Wut braucht Orientierung

Was würdet Ihr tun, wenn Ihr in Belarus leben würdet, eine diktatorische Regierung das Ergebnis der Präsidentenwahl offensichtlich verfälscht und friedlich protestierende Menschen brutal niederknüppeln lässt? Wut kommt auf. Wut ist ein schlechter Ratgeber. Wird sie deshalb unverständlich? Im Amazonas wird weiter der für das Weltklima so wichtige Regenwald angesteckt, damit noch mehr Soja und Rindfleisch für den Weltmarkt produziert werden kann. Das alles mit der Rückendeckung einer brasilianischen Regierung, die für die Profite der großindustriellen Sojabarone über Natur und Leichen geht. Mit dieser Regierung will die EU immer noch ein Freihandelsabkommen vereinbaren. Das macht uns wütend. Die von Menschen verursachte Klimakrise vertreibt heute schon Menschen weltweit aus ihrer Heimat. Sie vernichtet die Ernten und damit die Lebensgrundlage vieler Bäuerinnen und Bauern. In einigen Regionen Deutschlands haben wir zum dritten Mal in Folge mit lang anhaltender Trockenheit zu tun, die Futtergrundlage für die Tiere ist gefährdet. Wir sehen überall abgestorbene Waldbestände, die Arbeit ganzer Generationen scheint zu vertrocknen. Muss es nicht wütend machen, wenn seit Jahren sehr viele anerkannte Menschen aus der Wissenschaft uns vor den Folgen eines ungebremsten Klimawandels gewarnt haben, aber die Regierungen im Zweifelsfall für die Aufrechterhaltung der Konsumverschwendung und Sicherung der Profitinteressen Politik gemacht haben, statt die Lebensgrundlagen nachhaltig zu sichern? Die Landwirtschaft steht vor großen Herausforderungen. Die Bundesregierung unternimmt bislang keine Schritte, mit der alten EU-Agrarpolitik „Wer hat, dem wird noch mehr gegeben“ zu brechen. Ein „Weiter so“ löst aber die ökonomischen, ökologischen und sozialen Probleme nicht. Der Vorschlag, u. a. von der AbL, die Gemeinwohlleistungen der Landwirtschaft auf den Äckern und in den Ställen zu honorieren, liegt auf dem Tisch. Damit wird eine vielfältige Landwirtschaft mit Klimaschutz und artgerechter Tierhaltung zukunftsfest gemacht. Seit Jahren schauen Bund und Länder weg, wenn außerlandwirtschaftliche Investoren landwirtschaftliche Flächen zu hohen Preisen pachten und kaufen. Dieses Wegschauen, das Moderieren zwischen den Interessen, anstatt zukunftsfähige Leitplanken einzuziehen, das schafft bei vielen Frustration, Wut auf „die da oben“. Und schon meinen der Bauernverbandsboss und die Bundesministerin, die Bewegungen in eine radikale Ecke schieben zu können. Kein Zweifel: Die bäuerlichen Bewegungen sind aufgefordert, sich klar gegen Hass, Hetze, Gewalt und Zusammenarbeit mit rechtsextremen Kräften auszusprechen, sonst schießen wir uns ins politische und gesellschaftliche Abseits. Wir tun gut daran, den bereits begonnenen Weg zu intensivieren, sowohl in der Praxis als auch in der politischen Auseinandersetzung, in der Praxis auf dem Acker und im Stall selbst andere Wege zu gehen, die Gespräche zwischen den Verbänden (LsV, BDM, AbL u. a.) fortzusetzen, die ja zeigen, es gibt politische Gemeinsamkeiten in den Positionen zur EU-Agrarreform, bei den Freihandelsabkommen, in der Milch- und Bodenpolitik, bei der Tierhaltung, im Ackerbau. Die Gemeinsamkeiten zu bündeln, sich dafür starke gesellschaftliche Verbündete zu suchen und sich nicht spalten zu lassen, ist ein Gebot der Stunde. Dann bekommt Wut politische Orientierung. Wenn wir dazu Druck in der Öffentlichkeit aufbauen, wird es für die Verantwortlichen unbequemer, nicht zu handeln.
28.09.2020
Von: Georg Janßen, AbL-Bundesgeschäftsführer

Georg Janßen, AbL-Bundesgeschäftsführer