In der Coronakrise sind multiresistente Erreger eine zusätzliche Gefahr

Seit einigen Jahren sinkt in Deutschland insgesamt der Fleischkonsum. Einzig der Absatz von Putenfleisch steigt weiter an. Ob dieses „gute Image“ gerechtfertigt ist, wollte die ZDF-Sendung Zoom wissen und hat 63 Putenfleischstichproben aus Supermärkten und Discountern von der Mikrobiologin Professor Katarina Schaufler von der Uni Greifswald auf resistente Keime untersuchen lassen. Das Ergebnis: auf 62 Prozent der konventionellen Proben gab es antibiotika-resistente Keime, bei Bio-Puten waren es immer noch 25 Prozent. Mehr als ein Drittel aller Proben war mit Keimen belastet, die auch gegen so genannte Reserveantibiotika resistent sind – Medikamente, die eigentlich schwerstkranken Menschen vorbehalten sein sollten, was gerade vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie ein Problem darstelle. Diese Ergebnisse decken sich weitgehend mit von der Umwelt- und Verbraucherschutzorganisation Germanwatch vor einem Jahr in Auftrag gegebenen Stichproben, bei denen auf 56 Prozent der Hähnchenfleischproben aus Discountern resistente Erreger gefunden wurden. Ein Drittel der kontaminierten Proben war resistent gegen Reserveantibiotika. Germanwatch fordert daher auch mit Blick auf die Ergebnisse der ZDF-Stichproben von Landwirtschaftsministerin Klöckner, die Nutzung von Reserveantibiotika in der industriellen Tierhaltung umgehend zu stoppen. Dies ist nach Ansicht von Germanwatch gerade vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie dringender denn je: Den aktuellen Erfahrungen in Deutschland und Studien zufolge wird eine Mehrheit der Corona-Patienten im Krankenhaus mit Antibiotika behandelt, zum Beispiel wegen Sekundärinfektionen. Multiresistente Erreger sind für den Erfolg dieser Behandlungen eine große Gefahr. Antibiotikaresistenzen schwächen zudem insgesamt unser Gesundheitssystem massiv - auch mit Blick auf die Bewältigung der Corona-Krise und möglicher künftiger Pandemien. "Die globale Krise infolge von Covid-19 führt uns vor Augen, welche dramatischen Auswirkungen es hat, wenn wirksame Medikamente für erkrankte Menschen fehlen. Mit der Ausbreitung von Antibiotikaresistenzen steuern wir sehenden Auges darauf zu, dass sich der Medizinschrank der Welt leert und wir riskieren, dass Antibiotika etwa bei Wundinfektionen oder Lungenentzündungen künftig in immer mehr Fällen nicht mehr wirken", warnt Reinhild Benning, Referentin für Landwirtschaft und Tierhaltung bei Germanwatch. In Deutschland wurden 2018 mit 722 Tonnen mehr Antibiotika in der Fleisch- und Milcherzeugung verbraucht als zur Behandlung erkrankter Menschen. Germanwatch fordert die Bundesregierung auf, den besonders hohen Antibiotikaverbrauch in der industriellen Hähnchen- und Putenerzeugung drastisch zu verringern und Reserveantibiotika aus industriellen Tierhaltungen umgehend zu verbannen. Benning: „Die von der Regierung geplante Reduktion des Antibiotikaverbrauchs stockt seit geraumer Zeit. Gerade angesichts der zusätzlichen Herausforderungen in der Corona-Krise ist ist der Erhalt wirksamer Antibiotika aber wichtiger denn je. Die Tierhaltungsbranche hat im Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung unter Vorsitz des ehemaligen CDU-Landwirtschaftsministers Jochen Borchert gemeinsam mit Umwelt- und Tierschutzverbänden Empfehlungen für den schrittweisen Ausstieg aus der industriellen Tierhaltung erarbeitet. Damit liegt ein Fahrplan für den Umbau der Tierhaltung vor. Wer die dazu notwendigen gesetzlichen Verbesserungen für Tierschutz und gegen Antibiotikamissbrauch aufschiebt, riskiert die Zukunftsfähigkeit der deutschen Tierhaltung und billigt die Zunahme der Gesundheitsrisiken für Mensch und Tier durch multiresistente Erreger.“ Den Gesetzgeber in der Plicht sieht auch die Veterinärin Miriam Goldschalt vom Deutschen Tierschutzbund gegenüber ZDF Zoom: „Es gibt keine rechtlich bindenden, gesetzlichen Vorschriften für die spezielle Putenhaltung. Das Einzige, was existiert, ist eine freiwillige Vereinbarung, die sogenannten bundeseinheitlichen Eckwerte für die konventionelle Putenhaltung. Aber leider orientieren sich diese Eckwerte weitgehend an der Industrie und an der bestehenden Praxis. Wir würden uns wünschen, dass man nicht die Tiere an das Haltungssystem anpasst, sondern das System an die Bedürfnisse der Puten.“