„Es muss Geld auf die Höfe“

Die grüne Halbinsel Eiderstedt in Nordfriesland ist Weite mit Tieren. Marschland über Jahrhunderte dem Meer abgetrotzt durch wenige Menschen, die zusammenhalten mussten. Die Bauern und Bäuerinnen hier wirtschaften im Nordseewind am Nationalpark Wattenmeer. „90 % unserer Fläche ist Grünland, ich kann auf dem Standort hier gar nichts anderes machen“, sagt Jann-Harro Petersen, Sprecher der Milchgruppe von Land schafft Verbindung (LSV). Schon seine Eltern hielten Kühe, noch im Nebenerwerb, weil seine Mutter Lehrerin war. Er übernahm den Hof mit seiner Frau 2005, erweiterte den Stall von 1987 und stockte auf rund 140 Kühe auf. Neben den Kühen finden noch rund 50 Schafe Platz auf dem Betrieb. Noch eine Vollzeitkraft ist auf dem Betrieb angestellt. Der Hof in der Tourismusregion kurz vor den endlosen Stränden Sankt Peter Ordings und mitten im größten Vogelschutzgebiet Deutschlands hält die Kühe so, wie die Gesellschaft es gerne hätte: „Die meiste Zeit sind die Tiere auf der Weide.“ Weidehaltung sei das Wirtschaftsmodell des Standortes, sagt Petersen, das heißt für ihn auch hohe Leistungen, insbesondere aus dem Grundfutter. Die meisten Grünlandflächen weisen die für die Region charakteristische Oberflächenstruktur auf – Acker und Furchen oder Grüppen, welche der Entwässerung dienen. „Da nicht alle Schläge für die maschinelle Bearbeitung gut geeignet sind, lassen wir dort die Rinder ‚selber pflücken‘ sprich beweiden.“ Petersen ist Kuhmensch, züchtet, hat auch auf die Frage der männlichen Kälber eine wertschätzende Antwort gefunden: Außer bei den Färsen, die der Deckbulle besamt, setzt er nur noch gesextes Sperma ein. Kühe, von denen er keine weibliche Nachzucht will, bekommen Kreuzungskälber von weiß-blauen Belgiern, die ein Nachbarbetrieb mindestens eine Zeit lang auf der Weide mästet. Die Trefferquote bei der Geschlechtsvorhersage beim Sperma liege bei 90 %, das gebe einem schon eine große Planbarkeit, so Petersen. Er ist sich sicher, dass gerade das Thema Kälber in der Milchviehhaltung zukünftig stärker in den gesellschaftlichen Fokus rücken wird. „In der Schweinehaltung werden gerade in den letzten Jahren Fragen des Umbaus angeschoben, hin zu einer Tierhaltung, die Akzeptanz findet in der Bevölkerung. Das wird auch in der Milchviehhaltung kommen.“ Petersen hat keine zweiten Standbeine wie Biogas, Photovoltaik oder Windräder auf dem Betrieb. Umso wichtiger ist für ihn, dass die Art von Landwirtschaft, die seine Familie betreibt, eine auskömmliche Existenz ermöglicht. Marktdifferenzierung Das ist in den vergangenen Jahren immer schwieriger geworden und bringt gerade erneut Bauern und Bäuerinnen auf die Straße. Ungewöhnlich ist, dass die losen Zusammenschlüsse, die jetzt mobilisieren, nicht nur die Auslieferungslager der Handelsunternehmen blockieren, sondern diesmal auch bei den Verarbeitern waren. „Die Bauern fahren lieber zum LEH“, sagt Petersen und macht gleichzeitig klar, wie wichtig es ist, den Druck auch auf die vermeintlichen Marktpartner hoch zu halten. Bei den Molkereien sei es so, dass ausgerechnet die Genossenschaften, also die, die den Bauern und Bäuerinnen eigentlich selbst gehörten, auf Export setzten, während das Hochpreissegment eher von den privaten Unternehmen bedient werde. „Da läuft doch was falsch“, sagt der DMK-Lieferant. Feste Preise und längere Lieferverträge, so etwas gebe es im Milchbereich kaum, kritisiert er. Bauern und Bäuerinnen müssten viel stärker Einfluss nehmen können, wie sich die Molkereien im Markt verhalten. „Exportorientierung macht für Betriebe wie unseren keinen Sinn.“ Entscheidender seien Möglichkeiten zur Marktdifferenzierung. „Wir haben schon alles mitgemacht: GVO-freie Fütterung, Weidemilch, wir können das alles, wir müssen es aber bezahlt kriegen“, macht Petersen klar. Was häufig den Einkäufern und Managern in den Vorstandsetagen der Handelsunternehmen nicht bewusst sei, sei aber, dass man in der Landwirtschaft nicht nach Belieben Betriebszweige und Erzeugnisse ändern könne. „Die wissen nichts von der Lebenswirklichkeit auf den Höfen“, so Petersen. Gleichzeitig sei die Ausbildung und Beratung, die den Bauern vermittele, ein Stall müsse über 20, 25 Jahre abgeschrieben werden, vielleicht auch nicht mehr zeitgemäß. „Man muss doch eigentlich sagen: Entweder das Ding ist in zehn Jahren bezahlt oder du musst es lassen“, überlegt er. Überhaupt müsse sich in der landwirtschaftlichen Ausbildung etwas ändern: „Vermarkten und Verkaufen steht bis heute nicht im Lehrplan.“ Bewegung „Der Handel muss Druck auf die Politik und die Verarbeiter ausüben, damit der ordnungspolitische Rahmen so neu gesetzt wird, dass wieder Geld auf die Höfe kommt.“ Ein gutes Beispiel sind einmal mehr seine männlichen Kälber: Weil die Handelsketten nur große Mengen in gleichbleibender Qualität wollten, komme Rindfleisch oft genug aus dem Ausland, während die vielen männlichen Kälber aus der Milchviehhaltung subventioniert im Ausland gemästet würden. Das nütze weder dem Verbraucher noch den Bauern hier. „Jeder Markt hat Rahmen, wenn der nicht stimmt, muss ich was ändern“, sagt Petersen. Es gelte, das Gleichgewicht entlang der Wertschöpfungskette wieder herzustellen. Die Blockaden vor diversen Auslieferungslagern der Handelsketten trafen die Marktriesen mitten in der Unsicherheit einer wieder an Fahrt gewinnenden Pandemie und dem so wichtigen Weihnachtsgeschäft. Lidl wie auch Aldi boten Gespräche an. Konkreter wurde Aldi-Süd in einem Brief an die Bauern: Die Politik solle eine Abgabe auf Fleisch und Milch beschließen, um die Erzeugerpreise zu stabilisieren. „Kurzfristig ist so etwas eine Chance, langfristig brauchen wir einen Systemwechsel“, ist sich Petersen sicher. „Wir müssen an der Wertschöpfungskette wieder stärker beteiligt werden.“ Dafür guckt der Nordfriese auch nach Brüssel: auf die gemeinsame Marktordnung, die gerade vom EU-Parlament bearbeitet wird, und auf die Umsetzung der Richtlinie zum unlauteren Wettbewerb (UTP-Richtlinie) in Deutschland. Im Zusammenhang mit letzterer, die die Position von Bauern und Bäuerinnen als Vertragspartner gegenüber dem Handel stärken soll, hatten sich die großen Lebensmittelketten bei Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) über ihren vermeintlich abfälligen Ton beschwert. Dieser Brandbrief war die Initialzündung für die neuerlichen Proteste der Bauern und Bäuerinnen beim Lebensmittelhandel. „Bauern und Bäuerinnen sind inzwischen gut vernetzt untereinander“, sagt Jann-Harro Petersen über die „neuen“ Bewegungen auf dem Land. Man sei aus der Einsamkeit der Höfe über Handychatgruppen kontinuierlich im Austausch, stelle fest, dass es Gleichgesinnte gebe, könne sich auch überverbandlich verbinden. Der Milchdialog ist das Beispiel. Jüngere Organisationen wie LSV haben sich mit älteren Verbänden wie BDM und AbL zusammengefunden, gemeinsame Positionen entwickelt und in ganz Deutschland die „Schluss mit Lustig“-Aktionen bei den Verarbeitern angeschoben. Das Wirtschaften auf den Höfen sei, so Petersen: „auf Kante genäht. Existenzängste, der Wunsch nach gesellschaftlicher Akzeptanz, das bringt die Belastbarkeit von Betriebsleitern und Familien an ihre Grenzen.“ Petersen ist nach drei Besuchen bei Verarbeitungsbetrieben in ganz Deutschland verhalten zuversichtlich, aber er sagt auch: „Wir müssen den Druck aufrechterhalten, sonst passiert nichts. Denn alle anderen profitieren von dem System. Nur die Bauern, die kriegen am Ende nur das Restgeld.“