„Endlich bekommen wir es mal honoriert“

Dorothee Lindenkamps Betrieb in Hünxe am Niederrhein liegt am Rande des Ruhrgebiets, die Zeche in zwei Kilometer Entfernung schloss 2007. Auf den übriggebliebenen Halden stehen mittlerweile große Windräder.

„Bei uns ist Kiesunterboden, da läuft das Wasser schnell ab. Das merken wir bei der Trockenheit zur Genüge“, sagt sie, während sie auf die immer noch trockene Wiese blickt. Die engagierte rheinische AbLerin ist eine erfahrene Milchbäuerin und kennt noch jede ihrer 68 Kühe beim Namen. „Das war bei uns immer so, und ich hab das beibehalten.“ Die Kuhzahl passte bisher auch immer gut zur Flächenausstattung des Betriebes, der mit 44 ha Ackerland und 20 ha Grünland das Grundfutter selber produzierte. „Doch die vergangenen drei Dürrejahre haben mich gezwungen, weniger Jungvieh aufzuziehen und Grundfutter zuzukaufen.“

Milch mit Tierschutzlabel

„Vor zwei Jahren ist unsere Molkerei Moers auf uns zugekommen und hat gefragt, wer mitmachen will bei einer Premium-Tierschutzmilch. Man hat uns dann erklärt, dass der Handel sich dafür interessiert und der Deutsche Tierschutzbund ein Tierschutzlabel ‚Für mehr Tierschutz’ mit hohen Tierhaltungskriterien aufgelegt hat.“ Dorothee Lindenkamp musste für die „neue“ Milch nicht sehr viel umbauen. Seit über 20 Jahren hat sie einen Boxenlaufstall, der seinerzeit nach den Richtlinien der artgerechten Tierhaltung gebaut wurde, z. B. mit eingestreuten Liegeboxen und für damalige Verhältnisse mehr Platz pro Tier. Seit sieben Jahren melkt aus Arbeitsgründen sogar ein Melkroboter die Kuhherde, mit dem sie ganz zufrieden ist, „auch wenn es eine relativ teure Art zu melken ist“. Die Kombination von Melkroboter und Weide ist aufwendiger, aber durchaus machbar.

Strenge Richtlinien

Nach den Richtlinien der Premiumstufe des Deutschen Tierschutzbundes (DTB) ist nicht nur z. B. Überbelegung streng verboten. Die Kriterien verlangen außerdem an mindestens 120 Tagen im Jahr für mindestens sechs Stunden Weidegang. Da sie einige Weiden direkt am Stall hat, erfüllt Dorothee Lindenkamp die Anforderung von 1.000 qm Weide pro Tier. „Weidegang vom Frühjahr bis Herbst hatten wir aber auch immer schon. Wir mussten keine Zäune neu bauen wie andere Betriebe, die durch die Teilnahme an der Premiumstufe ihre Kühe wieder oder zum ersten Mal nach draußen lassen.“ Zusätzlich hat sie einen Laufhof mit Liegeboxen gebaut, weil Zugang zum Außenklima ganzjährig vorgeschrieben ist. „Den nehmen die Tiere gern an. Auch ohne die Anforderungen des Programms wäre der Anbau sinnvoll gewesen. Die Tiere haben mehr Bewegung auch im Spätherbst und Winter und genießen jeden Sonnenstrahl.“ Futter aus gentechnisch veränderten Komponenten ist verboten. Auch Soja aus Übersee kommt nicht in den Trog. „Ich will schon eine gute Milchleistung erzielen, wir haben fast 10.000 Liter pro Kuh, aber 12.000 Liter sind bestimmt nicht mein Ziel.“

Molkerei Gropper organisiert

Die Tierschutzlabel-Milch der Premiumstufe organisiert die Molkerei „Moers Frischeprodukte“, die 2018 als Joint Venture von Dr. Oetker und der bayerischen Molkerei Gropper gegründet wurde. Gropper (677 Mio. Euro Umsatz, 961 liefernde Bauern, 481 Mio. kg Milch) ist eigentlich eine Molkerei für Handelsmarken, führt also keine eigenen Marken. Der Chef Heinrich Gropper klagt, dass ein „extrem harter Verdrängungswettbewerb“ herrsche. Er weiß, dass Handelsmilch austauschbar ist. Aber er weiß auch, dass „sich der Milchmarkt weiter differenziert“. Deshalb hat man 2009 ein Regionalkonzept entwickelt und die GVO-freie Fütterung eingefordert. Und er hat sich auch frühzeitig im Biomilchmarkt engagiert. Zur Zeit liefern etwa 130 Biobetriebe 80 Mio. kg Biomilch, ab dem nächsten Jahr sollen 40 Mio. kg dazukommen. Seit 2017 der DTB sein Label-Milchkonzept vorstellte, arbeitet man zusammen. Schließlich sei es mit Aldi zum Abschluss gekommen, in Bayern mit der Einstiegsstufe, in NRW im Premiumbereich. „In unserer Region Nordschwaben/Oberbayern ist die Weidehaltung nicht verbreitet. Deshalb konnten wir hier keine Premiummilch anbieten“, begründet Milchviehberater Christian Hurler die Entscheidung. Inzwischen baue man die Premiumschiene über die aktuellen 24 Mio. kg aus.

Vier Cent Aufschlag

In Bayern machten Ende 2020 107 Betriebe mit. Bei Moers Frischeprodukte liefern 18 Betriebe Premiummilch an. Bundesweit sind etwa 300 Milchbetriebe für das Label lizensiert (40 % in der Premiumstufe). Laut Tierschutzbund stehen noch über 100 Betriebe auf der Warteliste. Insgesamt sind sechs Molkereien für die Premiumstufe und fünf Molkereien für die Einstiegsstufe zertifiziert. Gropper zahlt für die Premiummilch einen Aufschlag von vier Cent. Basispreis ist der Durchschnitt der besten fünf der zehn umliegenden Molkereien. „Vier Cent sind schon gut“, sagt Dorothee Lindenkamp, „sie haben mir in den Dürrejahren sehr geholfen. Außerdem wird endlich mal honoriert, was wir machen. Manche wundern sich, weil wir doch gar nicht so viel ändern mussten. Aber das ist doch gut, dass artgerechte Tierhaltung und gute Qualität bezahlt wird. Und nicht gesagt wird, warum sollt ihr mehr bekommen für etwas, das ihr sowieso schon macht. Sonst bekommt man immer nur mehr Auflagen, z. B. bei QM, aber bezahlt wird dafür nichts.“

Mehr als nur Ausgleich

„Es ist von Betrieb zu Betrieb unterschiedlich,“ erklärt Christian Hurler. „Manche müssen einiges investieren, um in der Premiumstufe mitzumachen. Und für die muss es sich auch lohnen, sonst finden wir keine Betriebe. Ziel soll nicht nur ein Ausgleich für den Aufwand sein, sondern auch ein gewisser Mehrwert für die Leistung und den Tierschutz.“ Sicherlich ist die Anerkennung mit zusätzlichem „Papierkram“ verbunden. Milchbäuerin Lindenkamp zeigt einen Ordner mit Lieferscheinen, Tierarztbelegen, Dokumenten für den Weidegang usw. „Natürlich nervt dieses ständige Aufschreiben. Aber wir sind es schon gewöhnt. Die Kontrollen, viermal im Jahr, sind okay und fair. Wir wurden gut eingewiesen, es gibt Fortbildungen und eine Beratung durch den Tierschutzbund. Aber noch wichtiger sind die beiden Erzeugerberater von Gropper. Sie kommen aus Bayern vom Hof und kennen die Praxis. Wenn es Fragen gibt, sind sie genau die richtigen Ansprechpartner für uns.“

Engagement gefragt

Denn mit Bauern und Bäuerinnen umzugehen ist nicht immer leicht. Dorothee Lindenkamp ist stellvertretende Vorsitzende ihrer Milcherzeugergemeinschaft (MEG Moers). „Gerade bei unserer Milch ist die Einhaltung der Regeln für die Glaubwürdigkeit sehr wichtig. Die meisten sind mit Engagement dabei. Wer sich aber so durchwursteln will, z. B. bei der Weidehaltung, gefährdet das ganze Programm. Mich nervt manchmal, dass manche Berufskollegen immer noch unzufrieden sind oder bestimmte Kriterien in Frage stellen. Generell müssen wir aufpassen, dass die Auflagen nicht immer höher werden, die Erzeugerpreise aber stagnieren. Daher ist eine unabhängige Kontrolle genau richtig.“

17.05.2021
Von: Hugo Gödde, Marktbeobachter

Dorothee Lindenkamp und ihre Tierschutzlabel-Kühe Foto: Dott