Verbände fordern: Schlachtindustrie und Massentierhaltung müssen sich ändern und Schluss mit Wachsen und Weichen

Die Landesverbände des BUND, der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) und des Deutschen Tierschutzbunds in Niedersachsen haben anlässlich des von Wirtschaftsminister Bernd Althusmann initiierten „Schlachthof-Gipfels“ Landwirtschaftsministerin Barbara Otte-Kinast aufgefordert, ihrer jüngsten Kritik am "System Fleisch" spürbare Konsequenzen folgen zu lassen. Die Nutztierhaltung in Niedersachsen muss auf ein nachhaltiges und umweltverträgliches Maß reduziert und wieder in bäuerliche tiergerechte Haltungen mit fairen Preisen entwickelt werden. Um dieses Ziel zu erreichen, muss die Landespolitik auch auf die Strukturen in der Schlachtindustrie und der Massentierhaltung grundlegend Einfluss nehmen. Die Verbände kritisieren, dass der Strukturwandel in der Lebensmittelverarbeitung hin zu industriellen Konzernstrukturen zu menschenverachtenden Arbeitsverhältnissen geführt hat. "Dem notwendigen Verbot von Werkvertragssystemen in der Schlachtindustrie müssen dringend weitere Schritte folgen", betont Tilman Uhlenhaut, BUND-Agrarexperte. "Mit halbherzigen Tierhaltungsverbesserungen und einem Herumdoktern an bestehenden Problemen wie beispielsweise dem Nährstoffüberschuss wird das Land diese Herausforderung nicht bewältigen. Es muss die regionale Lebensmittelverarbeitung und -vermarktung wieder zum Leitbild der Lebensmittelversorgung machen und diese mit sinnvollen Lösungen fördern. Wo zum Beispiel immobile Schlachtstätten fehlen, sollten mobile Projekte unterstützt werden." "Erzeuger- und Verbraucherpreise müssen die Qualität und die Arbeit in der Landwirtschaft wiederspiegeln", fordert Ottmar Ilchmann der AbL Niedersachsen. Durch die Globalisierung von Futtermittelimporten aus den Ländern des Südens und dem Verschleudern von Überproduktionen auf dem Weltmarkt seien hierzulande ruinöse Billigpreise für Erzeuger*innen und Ramschpreise im Lebensmittelhandel entstanden. "Die Förderung muss sich auf die umweltverträgliche, tiergerechte und sozialgerechte Landwirtschaft konzentrieren, die neben der Lebensmittelerzeugung auch Leistungen beim Erhalt von Natur und dem Klimaschutz erbringt. Wer Billigware im Überschuss produziert, die für den Weltmarkt bestimmt ist, darf keinen Anspruch mehr auf Förderung haben", so Ilchmann. Dieter Ruhnke vom Landestierschutzverband Niedersachsen ergänzt: "Die ordnungsrechtlichen Vorgaben zur Tierhaltung und die ordnungspolitischen Maßnahmen für den Markt müssen den Tierschutz, die umweltverträgliche Haltung und soziale Standards durchsetzen, damit Verstöße geahndet und entstandene Wettbewerbsverzerrungen sich nicht mehr auszahlen." In Niedersachsen hat die Konzentration der Tierhaltung bis hin zur Massentierhaltung zu wenigen Großbeständen und damit verbunden zu Strukturbrüchen in der bäuerlichen Landwirtschaft geführt. Unübersehbar sind die Belastungen von Wasser, Boden, Luft und Klima durch die Nährstoffüberschüsse aus dieser Nutztierhaltung. Ein Abbau von Tierbeständen insbesondere in den Hauptkonzentrationsregionen der Massentierhaltung wie Cloppenburg, Vechta und Emsland ist laut den Umwelt-, Landwirtschafts- und Tierschutzverbänden unumgänglich und müsse jetzt zügig weiter vorangetrieben werden. Mit dem Ergebnis des Kompetenznetzwerkes Nutztierhaltung, auch Borcher-Kommission genannt, liegt ein beschlossenes Arbeitspaket auf Bundesebene vor. Die Verbände erwarten, dass dieses in Niedersachsen nun stringent von Ministerin Otte-Kinast in Zusammenarbeit mit den anderen Ministerien abgearbeitet wird. Eine Fleisch-Umlage sei ein mögliches Instrument der Finanzierung, es dürfe jedoch nicht dabei bleiben, dass diese Abgabe durchgängig für alle angedachten Labelstufen gleich ist. Je weniger Tierschutz desto höher muss die Umlage auf das Produkt sein! Ministerien für eine Verbesserung der Arbeits- und Unterbringungsverhältnisse in der Fleischbranche
An dem „Schlachthof-Gipfel“, offiziell „2. Runder Tisch Fleischwirtschaft“ genannt, nahmen neben den genannten CDU-Ministern auch Niedersachsens Sozialministerin Dr. Carola Reimann und Bauminister Olaf Lies, beide SPD, sowie Vertreter der Kommunen, der Fleischwirtschaft und der Berufsgenossenschaft teil. Nach dem Treffen teilte das Wirtschaftsministerium mit, dass die Ministerinnen und Minister einhellig die Ankündigung der Bundesregierung begrüßt haben, im Rahmen eines Arbeitsschutzprogramms das Schlachten und die Fleischverarbeitung ab 2021 grundsätzlich nur noch durch Beschäftigte des eigenen Betriebes zu erlauben. Einig seien sich die niedersächsischen Regierungsvertreterinnen und -vertreter angesichts der durch die Corona-Krise noch einmal deutlich hervorgetretenen Missstände in größeren Schlachtunternehmen aber auch, dass man für eine Verbesserung der Arbeits- und Unterbringungsverhältnisse in der Branche nicht allein auf Antworten des Bundes warten könne, sondern eigene Vorschläge für den „Systemwechsel” vorlegen will. Niedersachsen müsse dabei als eines der bedeutendsten Agrarländer Deutschlands die gesamte Wertschöpfungskette Fleisch – von der Tierhaltung bis zur Fleischverarbeitung – in den Blick nehmen. Ein erster Schritt sei beispielsweise eine entsprechende Anpassung der seit dem 6. Juli 2020 geltenden Fassung der Corona-Verordnung: Demnach sind die Betriebe der Fleischwirtschaft verpflichtet, die Kontaktdaten ihrer Werkvertragsbeschäftigten zu dokumentieren. Im Falle eines Infektionsgeschehens können so die Beschäftigten deutlich schneller erreicht und mögliche Ausbreitungen effektiver eingegrenzt werden. Als positives Signal werteten die Ministerinnen und Minister das Angebot von Vertretern der Fleischwirtschaft, neben einem Verzicht auf Werkverträge zusätzlich durch einen zu verhandelnden allgemeinverbindlichen Tarifvertrag zu einer weiteren Verbesserung der Situation beitragen zu wollen. Grundlage dafür sei aber die Rückkehr der Gewerkschaft an den Verhandlungstisch. Und Bauminister Olaf Lies erklärt: „Mit dem neuen Wohnraumschutzgesetz wollen wir dem Wahnsinn der teilweise katastrophalen Unterbringungssituation einen Riegel vorschieben. Es kann nicht sein, dass Werkvertragsbeschäftigte immer noch menschenunwürdig hausen müssen – sehr oft mit viel zu vielen Menschen auf zu engem Raum und in Unterkünften, die nicht mal mehr den Titel ,ein Dach über dem Kopf’ verdienen. Und das betrifft eben vor allem Beschäftigte in der Fleischindustrie. Darum müssen in dieser Branche die Werkverträge ganz abgeschafft werden, damit die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vernünftige Arbeitsverträge in der Tasche haben und damit auch eine reelle Chance auf dem Wohnungsmarkt.” Ein weiteres Gespräch ist nach Vorliegen des von der Bundesregierung angekündigten Gesetzentwurfes – gerade mit Blick auf dessen Auswirkungen auf den Standort Niedersachsen – geplant. Bereits vor dem Treffen hatte Otte-Kinast sich in der "Neuen Osnabrücker Zeitung" für einen grundsätzlichen Wandel bei der Fleisch-Erzeugung ausgesprochen und erklärt, dass es nicht sein dürfe, dass es in Niedersachsen ganze Landkreise gebe, in denen kein einziger Schlachter mehr zu finden sei. In jeden Landkreis gehöre ein Schlachthof, um den regionalen Konsum anzukurbeln und Tiertransporte zu verkürzen.
17.07.2020
Von: FebL/PM

AbL, BUND und Tierschutzbund in Niedersachsen fordern bäuerliche tiergerechte Haltungen mit fairen Preisen. Foto: Neuland