Bauernproteste: „Nicht Dialogrunden, sondern Taten sind gefragt“

In Niedersachsen hatten vor dem Hintergrund der Bauernproteste Landwirtschaftsministerin Otte-Kinast (CDU) und Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU) Verbände und Organisationen zu einem virtuellen „Branchengespräch“, auch Lebensmittel-Gipfel genannt, eingeladen. „Es war ein respektvolles Gespräch, ein verantwortungsvoller Umgang und ich wünsche mir, dass dieses auch so weitergetragen wird. Dass es keine Gräben und keine Streitereien gibt, sondern dass man weiter diesen Dialog sucht“, erklärte Otte-Kinast nach dem Gespräch. Ottmar Ilchmann, AbL-Landesvorsitzender in Niedersachsen und Milchsprecher der Bundes-AbL, hat an dem Gespräch teilgenommen und fordert Taten statt mehr Dialog. „Krisengespräche mit den Verantwortlichen entlang der Lieferkette und der Politik sind notwendig und sinnvoll, das hat die AbL auch gefordert. Für ernsthaft zielführende Gespräche müssen die teilnehmenden Verbände und Unternehmen aber gezielt ausgewählt und in der Tagesordnung die Anliegen der Bäuerinnen und Bauern nach vorne gestellt werden. In der jetzigen Situation wäre eine Fokussierung auf schnelle und zielgerichtete Hilfe für die Landwirtschaft nötig gewesen. Stattdessen wurde viel über Wünsche und Anliegen auch von Molkereien, VerbraucherInnen und LEH gesprochen. So blieb doch vieles unverbindlich, es war nicht möglich, nachzuhaken und von allen Beteiligten Lösungsansätze einzufordern. Schade, dass sich Otte-Kinast und Althusmann im Gegensatz zu Ministerpräsident Weil nicht rückhaltlos an die Seite der protestierenden Bäuerinnen und Bauern stellen mochten, sondern deutlich rechtliche Bedenken zur Form der Proteste äußerten. Ermutigend war hingegen, dass die VerbraucherInnen Rückhalt signalisiert haben und bereit sind, mehr zu bezahlen“, erklärt Ilchmann. Mit ihren vielfältigen und zahlreichen Protesten haben Bäuerinnen und Bauern seiner Ansicht nach klargemacht, wie verzweifelt die wirtschaftliche Lage auf ihren Höfen ist. „Lebensmitteleinzelhandel, verarbeitende Unternehmen und Politik müssen jetzt mit den Bäuerinnen und Bauern Lösungen nach vorne entwickeln. Kurzfristig sind die Kontrakte zu öffnen und die Preise anzuheben, dabei ist es wichtig sicherzustellen, dass diese Preiserhöhungen auf den Betrieben ankommen. Für eine mittel- und langfristige Umsetzung von kostendeckenden Erzeugerpreisen braucht es zudem weitreichendere politische Ansätze“, stellt Ilchmann fest und adressiert klare Forderungen an die Politik: „Die deutschen AgrarministerInnen von Bund und Ländern müssen sich im Reformprozess der europäischen Agrarpolitik für das Instrument des freiwilligen Lieferverzichts stark machen, das vom Europäischen Parlament bereits vorgeschlagen wurde. Damit können preisdrückende Überschüsse vom Markt genommen werden. In Deutschland können die AgrarministerInnen außerdem den Artikel 148 der Marktordnung umsetzen, damit vereinbaren die ErzeugerInnen konkrete Mengen- und Preisvereinbarungen vor Lieferung der Agrarprodukte. Um die gesellschaftlich höheren Anforderungen an Tierwohl und Klimaschutz zu erfüllen, müssen die Empfehlungen zur Nutztierhaltung der Borchert-Kommission zeitnah umgesetzt und die pauschalen Flächenprämien der Gemeinsamen Agrarpolitik an Gemeinwohlleistungen geknüpft werden. Statt eine Exportorientierung zu Dumpingpreisen zu forcieren, ist der Welthandel zu qualifizieren. All das kann Niedersachsen nicht auf Landesebene leisten, muss aber als größtes Agrarland Deutschlands Druck auf die Bundesregierung und die Parteifreundin der beiden MinisterInnen, Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner, machen. Nicht Dialogrunden und Moderation, sondern Taten sind jetzt gefragt!“ Althusmann erklärte nach dem Gespräch, dass die Politik zwar in der Pflicht sei, den sozialen Frieden zu sichern, sie könne aber nicht in den freien Wettbewerb eingreifen. Er rief wie auch Otte-Kinast Landwirte und Lebensmittel-Einzelhandel zu fairen Verhandlungen über eine angemessene Preisgestaltung für landwirtschaftliche Produkte auf. Die Agrarministerin warb wie schon zuvor erneut für einen Gesellschaftsvertrag: "Höhere Umwelt- und Tierwohlstandards in der Landwirtschaft kosten Geld und müssen angemessen honoriert werden." Sie appellierte an den Handel, regionale Produkte stärker zu vermarkten und besser kenntlich zu machen. LEH setzt auf Export sowie marktorientierte agrarpolitische Steuerungs- und Förderinstrumente
Der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Lebensmittel (BVLH), Franz-Martin Rausch, verweist auf bereits stattfindende Gespräche mit Landwirten, lädt „alle Vertreter der Landwirtschaft ein, sich an diesen Gesprächen zu beteiligen“ und erklärt anlässlich des Gipfels in Niedersachsen, dass „die vor uns liegenden Herausforderungen“ Lebensmittelhandel und Landwirtschaft aber nicht allein meistern können. „Der Handel ist nur ein Absatzkanal und in der Regel auch nicht der natürliche Vertragspartner der Landwirtschaft. Ohne die Hauptabnehmer landwirtschaftlicher Rohstoffe wird es keine tragfähigen Lösungen geben können. Deshalb muss die Verarbeitungswirtschaft zügig in die Gespräche einbezogen werden. Aber nicht nur die Industrie muss mehr Verantwortung übernehmen. Auch die Politik muss ihren Anteil leisten. Kurzfristig muss sie unbürokratisch finanzielle Hilfen zur Verfügung stellen, um Corona- und ASP-bedingt in Not geratene Bäuerinnen und Bauern zu unterstützen. Diese Forderung der Landwirtschaft unterstützt der Handel einhellig. Mittelbar kann die Bundesregierung vor allem den Schweinfleischerzeugern helfen, indem sie alle Anstrengungen unternimmt, ASP-bedingt geschlossene Exportmärkte so schnell wie möglich wieder zu öffnen. Auch diese Forderung der Landwirtschaft unterstützt der Handel nachdrücklich. Die Marktöffnung wäre eine wirksame Maßnahme, den aktuell großen Angebotsüberhang abzubauen und somit auch für eine Stabilisierung der Erzeugerpreise zu sorgen“, so Rausch. Darüber hinaus braucht es seiner Ansicht nach zügig einen agrarwirtschaftspolitischen Dialog zwischen Bundesregierung, Landwirtschaft, Lebensmittelverarbeitung und Lebensmittelhandel. „Ein solcher Dialog arbeitet zielstrebig auf die Umsetzung marktorientierter agrarpolitische Steuerungs- und Förderinstrumente hin, die Bauern unmittelbar helfen, erzeugerspezifische Risiken abzufedern, und er bekennt sich zu den Leitplanken des Wettbewerbsrecht sowie zu den wettbewerbsökonomischen Grundprinzipien der Marktwirtschaft, vor allem zum Prinzip der freien Preisbildung nach Angebot und Nachfrage“, erklärt der Vertreter des Lebensmitteleinzelhandels.