Bund legt unzureichende Eckpunkte für tierschutzkonforme Putenhaltung vor

Der Bund hat den Bundesländern ein Eckpunktepapier zur bisher nicht geregelten Putenhaltung vorgelegt. Das führt nach Ansicht der Tierschutzbeauftragten des Landes Hessen jedoch nicht zum Ziel einer tierschutzkonformen Haltung wie sie beispielsweise in einer jetzt in Österreich veröffentlichten Studie zur Haltung von Mastputen vorgestellt wurde. Die nimmt auch der Tierschutzbund zum Anlass, um verpflichtende gesetzliche Vorgaben für die Putenhaltung einzufordern. Während die Europäische Union klare Regelungen etwa für die Haltung von Legehennen, Masthühnern oder Schweinen vorschreibt, gibt es bisher auf EU-Ebene nicht einmal Mindeststandards für die Haltung von Puten. Wie eine tierschutzkonforme Haltung von Puten aussieht, zeigt eine jetzt vom österreichischen Minister für Tierschutz Rudi Anschober vorgelegte Studie der Veterinärmedizinischen Universität Wien und der Universität Leipzig. „Österreich hat sehr hohe Standards für die Haltung von Puten und ist damit Vorreiter in der Europäischen Union. In den meisten EU-Ländern werden Puten nicht tierschutzkonform gehalten, EU-weit gibt es in diesem Bereich nicht einmal Mindestanforderungen. Die neue Studie zur Putenhaltung zeigt, wie eine zeitgerechte, tierschutzkonforme Haltung von Puten aussieht. Österreich ist hier bereits auf einem sehr guten Weg und wir setzen uns dafür ein, dies auch auf EU-Ebene durchzusetzen. Die österreichischen Regelungen müssen Messlatte für Mindeststandards auf EU-Ebene sein!“ Tierschutzzbeauftrage fordert 1:1 Umsetzung
Die hessische Landestierschutzbeauftragte Madeleine Martin fordert Bund und Länder auf, die in der österreichischen Studie angegebenen Kriterien unverzüglich auch als Grundlage einer deutschen Verordnung zur Putenhaltung zu nutzen. Die Studie beschreibt nach Ansicht von Martin nicht nur detailliert und sorgfältig recherchiert, den heutigen wissenschaftlichen Kenntnisstand zu Puten und ihren Bedürfnissen, sondern lasse auch klar erkennen, welche Punkte in einer Verordnung unerlässlich sind. Deutschland ist nach Polen der zweitgrößte Putenproduzent in der EU. Es leben hier über 12 Mio. Mastputen in konventioneller Haltung. Rund 88 % dieser Puten werden in Mastbetrieben mit 10.000 und mehr Tieren gehalten. Während der Bund die Haltung von Legehennen oder Mastschweinen gesetzlich genau geregelt hat, fehlt eine spezialgesetzliche Verordnung zur Putenhaltung seit vielen Jahren - nach Auffassung von Martin ein großes Versäumnis der Bundesregierung. Martin hierzu: „Ministerin Klöckner setzt, wie sie es so gerne tut, bislang ausschließlich auf eine ‘Freiwillige Übereinkunft‘ mit der Geflügelwirtschaft“.
Nun habe der Bund laut Martin den Ländern kürzlich ein Eckpunktepapier zur Putenhaltung vorgelegt. Dessen Vorgaben sollen (Zitat) „aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen folgen und die Ansprüche an eine tiergerechte Haltung, Pflege und Fütterung von Mastputen umsetzen“. „Wenn das wirklich das Ziel ist und nicht nur eine weitere leere Floskel, müssen Bund und Länder die vorgenannte ‚Studie zur tierschutzkonformen Putenhaltung‘ 1:1 übernehmen. Martin weiter: „Bislang ist das deutsche Eckpunktepapier weit weg davon. So sieht es z. B. als Besatzdichte bis zu 52 kg pro qm vor, während die fundierte Studie aus Österreich keinesfalls mehr als 40 kg pro qm vorgibt“.

Zum Hintergrundschreibt das Hessische Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz: In 22 Wochen Lebenszeit wird eine männliche Pute, die in einem konventionellen Betrieb gemästet wurde, auf ein Schlachtgewicht von 24 Kilogramm gebracht. Das führt oft zu Problemen an den Knochen. Etwa fünf große Tiere teilen sich dabei zwei Quadratmeter Stallfläche. Da die Putenstallungen im konventionellen Bereich die Anpassungsfähigkeit der Tiere überfordern, kommt es zu gegenseitigen Verstümmelungen durch Picken. Die Tiere haben deshalb oft kupierten Schnäbeln. Eigentlich ist das Kürzen der Schnäbel im Tierschutzgesetz als Amputation verboten. Allerdings werden Sondergenehmigungen routinemäßig erteilt, damit sich die Tiere nicht gegenseitig verletzen. Der österreichische auch für Tierschutz zuständige Rudi Anschober hat nun endlich mit der Beauftragung und Vorstellung der Studie „Anforderungen an eine zeitgemäße tierschutzkonforme Haltung von Mastputen“ eine Grundlage für wissenschaftlich fundierte Mindeststandards zur Putenhaltung vorgelegt. Dass gesetzliche Haltungsvorgaben für Puten schlichtweg nicht existieren, ist für den Tierschutzbund angesichts eines Staatsziels Tierschutz im Grundgesetz „unvorstellbar“, kritisiert Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes. „Die Bundesregierung hat ihre Verantwortung bisher gekonnt ignoriert, rechtlich bindende Angaben für eine tierschutzgerechte Haltung von Puten vorzugeben. Dem Versprechen im Koalitionsvertrag, dass man Lücken im Ordnungsrecht schließen wolle, sind bis heute – kurz vor Ende der Legislaturperiode – keine Taten gefolgt“, so Schröder. Freiwillige Vereinbarungen unzureichend
Der Deutsche Tierschutzbund weist darauf hin, dass freiwillige Vereinbarungen, die sich die Geflügelbranche selbst auferlegt, keine gesetzlichen Regelungen ersetzen können. „Eine Bundesministerin, die sich darauf verlässt, dass die Branche selbst für eine tierschutzgerechte Haltung sorgt, macht den Bock zum Gärtner“, so Schröder. Die vorhandenen freiwilligen Vereinbarungen seien schlichtweg nicht ausreichend. So haben die Tiere bei einer Besatzdichte von knapp drei Hähnen bzw. fünf Hennen pro Quadratmeter Stallfläche zu wenig Platz. Angaben zur Strukturierung der Ställe und zu Beschäftigungsmaßnahmen sind mangelhaft und ungenau. Aus Sicht des Deutschen Tierschutzbundes müssen verpflichtende gesetzliche Vorgaben sicherstellen, dass Puten ihre arteigenen Bedürfnisse ausleben können. Dies gelingt nur durch mehr Platz sowie Möglichkeiten für die Puten, „aufzubaumen“, das heißt, erhöhte Sitzplätze einzunehmen. Wenn weniger Puten auf derselben Fläche gehalten werden, würde dies zudem die Durchfeuchtung und Verschmutzung der Einstreu verringern, die bei den Tieren immer wieder zu schmerzhaften Entzündungen an Füßen und Brust führt und Atemwegsinfektionen begünstigt. Dem oft massiven Federpicken müsste man zusätzlich durch Strukturierung, Beschäftigungsmaterial und Zugang zu einem Außenklimabereich entgegenwirken. Durch deutlich verbesserte Haltungsbedingungen könnte unter Umständen auch auf das Schnabelkürzen verzichtet werden, das derzeit routinemäßig durchgeführt wird, um die Pickschäden zu begrenzen. Ebenso sollte der Gesetzgeber für alle tierbetreuenden Mitarbeiter eine ausreichende Sachkunde sowie eine häufige Kontrolle der Tierbestände vorschreiben.

Konkret werden in der Studie die folgenden Kriterien genannt:
Besatzdichte:
Begründet auf der verfügbaren wissenschaftlichen Literatur und wirtschaftlichen Gesichtspunkten ergibt sich eine maximale Endmast-Besatzdichte für Puten von 36-40 kg Lebendgewicht pro m2 nutzbarer Stallfläche. Stallstruktur: Um einigen Verhaltensbedürfnissen der Puten entgegenzukommen, ist eine Strukturierung des Stalles erforderlich:
• Aufbaummöglichkeiten / erhöhte Ebenen
• Strukturierungselemente, die von den Tieren auch bepickt werden können (z. B. Strohballen, Pickblöcke)
• Außenklimabereich im Ausmaß von mind. 20 % der nutzbaren Stallbodenfläche Einstreu:
Die Einstreu muss es den Tieren über die gesamte Haltungsperiode ermöglichen, zu scharren und zu picken. Sie muss jederzeit deutlich locker, trocken (< 30 % Feuchtigkeit) und ausreichend sauber (Einstreuanteile > Kotanteile) sein. Licht:
Das Licht im Putenstall muss folgenden Anforderungen genügen:
• ausreichend gleichmäßiges Licht, damit die Tiere ein normales Aktivitätsniveau zeigen können
• acht Stunden Dunkelphase (Notbeleuchtung mit 0,5 Lux möglich) • UV-A im Spektrum enthalten
• flimmerfreie Beleuchtung (Leuchtmittelfrequenz höher als die Flimmerfusionsfrequenz der Puten) Raumklima:
Ein gutes Stallklima ist wichtig für das Tierwohl. Lüftung, Staub, Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Gaskonzentrationen sind auf Leveln zu halten, die den Tieren keinen Schaden zufügen:
• gute Luftzirkulation im gesamten Stall (Luftaustauschrate 4-7 m³/kg/Stunde), keine Zugluft
• Schadstoff-Höchstwerte: einatembarer Staub 3,4 mg/m³, lungengängiger Staub 1,7 mg/m³ liegen, NH3 10 ppm, CO2 3000 ppm und H2S 5 ppm
• Luftfeuchtigkeit im Stall sollte zwischen 50 und 70 % liegen
• altersadäquate Temperatur Pflege: mehrmals tägliche Kontrolle der gehaltenen Tiere
• schwache, kranke oder verletzte Tiere unverzüglich in ein abgesondertes Krankenabteil bringen und behandeln
• Halter und Personal müssen nachweisbare Kenntnis und Fähigkeit im artgerechten Umgang mit den gehaltenen Tieren besitzen.
27.02.2021
Von: FebL/PM

Österreich präsentiert Studie zur tierschutzkonformen Putenhaltung, damit dicht gedrängt stehende Puten in der industrialisierten Haltung der Vergangenheit angehören. Foto: A. Farkas/afi