Ferkelerzeuger zur Sau gemacht

„Der Ferkelerzeuger trinkt Wasser, der Mäster Wein und der Handel trinkt Sekt“, diese alte Schweinehalterweisheit bestätigt sich in dieser Zeit wieder einmal. Die Schlachthofschließungen durch Corona und die Exporteinschränkungen durch die Afrikanische Schweinepest (ASP) haben den Schweinemarkt komplett durcheinandergewirbelt. Der „Schweinestau“ in den Mastställen bewegt sich weiterhin bei etwa 500.000 Schweinen und wird auch bedingt durch neue Coronafälle in einzelnen größeren Schlachthöfen nicht geringer. In der Folge sind die Schlachtgewichte von sonst 96 kg auf über 100 kg/Schwein angestiegen und der Schweinepreis auf 1,19 Euro/kg gefallen, wenn der Mäster wegen Übergewichten diesen Preis überhaupt erzielt. Zugleich rutschte der Preis für ein 25-kg-Ferkel auf einen historischen Niedrigwert von 22 Euro/Ferkel. Damit fehlen dem Sauenhalter mindestens 35 Euro am Ferkel – bei einem durchschnittlichen Sauenbetrieb mit jährlich 6.500 Ferkeln also 227.500 Euro. Wie soll das aufgefangen werden? Hoffnungsjahr 2020 Dabei war man noch so hoffnungsfroh in 2020 gestartet. Als Folge der ASP in China waren Ferkel gesucht wie lange nicht. 70 bis 80 Euro wurden bis Ende April notiert. Im gesamten Wirtschaftsjahr 2019/ 2020 (Juli bis Juni) lag der Schnitt bei 65 Euro und ließ endlich einmal ein Lächeln auf die Erzeugergesichter kommen. Durchschnittlich 47 Euro wurden in den letzten zehn Jahren gezahlt. Und das bei Kosten von etwa 60 Euro – abhängig vor allem von der Ferkelzahl je Sau. (Die Hochschule Vechta hat jetzt sogar 78 Euro errechnet.) Aber ab Mai begann die Talfahrt, die jetzt bei 22 Euro den Boden erreicht hat. Auch die Schweinemäster hat das Preistief erheblich getroffen, aber von dem Erlösverfall von ca. 80 Euro pro Schwein haben in der Lieferkette die Ferkelerzeuger etwa 70 % getragen, die Hälfte wäre angemessen. „Wo bleibt die Solidarität der Mäster?“ – Aber da herrscht Ruhe am Mästerstammtisch. Aussteigerjahr 2021? Optimisten verkünden eine Wende im Frühjahr, aber bis dahin werden wieder viele aussteigen. Schon berichten Schlachthöfe, dass ganze Herden von 100 und mehr Sauen zur Schlachtbank geführt werden. „Das heißt Ausstieg. Die fangen nicht wieder an.“ Damit verschärft sich der „Strukturwandel“ bei den Ferkelerzeugern noch mehr. In den vergangenen zehn Jahren hat sich deren Zahl halbiert – in NRW z. B. auf 1.660, die inzwischen 231 Sauen pro Betrieb halten. Selbst die ISN, die sonst eher den Strukturwandel als wirtschaftliches Naturgesetz propagiert, fürchtet, dass viele Betriebe nur noch die Hochpreisphase mitnehmen wollten, um danach endlich die Buchtentüren zu schließen. Auch die Sauenzahl ist um 20 % gesunken, dafür sind die Importe aus Dänemark und den Niederlanden auf 12 Mio. im Jahr angestiegen. Selbst Bauernfunktionäre, die gern über die vielen (und billigen) Importferkel schimpfen, bedienen sich gern im Ausland. Erstmals beschweren sich nun einige wie der westfälische und der sächsische Bauernverbands-Präsident, dass ab Januar holländische und dänische Ferkel mit Anerkennung des QS-Systems eingeführt werden dürfen, obwohl sie die Vorgaben der betäubten Kastration nach deutschem Recht nicht erfüllen. Diese Wettbewerbsverzerrung will QS zulassen aus Sorge, dass sonst ein Ferkelmangel entstehen würde. Kein Wunder, dass sich einheimische Erzeuger gegen diese und andere Ungerechtigkeiten wehren und die Schlepper wieder auf die Straße bringen. Betäubungslose Kastration verboten Trotzdem ist die niederschmetternde Stimmung nicht allein den schlechten Preisen geschuldet. Schweinezyklen kennt man, und die Hoffnung auf Erholung stirbt zuletzt. Tatsächlich ist die Perspektivlosigkeit für die Betriebe genauso beängstigend. Ab Januar ist z. B. die betäubungslose Kastration verboten. Ob Ebermast, Immunoimpfung oder Kastration mit Isofluran – alle Methoden werden die Erzeugung verteuern, ohne dass ein Ausgleich in Aussicht steht. Zwar ist die Gesetzeslage seit langem bekannt, aber die Kostenverteilung ist ungeklärt. (Vielleicht nimmt man sich ja das Neuland-Programm zum Vorbild, wo die Kosten von ca. 2 Euro zu je einem Drittel von Vermarkter, Mäster und Ferkelerzeuger getragen werden.) Neue Nutztierhaltungsverordnung Zusätzlich wird ab Anfang 2021 die veränderte Nutztierhaltungsverordnung mit neuen Auflagen für das Deckzentrum und die Abferkelung in Kraft treten. Zwar gibt es längere Übergangszeiten, aber Neubauten müssen bereits jetzt danach ausgerichtet werden. Nahezu alle Betriebe müssen in den nächsten Jahren größere Umbauten oder gar Neubauten von mehreren Hunderttausend Euro tätigen. Im Deckzentrum müssen die Sauen 5 qm Platz (davon 1,3 qm Liegefläche) erhalten, und dürfen zur künstlichen Besamung nicht mehr im Kastenstand gehalten werden (bisher 28 Tage), nur für den kurzen Zeitraum der Besamung fixiert werden. Hier gilt eine Übergangszeit von höchstens acht Jahren, das Umbaukonzept muss in drei Jahren stehen. Die Abferkelbucht muss 6,5 qm (statt bisher ca. 4 qm) groß werden und der „Ferkelschutzkorb“ darf statt an bisher 25 bis 28 Tagen nur noch an 5 Tagen geschlossen sein. Diese Umstellung muss in 15 Jahren geschehen. Zwar soll es im Rahmen von Konjunkturpaketen „gute“ Zuschüsse von 40 % oder gar mehr geben, aber es bleibt offen, wie die Eigenanteile erwirtschaftet werden können. Auch wenn diese Beschlüsse aus Tierschutzgründen als großer Fortschritt gefeiert werden, hat die Regierung die sozialen Folgen für die Bauern außen vor gelassen. Die Anforderungen sind ohne ein Finanzierungskonzept beschlossen. Das Vertrauen in die Politik ist auf dem Tiefpunkt. Das kann nicht folgenlos bleiben. Borchert als Hoffnungsschimmer Wieder einmal sind es die Empfehlungen der Borchert-Kommission, die am meisten hoffen lassen. Sollten sie endlich umgesetzt werden, eröffnen sich Chancen für einen Umbau hin zu einer gesellschaftlich anerkannten Tierhaltung mit Finanzausgleich. Durch eine Tierhaltungsprämie, bezahlt von den Verbrauchern plus Zuschüsse des Staates, sollen die unterschiedlich höheren Tierwohlauflagen bezahlt werden. Die vielen Querelen der verschiedenen politischen und verbandlichen Interessensgruppen verzögern die schon vom Parlament grundsätzlich beschlossenen Vorschläge immer wieder. Borchert selbst zweifelt, ob noch vor der nächsten Bundestagswahl im Herbst 2021 etwas umgesetzt wird. Leider sind in diesem Konzept auch die Anforderungen an die Ferkelerzeugung bisher viel zu wenig konkretisiert. Auch welchen Anteil die Ferkel an der Prämie von 40 Cent/kg Schweinefleisch zugerechnet bekommen, ist völlig ungeklärt. Wenn sich die Ferkelerzeuger nicht dringend in den Diskussionsprozess einbringen, haben auch dieses Mal die Mäster und Schlachter bereits alles verteilt und sie schauen wieder in die Röhre. Und ihnen bleibt erneut das Wasser, wenn andere die edlen Tropfen trinken.
05.01.2021
Von: Hugo Gödde, Marktbeobachter, AbL NRW

Sauenhalter und Sau auf dem Weg in eine ungewisse Zukunft