Saisonarbeitskräfte: IG BAU befürchtet „soziale Discount-Ernte“

Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) macht sich dafür stark, die Frist für die sozialversicherungsfreie Beschäftigung von Erntehelfern und Erntehelferinnen wie schon im Vorjahr von 70 Tage auf 115 Tage zu verlängern und hat mit Hinweis auf die kritische Haltung von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) ihre Kabinettskollegen Horst Seehofer (CSU) sowie Jens Spahn (CDU) um Unterstützung gebeten. Auch der Bauernverband (DBV) fordert in einem Bündnis mit weiteren Agrarverbänden die Ausweitung auf 115 Tage. Kritik kommt von der IG Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU). Sie schlägt "Ernte-Alarm" und warnt, dass der Landwirtschaft in diesem Jahr ein erneuter Engpass bei den Erntehelfer*innen drohe. Die Situation werde sich gegenüber dem Vorjahr allerdings nochmals verschlimmern. Den Grund hierfür sieht die IG BAU in der Weigerung der Branchenverbände, den überwiegend aus Osteuropa kommenden Saisonarbeitskräften "faire und auf die neuen Corona-Gefahren ausgerichtete Arbeitsbedingungen" zuzugestehen. Über die Beschäftigung der Erntehelfer*innen sei hinter den Kulissen ein handfester politischer Streit entbrannt, so der stellvertretende IG BAU-Chef, Harald Schaum. Dabei drehe sich alles um einen Konfliktpunkt: Sollen Saisonkräfte über fünf Monate sozialversicherungsfrei arbeiten dürfen oder nicht? Die Helfer*innen wären dann – wie schon im letzten Jahr – maximal 115 Tage statt der geltenden 70 Tage auf den Feldern im Einsatz – ohne dafür in Deutschland Sozialabgaben leisten zu müssen, aber auch ohne Sozialversicherungsschutz und damit ohne Kranken- und Rentenversicherung. Die Agrar-Gewerkschaft IG BAU warnt: "Das Risiko einer Corona-Infektion ist unter den Arbeits- und Unterkunftsbedingungen in der Landwirtschaft nicht geringer geworden. Im Gegenteil. Die Situation ist gerade durch die deutlich ansteckenderen Corona-Mutationen heute gefährlicher als noch vor einem Jahr. Ohne ordentliche Krankenversicherung könnte der Arbeitseinsatz in Deutschland für etliche Saisonkräfte am Ende fatale Folgen haben und in einem persönlichen Fiasko enden", sagt Harald Schaum. Er plädiert deshalb dafür, den "kompletten Ernteeinsatz auf solide Füße zu stellen – mit vollem Sozialversicherungsschutz ab dem ersten Tag auf dem Feld". Der IG BAU-Vize: "Auch im zweiten Corona-Jahr wieder Menschen ohne Sozialversicherungsschutz zu uns in die Betriebe und auf die Felder zu holen, das wäre unverantwortlich." Die Gewerkschaft setzt deshalb jetzt auf Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD): "Es kann nicht im Interesse des Staates sein, hier eine 'soziale Discount-Ernte' mit unkalkulierbaren Risiken für die Saisonkräfte einzufahren. Und das nur, weil Betriebe im Obst- und Gemüseanbau Nebenkosten beim Lohn scheuen", sagt Agrar-Experte Harald Schaum. Die IG BAU fordert deshalb "die volle Sozialversicherungspflicht für alle Saisonarbeitskräfte – unabhängig davon, wie lange sie im Einsatz sind". In den Unterkünften, beim Transport von Feld zu Feld sowie bei der Arbeit auf den Feldern und in den Betrieben muss nach Ansicht von Harald Schaum stärker denn je auf Infektionsschutz geachtet werden. Die Unterbringung in Einzelzimmern, kostenlose FFP2-Masken, Desinfektionsspender, regelmäßig gereinigte Sanitärbereiche auf den Feldern und in den Unterkünften sowie kostenlose Corona-Tests gehörten in der neuen Erntesaison zum neuen Standard. Die IG BAU fordert zudem die Aufsichtsbehörden auf, in den kommenden Monaten "verstärkt und systematisch die Arbeits- und Unterkunftsbedingungen von Saisonkräften zu kontrollieren". Dazu gehörten auch die Unterbringung in Unterkünften zu Wuchermieten und das Einfordern unseriöser Vermittlungsgebühren. Stimmen aus dem Bauernverband und aus einzelnen Anbauverbänden machen demgegenüber deutlich, dass gerade mit der 115 Tage-Regelung eine Verbesserung im Umgang mit den Risiken der Corona-Pandemie erfolge, indem beispielsweise ein Austausch der Arbeitskräfte und der damit verbundene Reiseverkehr zwischen den Ländern sowie das Weitertragen des Virus verringert werde. Vorhandene Hygienekonzepte auf den Betrieben, der mögliche Einsatz von Schnelltests und die Beibehaltung der Arbeitsquarantäne machten den Einsatz für die Saisonarbeitskräfte sicher.
22.02.2021
Von: FebL/PM

Gibt es auch in diesem Jahr Ausnahmeregelungen für den Einsatz von Saisonarbeitskräften nicht nur bei der anstehenden Spargelernte? Foto: FebL