Absichtserklärung für Ablass

Die Initiative Tierwohl ist noch ein Papiertiger, beißt aber schon zu

 

Lange Schatten wirft die Initiative Tierwohl zumindest schon mal voraus. Während es nicht häufig so viel mediale Öffentlichkeit für eine reine Absichtserklärung gibt, und der Zeitpunkt, zu dem solches Fleisch in der Theke liegen könnte irgendwo Ende 2014, Anfang 2015 angesiedelt ist, werden für andere Branchenbeteiligte die Auswirkungen jetzt konkret spürbar. Der Handel ist gerade äußerst zurückhaltend, wenn es um die Einführung gekennzeichneter Produkte mit höheren Tierwohlstandards geht. „Die müssen erst wieder unter Druck kommen“, sagt Jochen Dettmer, Neuland Geschäftsführer und selber Schweinebauer, „schließlich möchten die Verbraucher erkennen, wie die Tiere gehalten wurden.“ „Der Mehrwert muss für den Verbraucher sichtbar sein“, formuliert auch Horst Lang, Leiter im Bereich Umwelt und Qualitätssicherung beim Handelsunternehmen Globus. Er ist einer der Vertreter des Handels, die die Initiative Tierwohl mindestens mit einer gewissen Skepsis betrachten. „Eigentlich toll”, aber auch eine „anspruchsvolle Herausforderung“ sei die Umsetzung, so Lang. Im globalen Markt sei es gefährlich mit Intransparenz zu arbeiten, schließlich sehe man dem Fleisch nicht an wo es herkomme. Gleichzeitig kritisiert er, dass mit so einer Initiative „Nischen, in denen die Bauern einen deutlichen Mehrwert erwirtschaften können, verloren gehen“. Aus Sicht der Bauern sei es fraglich, ob die erhöhten Produktionskosten wirklich wieder rein kämen. Keine Gesetzesverschärfungen Der Bauernverband als Mitinitiator der Initiative Tierwohl mutmaßt in einem internen Schreiben gegenüber seinen Mitgliedern noch, letzten Endes werde der Verbraucher die Mehrkosten über einen höheren allgemeinen Fleischpreis zahlen. Viele Bauern und Bäuerinnen fürchten allerdings am Ende selbst draufzulegen. Auch wenn der DBV das insgeheim vielleicht sogar ähnlich sieht, ist es ihm wichtig, mit dem Signal des eigenverantwortlichen Handelns, eventuell drohende Gesetzesverschärfungen aufgrund der gesellschaftlich-politischen Großwetterlage abzuwenden. Auch das schreibt er seinen Mitgliedern. Dies kombiniert mit weiteren Öffentlichkeitskampagnen, um dem Verbraucher die moderne Tierhaltung, die ja aus Sicht des Verbandes schon ganz prima ist, nahe zu bringen, sollte offenbar ausreichen, um die kritische gesellschaftliche Stimmung zu besänftigen. Tierwohl, so erklärt NRW-Bauernverbandsvertreter Johannes Röring, eigne sich jedenfalls nicht zur Marktdifferenzierung. Preisfrage „Es war ein geschickter Schachzug zur Wahl“, resümiert denn auch Bio- und Neulandfleischvermarkter Hugo Gödde aus NRW die Vorstellung der Initiative Tierwohl nur Tage vor der Bundestagswahl. Einerseits suggeriere man den Bauern Wahlfreiheit beim Tierwohl und gleichzeitig habe man politischen Druck aus dem Thema genommen. Dabei dürfe man nicht verkennen, dass in der Fleischvermarktungsszene Tierwohl oder Nachhaltigkeitsdebatten eigentlich nur Randthemen seien. Nach wie vor werde 90 % des Fleisches über den Preis verkauft so Gödde, und in Deutschland meist zu Dumpingpreisen. „Bei uns geht 70 % des Thekenfleisches in Angebotsaktionen weg, das ist in den Nachbarländern anders.“ Über Jahrzehnte wurde hier gerade im Fleischbereich eine Geiz-ist-geil-Mentalität herangezüchtet, der sich nur wenige entziehen. Besonders im Supermarkt ist es schwierig, etwas anderes als den Preis zu kommunizieren. Deshalb hat Neuland immer auf andere Handelspartner gesetzt, und auch das Fleisch mit dem Tierwohllabel des Tierschutzbundes hat es wohl gerade deshalb nicht leicht. Trotzdem müssen Verbraucher, die etwas anderes wollen, die Möglichkeit bekommen zu erkennen, was sie kaufen. Ein Ablasshandel an der Fleischtheke, wie ihn die Initiative Tierwohl möchte, wird wohl kaum zur Aufbesserung des sowieso schon angeschlagenen Images der Fleischindustrie und der „modernen Tierhalter“ beitragen.
19.11.2013
Von: Claudia Schievelbein, unabhängige Bauernstimme