GAP: Verbände kritiseren deutsche Ratspräsidentschaft und fordern deutlich höhere Ziele

In Brüssel stehen in dieser Woche richtungsweisende Entscheidungen zur Zukunft der europäischen Landwirtschaft im EU-Agrarrat und im EU-Parlament an. Zahlreiche Verbände kritisieren die deutsche Ratspräsidentschaft und fordern höhere Umweltleistungen und konkretere Ziele in der GAP zu verankern. BÖLW: 70 % des EU-Agrarbudgets in Umweltleistungen investieren
„Wer bei der GAP jetzt nicht handelt, nimmt Arten- und Höfesterben sowie die Klimakrise wissentlich in Kauf. Das muss der deutschen Ratspräsidentschaft, den Europa-Abgeordneten und EU-Staaten klar sein“, sagt Felix Prinz zu Löwenstein, Vorsitzender des Bio-Spitzenverbandes Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) mit Blick auf die Abstimmungen von EU-Staaten und -Parlament zur Reform der Gemeinsamen EU-Agrarpolitik (GAP). „Die Farm to Fork- Strategie der EU-Kommission sieht 25 % Bio-Fläche bis 2030 in Europa als Teil des Green Deals vor. Denn mit Öko erreicht Europa viele Kernziele des Green Deals ‚im Paket‘. Was sich jedoch bei der GAP-Reform aktuell an Entscheidung abzeichnet, reicht hinten und vorne nicht aus, um das zu erreichen. Löwenstein weiter: „Insgesamt versagt die GAP, wenn es darum geht, unsere Landwirtschaft zukunftssicher zu machen.“ Zahlen wie 57 % weniger Feldvögel seit 1980 oder ein Drittel weniger Höfe zwischen 2005 und 2016 zeigten das mehr als deutlich. „Aus gutem Grund fordern Wissenschaftler, Regierungsberater und der Europäischer Rechnungshof einen GAP-Paradigmenwechsel“, so der BÖLW-Vorsitzende. Dr. Alexander Gerber, Landwirtschaftsvorstand des BÖLW, meint dazu: „Es kann nicht sein, dass einerseits ambitionierte Politikziele formuliert werden und dieselben Politiker bei der GAP das Gegenteil machen“, und fordert: „Wir sind für ein starkes Europa, das mit einem wirksamen Green Deal unsere Landwirtschaft enkeltauglich macht. Künftig müssen dafür 70 % des EU-Agrarbudgets in Umweltleistungen der Bäuerinnen und Bauern investiert werden. Denn wenn die GAP weiter Flächenbesitz belohnt, verschärfen die Regierenden Umweltprobleme und Höfesterben. Wenn Julia Klöckner als aktuelle Agrarratsvorsitzende jetzt vorschlägt, nur lächerliche 20 % der Mittel an Umweltleistungen in der 1. Säule binden zu wollen und das auch erst ab 2025, unterbietet der Agrarrat den schon schwachen Vorschlag der EU-Kommission, 30 % in die sogenannten Eco-Schemes zu investieren. Und beides reicht auch nicht aus, um Europas Landwirtschaft vom Problem zum Teil der Lösung zu machen. Stattdessen muss ein hohes Umweltmindestbudget für alle EU-Staaten verbindlich festgelegt und im Lauf der nächsten 7 Jahre kontinuierlich auf 70 % gesteigert werden. Das gäbe den landwirtschaftlichen Betrieben Planungssicherheit. Die Regierungen leiteten so auch endlich den Paradigmenwechsel ein, bei dem öffentliches Geld schwerpunktmäßig in öffentliche Leistungen investiert würde. Ohne Verbindlichkeit und Zielstrebigkeit wird es eine Unterbietungsspirale geben – und erhebliche Wettbewerbsverzerrungen in Europa“, so Gerber. Bioland: Deutscher Vorschlag „eine Beleidigung der Steuerzahler und der Landwirte“
Bioland warnt vor einer rückwärtsgewandten GAP, bei der Landwirtschaft und Umwelt in eine ökologische und ökonomische Sackgasse steuern. Jan Plagge, Präsident Bioland e.V. kommentiert: „Langsam reicht es: Allen ist doch klar, dass ein „weiter so“ keine Option mehr ist. Wir haben nur noch zehn Jahre Zeit, das 1,5 Grad-Ziel zu erreichen. Auch den Rückgang der Artenvielfalt müssen wir jetzt stoppen, nicht erst in ferner Zukunft. Klima- und Artenschutz sind die ökonomische Grundlage unserer Landwirtschaft. Die Chance in der Politik umzusteuern ist jetzt und nicht erst in sieben Jahren zur nächsten GAP. Was die deutsche Ratspräsidentschaft im Agrarrat in Brüssel auf den Tisch legt ist eine Beleidigung der Steuerzahler und der Landwirte, die sich Tag für Tag für eine zukunftsgewandte, umweltverträgliche Landwirtschaft einsetzen sowie all jene Landwirte, die sich dahin auf den Weg machen wollen. Nach vielen Jahren intensiver Verhandlungen, zahllosen wissenschaftlichen Gutachten zur Wirksamkeit der GAP sowie einer gesellschaftlichen Wende zu mehr Umwelt- und Klimaschutz liegen die Nachhaltigkeitsambitionen der Vorschläge der Bundesregierung zur neuen GAP noch hinter denen der aktuellen GAP. Statt Rückschritt braucht es einen klaren Fokus im EU-Agrarbudget für die Honorierung von Leistungen für den Umwelt-, Klima- und Tierschutz und nicht für den reinen Flächenbesitz. Nur dann trägt die GAP zur Erreichung der Ziele des Green Deals und der Farm-to-Fork-Strategie bei: bis 2030 den Ökolandbau der EU-Mitgliedsstaaten auf 25 Prozent auszuweiten und den Pestizid- und Antibiotikaeinsatz zu halbieren. Es sei unbegreiflich, wie auf der einen Seite die Staats- und Regierungsoberhäupter der EU-Mitgliedsstaaten über die Erhöhung des europäischen Klimaziels für das Jahr 2030 verhandeln und gleichzeitig einer der großen Hebel zur Erreichung der Klimaziele keinen Millimeter bewegt wird.“

Besonders enttäuscht ist Bioland von Ratspräsidentin Julia Klöckner, der es in ihrer Funktion nicht gelungen sei tragfähige Lösungsvorschläge für eine Honorierung der Landwirte zur Erreichung der Klima- und Artenschutzziele vorzulegen. Erst diese Woche habe sie beispielsweise vorgeschlagen den Mindestanteil der Eco-Schemes in der Ersten Säule von den diskutierten geringen 30 auf nur noch 20 Prozent herabzusetzen. Damit erreiche Europa keine Veränderung in den Agrarsystemen.

„Wir appellieren nachdrücklich an alle Parlamentarier und Minister in EP und Rat, sich in den kommenden Abstimmungen an die richtigen Ziele des Green Deals zu erinnern und die Politik für die nächsten sieben Jahre GAP genau diesen unterzuordnen. Denn wenn Rat und EP sich diesem wichtigen Fortschritt in der Agrarpolitik erneut verweigern, hat auch die EU-Kommission kaum noch Handlungsspielraum in den Trilog-Verhandlungen, um im Bereich von Ernährung und Landwirtschaft die Klima- und Umweltziele zu erreichen. Erneut geht dann ein Jahrzehnt, das wohl entscheidende, verloren“, mahnt Plagge. NABU: Schicksalswoche für die Biodiversität
Der NABU spricht angesichts der möglichen Entscheidungen zur GAP von einer Schicksalswoche für die Biodiversität. „Die Chance, den Biodiversitätsverlust in der Agrarlandschaft aufzuhalten, besteht jetzt“, sagt NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger. „Jede und jeder Abgeordnete im Europäischen Parlament muss sich vor der Abstimmung fragen, ob sie oder er diese Chance verstreichen lassen will. Wer jetzt nicht für eine ökologische Wende im Fördersystem stimmt, macht sich mitverantwortlich für die Fortsetzung des Sterbens in unseren Agrarlandschaften und für die sich fortsetzende, ökonomische Misere vieler Höfe.“ Bei den Abstimmungen geht es laut NABU unter anderem darum, wie viel Platz Agrarbetriebe der Artenvielfalt in Form von Landschaftselementen, Blühflächen oder Brachen geben müssen, wenn sie Subventionen erhalten wollen. Der NABU fordert nach eigenen Angaben im Einklang mit der Wissenschaft mindestens zehn Prozent nichtproduktive Flächenanteile im Acker- und Grünland. Der Vorschlag von Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner für die EU-Präsidentschaft sei dagegen mit drei bzw. fünf Prozent völlig unzureichend, zumal im letzteren Fall auf den Flächen weiterhin Produktion zugelassen werden soll. Abgestimmt wird auch darüber, wie viel Geld die Mitgliedstaaten mindestens für die Honorierung von konkreten Umweltleistungen zur Verfügung stellen müssen. Der NABU fordert, dass hierfür jeweils 50 Prozent der beiden GAP-Säulen zu reservieren sind. WWF: Ambitionslose deutsche Verhandlungsführung
Der WWF Deutschland kritisiert erneut die ambitionslose Verhandlungsführung der deutschen EU-Ratspräsidentschaft. „Dank Deutschland haben die Gegnerinnen und Gegner einer ökologischen und sozialen Trendwende in der europäischen Landwirtschaftspolitik leichtes Spiel. Bleibt der EU-Agrarrat auf seinem bisherigen Kurs, zerstört er damit Natur, befeuert die Klimakrise und finanziert das einseitige Wachstum großer Agrarkonzerne auf Kosten kleiner landwirtschaftlicher Betriebe“, so WWF-Naturschutzvorstand Christoph Heinrich. Die aktuelle Kompromisslinie im Agrarrat lasse erkennen, dass nur 20 Prozent der Direktzahlungen als Eco Schemes künftig verbindlich für Umwelt- und Klimamaßnahmen reserviert werden sollen. Um ausreichende Wirkung zu entfalten, müssten es nach Ansicht des WWF eigentlich 50 Prozent sein, als minimaler Einstieg gerade noch akzeptabel sind aus Sicht des WWF mindestens 30 Prozent. Und: sie müssten für alle Mitgliedstaaten verpflichtend sein. Vor wenigen Tagen haben auch die Nationale Wissenschaftsakademie Leopoldina, die Akademie der Technikwissenschaften (acatech) und die Union der deutschen Akademien der Wissenschaften in einer gemeinsamen Stellungnahme eine unmittelbare Kopplung der EU-Direktzahlungen an erbrachte und messbare Ökosystemleistungen und das Ende rein flächengebundener Subventionen gefordert. Bei der Gestaltung des prozentualen Mindestanteils von nichtproduktiven Flächen (GLÖZ 9) appelliert der WWF an den EU-Agrarrat, sich endlich an den naturschutzfachlichen Realitäten zu orientieren. „Mindestens zehn Prozent der Flächen müssen wirklich naturbelassen sein, sonst gibt es keine positiven Effekte für den Artenschutz. Der Anbau von Zwischenfrüchten und Leguminosen auf solchen Flächen bringt keinen ökologischen Mehrwert“, so Heinrich vom WWF. Auch der Europäische Rechnungshof hatte der bisherigen Praxis des sogenannten Greenings Wirkungslosigkeit attestiert. Bleibt es bei den Vorschlägen des EU-Agrarrats, komme dem Europäischen Parlament mit Blick auf die sich anschließenden Trilogverhandlungen eine entscheidende Rolle zu als mögliches ökologisches Gegengewicht zur Blockadepolitik der EU-Mitgliedsstaaten. Derzeit sei nicht erkennbar, dass die Parlamentarier:innen an ihre fortschrittliche EU-Parlamentsentscheidung eines 60-Prozent-Klimaziels anknüpfen. Zu unterschiedlich und widersprüchlich sind die Positionen der jeweiligen Gruppen im Parlament. Auch hier fordert der WWF, dass die Entscheidung des Parlaments insbesondere im Hinblick auf die Eco Schemes und die nichtproduktiven Flächen (GLÖZ 9) deutlich ambitionierter ist. „Wer richtigerweise das EU-Klimaschutzziel auf 60 Prozent anheben will, der darf nicht wenige Tage später beim ersten Stresstest einknicken, sondern muss die europäische Agrarpolitik folgerichtig an diesem Ziel ausrichten“, so Christoph Heinrich. Naturland: Stillstand statt ökologischer Umbau der Landwirtschaft
Der Öko-Verband Naturland fordert vom EU-Parlament, dem EU-Agrarrat und der deutschen Ratspräsidentschaft endlich klare Signale für eine enkeltaugliche Landwirtschaft. Sonst droht ein jahrelanger Stillstand - und damit mehr Artensterben, mehr Höfesterben und weniger Klimaschutz. „Der Umbau der Landwirtschaft ist lange überfällig und die EU-Kommission hat mit ihrem Green Deal auch die richtige Richtung vorgegeben. Aber der Umbau wird nicht gelingen, wenn die GAP nicht wirklich an den Zielen des Green Deals ausgerichtet ist. Und da reicht das, was bislang an Vorschlägen auf dem Tisch liegt, bei weitem nicht aus“, sagte Naturland Präsident Hubert Heigl. So sollen dem Vernehmen nach nur 20 Prozent der Direktzahlungen in der sogenannten ersten Säule künftig an Umweltleistungen gebunden sein (Eco-Schemes). Der überwiegende Teil der Direktzahlungen würde dagegen weiterhin nach dem Gießkannenprinzip pro Hektar verteilt werden. „Mit solchen zögerlichen Schrittchen ist keines der Ziele aus dem Green Deal und der Farm-to-Fork-Strategie zu erreichen“, kritisierte Heigl - weder die Halbierung des Pestizideinsatzes in der EU noch die Ausweitung des Öko-Landbaus auf 25 Prozent bis 2030. Stattdessen sollten künftig mindestens 70 Prozent der gesamten EU-Agrarförderung, egal ob 1. oder 2. Säule, in Umwelt-, Klima- und Tierschutz investiert werden, forderte der Naturland Präsident. Wie wenig ambitioniert die Pläne sind, zeigt aus Heigls Sicht auch der Vorschlag Klöckners für eine so genannte „Lernphase“ von zwei Jahren, in der die Finanzierung der Eco-Schemes für die Mitgliedsstaaten noch nicht einmal verpflichtend sein soll. „Klöckner schiebt die Umwelt bis 2025 komplett aufs Abstellgleis. Eine Lernphase bringt nur dann etwas, wenn wir die Zeit bis 2025 für einen inhaltlichen Neustart nutzen und Eco-Schemes im Sinne einer wirklich nachhaltigen Umweltwirksamkeit entwickeln“, forderte der Naturland Präsident. „Wir brauchen praktikable und unbürokratische Regelungen, die den Betrieben Klarheit geben und der Umwelt wirklich nachhaltig nutzen. In einem prozessorientierten Stufenmodell für die 1. Säule wäre das einfach umsetzbar. Der Öko-Landbau als nachhaltigste Form der Landbewirtschaftung muss sich dabei in einer eigenen Stufe wiederfinden“, schlug Heigl vor. In der 2. Säule sollten dann spezifische Einzelmaßnahmen angeboten werden, die zu den einzelnen Stufen kombiniert werden können.
19.10.2020
Von: FebL/PM

Für die Landwirtschafts stehen in dieser Woche wichtige Entscheidungen an. Foto: FebL