Konsequenzen aus der Brandkatastrophe: Agrarindustrie stoppen – Umbau der Tierhaltung anpacken

Eine der größten Zuchtschweineanlagen Europas ist am 30. März abgebrannt. Mehr als 50.000 Schweine sind unter großen Qualen verbrannt. Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) e.V. kritisiert, dass bislang offensichtlich niemand die Verantwortung übernehmen will, weder der Betreiberkonzern LFD, noch der Eigentümer Terra Grundwerte AG, noch die Landesregierung. Die AbL prüft derzeit rechtliche Schritte. Unterdessen erklärt Landwirtschaftsminister Till Backhaus, dass er einen Wiederaufbau der Anlage „so wie sie bisher war“ nicht unterstützen werde. Er kündigt nach Rücksprache mit den Betreibern und dem Eigentümer eine Modeallanlage „Stall 4.0“ mit „Strahlkraft weit über die Landesgrenzen hinaus“ an. Die Tierschutzorganisation ProVieh kritisiert den Schulterschluss mit dem Betreiber. Eine Aufarbeitung der Brandursache und die Benennung der Verantwortlichen fordert Franz-Joachim Bienstein, Bauer aus Martensdorf und Sprecher der AbL-Mecklenburg-Vorpommern. „Alle wollen nach kurzzeitiger Aufregung wieder zur Tagesordnung übergehen. Statt Fehler in der Vergangenheit einzugestehen und einen Paradigmenwechsel anzupacken, setzen die Verantwortlichen auf ‚Weiter so‘ und beschäftigen sich mit dem Wiederaufbau der Megaställe. Ein ,Weiter so‘ darf es aber nicht geben. Diese Brandkatastrophe ist eine Zäsur, die tiefgreifende agrarpolitische Konsequenzen von Bund und Land erfordert. Die AbL prüft zurzeit rechtliche Schritte gegen die LFD, gegen die Terra AG und gegen die Landesregierung, weil wir wollen, dass die Ursachen der Brandkatastrophe und die Hintergründe zur Genehmigung der Megaställe auf den Tisch kommen“, erklärt Bienstein. Die Betreiber und die Besitzer der Anlage und auch die Landesregierung wissen seiner Ansicht nach, was sie getan haben und was sie tun. „Sie haben wissentlich – trotz vielfacher massiver Proteste und rechtlicher Bedenken – nicht nur den Bau der Anlage möglich gemacht. Die Landesregierung und ihr dienstältester Landesagrarminister Till Backhaus haben den Agrarindustriellen bewusst den roten Teppich ausgerollt. Mehr noch: Sie hat trotz vorliegender agrarpolitischer Alternativen die industrielle Tierproduktion mit einem ,Immer höher, schneller, intensiver‘ auf die Spitze getrieben. Längst schon gibt es sehr gewichtige Stimmen, die zum Umdenken und Handeln auffordern“, sagt Bienstein und verweist auf das seit 2015 vorliegende Gutachten ,Wege zu einer gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung‘ des Wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik beim Bundeslandwirtschaftsministerium und die dem Bund und den Ländern vorliegenden Empfehlungen des Kompetenznetzwerks Nutztierhaltung, das eindringlich den Umbau der Tierhaltung einfordert, um nicht noch mehr Höfe und Wettbewerbsanteile zu verlieren und endlich eine artgerechte Tierhaltung zu ermöglichen. Bienstein führt weiter aus: "LFD, Terra AG und auch Landesminister Backhaus nehmen wissentlich in Kauf, dass bäuerlichen Betrieben systematisch durch agrarindustrielle Unternehmen wirtschaftlich das Wasser abgegraben wird. Fast jeder zweite schweinehaltende Betrieb im Bundesgebiet musste in den letzten zehn Jahren die Schweinehaltung für immer aufgeben, weil weder Bundeslandwirtschaftsministerin Klöckner noch Landesagrarminister Backhaus die agrarindustrielle Entwicklung stoppen wollten. Es reicht jetzt. Mit Blick auf die anstehenden Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern sowie den Bundestagswahlen im Herbst dieses Jahres rufen wir die Bürgerinnen und Bürger auf, nur die Kandidatinnen und Kandidaten zu wählen, die sich konsequent für bäuerliche Landwirtschaft, für den Stopp der industriellen Tierfabriken und für ein Ausbremsen der außerlandwirtschaftlichen Investoren einsetzen. Nur die Parteien sollten unsere Stimmen bekommen, die den von der Zivilgesellschaft und von breiten Teilen der Landwirtschaft gewollten Umbau zu einer artgerechten Nutztierhaltung wirtschaftlich unterstützen und politisch ernsthaft anpacken wollen.“ Backhaus kündigt Bundesratsinitiative an
Anlässlich einer Demonstration von Tier- und Umweltschützern vor dem Landtag zeigt Backhaus Verständnis für die Emotionen der Menschen, die gegen große Tierhaltungsanlagen demonstrieren, sieht sich jedoch nicht in der Verantwortung. „Der verheerende Brand in Alt Tellin war ein Fanal für die gescheiterte Idee der Tierproduktion. Deswegen habe ich auch heute nochmals deutlich gemacht, dass ich schon immer für eine bodengebundene Landwirtschaft geworben habe. Dennoch gibt es Gesetze, an die auch ich mich zu halten habe, die Anlagen wie in Alt Tellin ermöglichen. Ich möchte diese Anlagen nicht. Deswegen habe ich mich mit dem Eigentümer darauf, geeinigt, dass die Anlage, so wie sie bisher genehmigt war, nicht wiedererrichtet wird“, erklärt der Minister. Damit dies auch nicht an anderer Stelle passiert, müssten möglicherweise Gesetze geändert werden. „Ich denke da speziell an das Thema Brandschutz. Dafür haben aber leider die Landwirtschaftsminister keine Zuständigkeit. Deswegen sind Bemühungen, den Tierschutz und den Brandschutz in Tierhaltungsanlagen zusammenzudenken, bisher gescheitert“, so Backhaus, der jetzt einen erneuten Versuch starten will. „Gemeinsam mit Brandenburg wollen wir über den Bundesrat erreichen, dass sich die Bundesregierung über den Zusammenhang von Tierobergrenzen und Brandschutz Gedanken macht. Ich bin zuversichtlich, dass das bereits im Mai den Bundesrat erreicht“, kündigt er an. So etwas wie in Alt Tellin dürfe sich nicht wiederholen. Da herrsche nicht nur unter Tierschützern und Umweltverbänden Einigkeit, sondern auch in der Politik. Der Minister hat nach eigenen Angaben mit dem Eigentümer und den Geschäftsführern der abgebrannten Zuchtanlage gesprochen und ist „froh, dass auch sie erkennen, dass solche Betriebe nicht in die Zeit und nicht nach Mecklenburg-Vorpommern passen“. Einen Wiederaufbau der Sauenzuchtanlage, so wie sie bisher genehmigt war, wird es laut Backhaus nicht geben. „Wir haben uns darauf verständigt, in Alt Tellin ganz neue Wege zu gehen. Es soll dort eine Modellanlage der Zukunft entstehen – ein „Stall 4.0“. Mein Anspruch ist eine bodengebundene Landwirtschaft mit 2 Großvieheinheiten je Hektar, Stallungen, die den neuesten wissenschaftlichen und technischen Kenntnissen entsprechen, für mehr Tierwohl und das Ganze im Paket mit guten Arbeitsplätzen. Für solch ein Projekt müssen viele Menschen zusammenarbeiten. Das könnte in einem Beirat geschehen, bestehend aus Mitgliedern der Gemeinde, des Landkreises und der Verbände zum Beispiel BUND und Tierschutzbund, erklärt der Minister. Zusätzlich soll das Projekt wissenschaftlich begleitet werden – zum Beispiel durch das Thünen-Institut. „Ich biete mich gerne an, diesen Prozess zu moderieren und die Akteure an einen Tisch zu holen. Verabredet wurde, dass die LFD nun einen Konzeptvorschlag erarbeitet, damit wir möglichst bald ins Handeln kommen. Es ist bedauerlich, dass erst ein verheerender Brand geschehen musste und so praktisch zum Fanal einer fehlgeschlagenen Idee der Tierproduktion wurde. Aber wenn wir es klug anstellen, kann aus der Asche der Anlage in Alt Tellin ein Zukunftsmodell entstehen, das eine Strahlkraft weit über unsere Landesgrenzen hinaus entwickelt“, erklärt Backhaus abschließend. ProVieh kritisiert Schulterschluss mit Betreiber
Der Hauptstadtreferent bei der Tierschutzorganisation ProVieh, Patrick Müller, kritisierte laut Agra Europe (AgE), dass mit der LFD ausgerechnet das Unternehmen, welches „in der Vergangenheit seine besondere Unzuverlässigkeit und Gnadenlosigkeit gegenüber Lebewesen bewiesen hat“, den Modellstall der Zukunft mitentwickeln solle. Das sei ein Schlag ins Gesicht aller Landwirte, die sich um eine tierschutzgerechte Schweinehaltung bemühten. „Statt den Schulterschluss mit diesem Betreiber zu suchen, sollten diesem im Gegenteil alle Genehmigungen für Schweinehaltungsanlagen entzogen werden”, forderte Müller laut AgE. Der Brand in Alt Tellin habe gezeigt, dass Anlagen dieser Größenordnung nicht beherrschbar seien. Solche Tierfabriken dürften deshalb nie wieder genehmigt werden, und bestehende Genehmigungen müssten zurückgenommen werden.