„Ist der Wille zur politischen Transformation da?“

Interview mit Prof. Friedhelm Taube, Abteilung Grünland und Futterbau der Universität Kiel Unabhängige Bauernstimme: Herr Professor Taube, die Landwirtschaft in Deutschland ist hocheffizient und leistungsstark. In der aktuellen Diskussion werden immer wieder Stimmen laut, die fordern, diesen Standortvorteil zu nutzen, um Nahrungsmittel nicht nur für uns, sondern auch in zunehmendem Maß für den Export zu produzieren. Prof. Dr. Friedhelm Taube: Man muss festhalten, dass wir in den letzten 15 bis 20 Jahren den Selbstversorgungsgrad massiv gesteigert haben. Das gilt insbesondere für die Bereiche Schweinefleisch sowie Milch. Hier liegen wir jeweils weit über 100 Prozent. Das hat zu einer sehr hohen Intensität und regionalen Dichte in der Tierhaltung geführt, die zusätzlich durch eine viel zu schwache Düngegesetzgebung befördert wurde. Diese Rahmenbedingungen haben sich in den vergangenen Jahren deutlich verschoben. Die Anforderungen an Düngung und Tierwohl steigen kontinuierlich. Brauchen wir also einen neuen Ansatz? Als Forscher haben wir ja die Aufgabe, Perspektiven für die kommenden Jahrzehnte zu erarbeiten. Wir suchen nach Antworten auf die Veränderungen durch den Klimawandel und nach einem Umgang mit den gesellschaftlichen Anforderungen an die Landwirtschaft. Mit dem Green Deal und der Farm-to-Fork-Strategie ist der Rahmen klar abgesteckt. Bis 2050 soll die EU demnach klimaneutral werden und deutlich vorher müssen wir die Nährstoffbelastung der Gewässer reduzieren. Wir können also nicht mehr so weitermachen wie bisher. Derzeit werden viele durch die Produktionsweise entstehende Kosten direkt auf die Gesellschaft umgelegt. Könne Sie ein Beispiel geben? Bei der Düngung sind zum Beispiel drei Viertel des Überschusses direkt ökosystemrelevant und führen zu Beeinträchtigungen, für die die Öffentlichkeit aufkommt. Wird das finanziell bewertet, dann entstehen bei den aktuellen sektoralen N-Überschüssen zwischen 90 und 100 kg N/ha in Deutschland Kosten von ca. 1.000 Euro/ha, die die Gesellschaft zahlt. Zusätzlich finanziert die Gesellschaft aber auch die Mittel der ersten Säule, die eigentlich sicherstellen sollen, dass sogenannte Querschnittsaufgaben wie der Schutz des Wassers, der Luft und der Biodiversität erfüllt werden. Das stellt die aktuelle Diskussion um „rote Gebiete“ gleich in einen ganz anderen Zusammenhang. Das stimmt vor allem deshalb, weil in dieser Debatte aktuell nur das Grundwasser betrachtet wird. Die Nitratrichtlinie adressiert aber alle Gewässer. Für Schleswig-Holstein und auch Niedersachsen gilt: Wenn die Nährstoffbelastungen der Oberflächengewässer mit einbezogen werden (Zielvorgaben des Meeresschutzes: max. 2,8 mg Nges/l), dann ist fast die gesamte landwirtschaftliche Fläche in Norddeutschland „rot“ – sich nur auf das Grundwasser zu fokussieren, ist also absolut unzureichend. In ihren Vorträgen zeigen Sie, dass der hohe Ertrag auch mit großen Umweltbelastungen einhergeht. Welche Alternativen sehen Sie für die Landwirtschaft? In Bezug auf die Umwelteinflüsse erfüllt der Ökolandbau viele der notwendigen Anpassungen. Allerdings geht dies zulasten der Erträge. Ich plädiere daher für eine dreiteilige Strategie für die Zukunft: Zum einen für den Ausbau des Ökolandbaus auf ein Niveau von 20 Prozent entsprechend der Nachhaltigkeitsstrategie. Diesen Anteil brauchen wir schon deshalb, um die notwendige Biotopvernetzung für den Erhalt der Biodiversität und eine Reduktion der Nitratausträge zu erreichen. Zum Zweiten benötigen wir meines Erachtens ebenfalls mit einem Flächenumfang von mindestens 20 % eine Form der Landwirtschaft, die über ökologische Intensivierung zu Formen von Hybridlandwirtschaft führt. Darunter verstehe ich ein System, welches die Vorteile des Ökolandbaus mit denen einer gezielten, angemessenen mineralischen Düngung innerhalb einer Fruchtfolge vereint. Ein Beispiel: Eine sechsgliedrige Fruchtfolge würde sich in einen zu 50 % ökologischen Teil mit zwei Mal Kleegras zur Nutzung in der Milchviehfütterung, gefolgt von einer Sommerung (z. B. Speisehafer) und einen zu 50 % „konventionellen“ Teil mit z. B. Raps, Weizen, Gerste aufteilen. So kämen wir zu Win-win-Situationen über die gesamte Fruchtfolge betrachtet: eine deutliche Reduktion des chemischen Pflanzenschutzes und eine Verringerung der Stickstoffsalden bei weiterhin guten Erträgen. Wenn dann der ökologische Teil der Fruchtfolge entsprechend der Umstellungsbeihilfen zum Ökolandbau honoriert würde, wäre das ein Weg, die Praxis mitzunehmen. Als dritte Option bleibt dann mittelfristig für gut die Hälfte der landwirtschaftlichen Flächen die auf alleinige Marktorientierung ausgerichtete konventionelle Landwirtschaft auf Basis des Fachrechts. Allerdings dann ohne die bisherige pauschale Flächenförderung, die schon jetzt in vielen Fällen direkt an die Verpächter durchgereicht wird und nicht zielgerichtet ist. Was passiert in den reinen Grünlandregionen? Auch hier werden wir gerade in Norddeutschland deutliche Veränderungen erleben, wenn wir bis 2050 klimaneutral werden wollen. Die landwirtschaftlich genutzten Moore machen in Deutschland etwa fünf Prozent der landwirtschaftlichen Fläche (vornehmlich Futterbau) aus, sind aber für 50 Prozent der Treibhausgasemissionen (THG) aus landwirtschaftlicher Bodennutzung und damit für 4,4 Prozent der bundesdeutschen THG-Emissionen verantwortlich. Wenn die Klimaschutzziele erreicht werden sollen, wird die Milch bis 2050 weitgehend aus den Mooren abwandern müssen. Hier werden neue Nutzungskonzepte und Einkommensoptionen (z. B. Wiedervernässung, zum Teil möglicherweise kombiniert mit Agro-Photovoltaik) zu entwickeln sein. Der von Ihnen vorgestellte Ansatz der ökologischen Intensivierung läuft dem aktuellen Trend hin zu immer spezialisierteren Ackerbaubetrieben auf der einen und Viehhaltungsbetrieben auf der anderen Seite entgegen. Die Strukturen haben sich in den vergangenen Jahrzehnten auch räumlich auseinanderentwickelt. Auf unserem ökologisch bewirtschafteten Versuchsbetrieb Lindhof können wir zeigen, dass der Ansatz funktioniert. Hier haben wir Ackerbau und Milchvieh in einem Betrieb und zusätzlich eine Kooperation mit einem ökologisch wirtschaftenden Ackerbaubetrieb, der uns Kleegras liefert, und wir transferieren ihm die gleichen Stickstoffmengen als Mist zurück. So gewinnen beide. Und solche Tendenzen sehen wir auch zunehmend auf den großen konventionellen Betrieben im Nordosten Deutschlands, weil der reine Marktfruchtbetrieb im Klimawandel an seine Grenzen stößt. Diese positiven Trends bis hin zur Hybridlandwirtschaft gilt es auch durch eine gezielte Anreiz- und Förderpolitik in den kommenden Jahren zu unterstützen. Mit dem Ziel der Klimaneutralität und dem Instrument der Eco-Schemes ist der Rahmen hierfür gegeben. Der Deutsche Verband für Landschaftspflege (DVL) hat mit der Gemeinwohlprämie ein Konzept für eine zukunftsfähige Honorierung wirksamer Biodiversitäts-, Klima-, und Wasserschutzleistungen in der Gemeinsamen EU-Agrarpolitik (GAP) entwickelt. Der Ansatz ist inzwischen auch von anderen Forschungseinrichtungen, wie dem bundeseigenen Thünen-Institut geprüft und für sehr geeignet befunden worden. Die Instrumente zur ökologischen Intensivierung sind da – die Frage ist vielmehr, ob der politische Wille zur Transformation auch da ist? Wie viel Zeit haben wir noch für einen Umbau? Jede weitere Verzögerung erhöht die Kosten für die Gesellschaft und damit für jeden Bürger weiter. Im Augenblick sieht es jedoch eher danach aus, dass die beharrenden Kräfte (Fortsetzung der Honorierung von Landbesitz mit der ersten Säule statt Honorierung von Gemeinwohlleistungen) obsiegen. Vielen Dank für das Gespräch! mn
14.03.2021
Von: mn

Prof. Friedhelm Taube Foto:privat