass dieser Beschluss längst überfällig war und erst durch die Diskussion um die Arbeits- und Lebensverhältnisse im Coronajahr endlich durch den Gesetzgeber und dann durch die Tarifparteien in Angriff genommen wurde. Damit wurde die Fleischindustrie aus einem politisch geduldeten Ausbeutungssystem gesetzlich ungeschützter Werksarbeiter, die immerhin 60% - 70% der Belegschaften ausmachten, zu einer „normalen“ Industrie mit allen Vor- und Nachteilen - mit Arbeitsverträgen, Tarifverträgen, Betriebsräten, mit Konflikten um Standorte, Anstellungen, Kündigungen, Streiks usw. Natürlich ist längst nicht alles gut, die Arbeit mit den und für die Beschäftigten im und außerhalb des Betriebes (Wohnungen, Sprache, Integration) beginnt erst. Dass man die Ankunft einer Industrie im 21. Jahrhundert als Sieg von Ausgleich und Gerechtigkeit feiert, ist eher ein Armutszeugnis für die Branche und insgesamt für die Marktwirtschaft als ein Zeichen von Stärke.
Gespannt darf man sein, ob sich auch Schweineverbände äußern und ob sie wieder vor der Gefahr der erhöhten Fleischpreise warnen, die die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen (Billig-)Fleischproduktion behindere.   

 

Streit um Schweinepreise verschärft sich
Für den einen Marktkenner ist es eine Eskalation, für den anderen ist es ein zurück zu normalen Preiskämpfen am Schweinemarkt. Jedenfalls hat die Vereinigung der Erzeugergemeinschaften (VEZG) in der vergangenen Woche die Schweinenotierung um 3 Cent auf 1,57 €/kg hinaufgesetzt. Die Fleischindustrie widersetzt sich dieser Erhöhung. Die drei großen Fleischkonzerne Tönnies, Vion und Westfleisch gaben sogenannte Hauspreise bekannt und beließen den Preis auf Vorwochenhöhe. Da sie etwa 60% des Schweinemarktes beherrschen, gaben sie damit ein deutliches Signal an die anderen Marktteilnehmer, ebenfalls die Erhöhung zu blockieren. Kleinere Schlachthöfe und der Mittelstand hängen aber viel stärker an der VEZG- Notierung. Eigene Preise („Hauspreise“) sind für sie viel schwieriger, da sich Produzenten und Viehhändler dann schnell für kleinere Mengen einen anderen Abnehmer suchen. Deshalb geschieht es häufig, dass sich Mittelständler an die Konzerne wenden, damit sie stellvertretend die Notierung drücken.

Dabei ist wichtig zu wissen, dass die VEZG erzeugerseitig die Notierung nach eigener Markteinschätzung macht und nicht nach Verhandlung mit den Abnehmern. Dieser „Vorschlag“ hat sich inzwischen als Preisorientierung bewährt. Europäische Schweineorganisationen beneiden die deutsche Lösung. Die Abnehmer akzeptieren oder halten mit eigenen „Haus“-Preisen dagegen. Während z.B. 2018 einzelne Fleischkonzerne 4 bis 8 mal mit eigenen Preisen reagierten, haben sich die „Hauspreissünden“ in den letzten zwei Jahren stark reduziert. Mal waren die Erzeuger zufrieden (Winter 2019/2020) oder trauten sich angesichts des Schweinestaus (Herbst/ Winter 2020/ 2021) nicht an höhere Forderungen, mal hielt sich die Industrie zurück angesichts der Treckerdemonstrationen und Blockaden bei Schlachthöfen und Handel.   

Worum geht es aktuell?
Hintergrund des aktuellen Konfliktes ist die unterschiedliche Markteinschätzung der „grünen“ (landwirtschaftlichen) und „roten“ (Verarbeiter) Seite. Die Interessengemeinschaft der Schweinehalter (ISN) sieht durch das begrenzte Schweineangebot und die Belebung der Gastronomie und das Grillgeschäft gute Nachfrageimpulse, die den Preisanstieg rechtfertigen, zumal der deutsche Preis europaweit (gegenüber Spanien, Italien, Dänemark, Frankreich) hinterherhinke. Deshalb laufe auch der Absatz rege. Außerdem seien die Kosten (Futter, Ferkel) drastisch gestiegen, so dass unter 1,70 €/kg nichts verdient werde.

Die Schlacht- und Zerlegebetriebe beklagen dagegen, dass zwar einige Artikel wie Filet und Spareribs sehr gut nachgefragt werden, aber bei wertbildenden Artikel wie Kotelett und Schinken geradezu ein Preisdumping herrsche. Begründet wird es durch die noch prall gefüllten Tiefkühlläger, den rückläufigen Fleischverzehr und die seuchenbedingten schwächelnden deutschen Drittlandsexporte. Allmählich stelle sich auch für andere Länder wie Spanien oder Dänemark eine Flaute auf den Exportmärkten, vor allem nach China ein, die dadurch auf den heimischen Markt drängen. Weltweit gäbe es ein Überangebot.

Die Nachfrage aus Fernost erlebt derzeit eine Delle oder den Anfang vom Ende des Booms. Das betrifft noch nicht so sehr die Mengen als die Margen. In China ist der Schweinepreis seit Januar um 50% gefallen. Mit zunehmender Eigenversorgung in China wird das die Turbulenzen auf den Märkten gerade auch in Europa als dem größten Exporteur verschärfen. Nicht umsonst wirft die Fleischbranche immer stärker ihren Blick auf den europäischen oder gar heimischen Markt und die sich dort entwickelnde Marktdifferenzierung.

 

Greenpeace protestiert bei Edeka
Riesige Protestbanner hat Greenpeace Anfang Juni vom Dach der Edeka- Zentrale in Hamburg heruntergelassen. Man wirft dem größten heimischen Handelskonzern vor, der gerade einen Umsatzschub auf 61 Mrd. € für 2020 verkündet hat, Tier- und Klimaschutz zu missachten. Das Banner trug die Aufschrift „Edeka, Tier- und Klimaschutz – das könnt ihr besser!“ Die Kritik bezieht sich darauf, dass der Branchenprimus als einziger großer deutscher Lebensmittelhändler es ablehne, Fleisch der Haltungsform 1 aus dem Sortiment zu entfernen. Die Stufe 1 beinhaltet nur den gesetzlichen Standard, also auch die tierwidrige Haltung der Schweine in Vollspaltenställen, die Erlaubnis des Schwanzkupierens, des Schnäbelkürzen von Hähnchen und Puten oder die ganzjährige Anbindehaltung von Milchkühen.

„Es ist Zeit, dass Edeka kein Fleisch mehr aus der schlechtesten Haltungsform anbietet,“ begründet Christiane Huxdorff die Aktion. „Diese Art von Tierhaltung hat keine Zukunft. Edeka muss jetzt beginnen, sich für eine Landwirtschaft einzusetzen, die Tiere, Menschen und Klima schützt.“ Auch vor weiteren Filialen hat Greenpeace protestiert.

Edeka weist „die rechtswidrigen Aktionen in aller Schärfe“ zurück und verweist auf seine regelmäßigen Gespräche mit NGO’s zum Tierwohl. Außerdem habe man sein Engagement „massiv ausgebaut“ und sei vielfach „Vorreiter in der Branche“. Edeka stehe für hohe regionale Vielfalt und partnerschaftliche Beziehungen zur heimischen Landwirtschaft. „Gemeinsam bauen wir unser Angebot von Fleisch in höheren Haltungsstufen, wie Bio- Qualität seit Jahren deutlich aus,“ lässt Edeka verlautbaren.

Trotzdem bleibt Edeka beim Tierwohl als auch bei Biofleisch deutlich hinter z.B. Aldi zurück. Und auf die konkrete Kritik von Greenpeace nach dem Ausstieg aus der Stufe 1, den beispielsweise Lidl und Aldi bereits angekündigt haben, bleibt die Edeka- Zentrale eine Erklärung schuldig. Vielleicht überdenkt Edeka ja durch diese Aktionen ihr „massives Engagement“.