Schlachthöfe als Corona- Brennpunkte

So richtig überraschen kann es nicht. Große Schlachthöfe mit vielen ausländischen Werksarbeitern sind aktuell neben den Pflegeheimen der größte Risikoherd für eine Corona-Virus- Infektion. Nachdem schon vor zwei Wochen mehr als 250 infizierte ausländische Arbeitnehmer bei Müller Fleisch in Birkenfeld (Baden Württemberg) festgestellt wurden und danach der Rinder- Schlachthof von Vion in Bad Bramstedt (Schleswig Holstein) wegen Ansteckungsgefahr geschlossen wurde, geriet Ende dieser Woche der Westfleisch- Schlachthof in Coesfeld (NRW) ins Fadenkreuz der Gesundheitsbehörden. Die Zahl der positiv auf Corona getesteten Mitarbeiter ist bis Sonntag auf 230 von 1200 Mitarbeitern gestiegen, wie ein Sprecher des Kreises mitteilte, und viele würden erst noch getestet. Die Arbeiter, von denen viele über Subunternehmer aus Osteuropa, vor allem aus Rumänien kommen, wohnen verstreut in zahlreichen Unterkünften in umliegenden Dörfern und Kleinstädten. Insgesamt sind (Stand Sonntag) im Kreis Coesfeld 305 Menschen akut erkrankt – Tendenz steigend. Irritationen hatte es am Donnerstag gegeben, als der Landrat zunächst die Betriebsschließung verkündet hatte, Westfleisch aber weiter produzierte, weil man ja als „systemrelevant“ eingestuft war. Auch der WDR warf die Frage auf, wer denn jetzt das Sagen habe. Gesundheitsminister Laumann entschied dann Freitagnachmittag, indem er den Betrieb für eine Woche schloss und für alle Mitarbeiter einen Test anwies. Alle 20.000 Mitarbeiter der Schlachtbranche in NRW werden nun getestet. Vor manchen Schlachthöfen wurden bereits Zeltorte errichtet. Am Standort Hamm z.B. muss die Stadt kurzfristig 1150 Arbeitsnehmer testen und 350 Wohneinheiten kontrollieren. Dass Systemrelevanz nicht nur ein Recht auf Weiterproduktion bedeutet, während andere Branchen lockdown haben, sondern auch eine besondere Verantwortung für Mitarbeiter und umgebende Bevölkerung beinhaltet, erklärte der Minister unmissverständlich. Da im Kreis die Corona- Obergrenze von 50 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner gerissen wurde, verschob er die für Montag beschlossenen Lockerungen im Kreis wie Öffnung von Restaurants, Besuche von Biergärten, Freibädern usw. auf den 18. Mai. Gegen die Anordnung war Westfleisch mit einem Eilantrag vor das Verwaltungsgericht Münster gezogen, wurde aber abgeschmettert, da „Westfleisch eine erhebliche Gefahrenquelle sei.“ Die Ansteckungssorgen der Einwohner und die Verschiebung der Lockerungen sorgen für viel Ärger bei den Gewerbetreibenden und führen zu großer Unruhe bei den 220.000 Menschen im ganzen Landkreis. Virus- Hotspot Fleischindustrie
Mit insgesamt über 700 positiv getesteten Arbeitern haben sich die Schlachthöfe zu einem großen Übertragungsherd bundesweit entwickelt. Auch andere Schlachthöfe im Schweineland Westfalen haben einzelne Infektionen. Dabei sind trotz verschärfter Arbeitsschutzbestimmungen die Abstände in der Zerlegung schwer einzuhalten, aber auch die Sammelunterkünfte der Werksarbeiter in alten Kasernen, leerstehenden Hotels oder Containerdörfern haben großes Ansteckungspotenzial, dazu kommen gemeinschaftliche Küchen, Sanitäranlagen, Bustransfers zur Arbeit. Und die Anweisungen werden mangels Sprachkenntnissen und Kontrollen nur unzureichend umgesetzt. Dass diese Bedingungen oft prekär sind, ist keine neue Erkenntnis. Vielleicht lernen die Unternehmen endlich daraus, sich mehr zu kümmern und nicht die sozialen Verhältnisse den Subunternehmern zu überlassen, so Arbeitsminister Heil. Laumann: „Systembegründete Verletzung des Arbeitsschutzes“
In einem Brief forderte er „eindringlich“ auf, den Arbeitsschutz für Saisonarbeiter und Werksarbeiter in der Landwirtschaft und Fleischindustrie streng zu kontrollieren. Friedrich Ostendorff, Agrarsprecher der Grünen im Bundestag, der seinen Wahlkreis in Coesfeld hat, fragt bei den Zuständigen auf Bundes- und Landesebene zu Recht an, warum nicht schon längst etwas unternommen wurde und ob erst Corona Probleme ans Licht zerren müsse, die seit langem bekannt seien. Selbst Laumann hatte nach einer größeren Untersuchung der Zustände in NRW im Oktober die Ergebnisse als „niederschmetternd“ bezeichnet. „Die Verstöße sind zu gravierend und zu viel, so dass man fast von einer systembegründeten Verletzung des Arbeitsschutzes sprechen kann.“ Geändert hat sich nichts. Ostendorff fordert u.a., dass die Stammbelegschaft in den Betrieben erhöht und die Werksverträge zurückgedrängt werden, damit die Betriebe die Verantwortung für die Mitarbeiter hätten und sie nicht auf schwer kontrollierbare Subunternehmer abschieben könnten. Außerdem könnten dann Gewerkschaften ihrer betrieblichen Arbeit nachgehen. Für Bauern wächst das Marktchaos
Mit der Schließung des größten Westfleisch- Schweineschlachthofes vergrößert sich für die Schweinehalter das Marktchaos noch mehr. Coronabedingt waren ganze Teilmärkte wie Gastronomie oder teilweise Exporte weggebrochen bzw. mussten neue Absatzwege erst aufgetan werden. Der Schweinepreis war infolge der Turbulenzen schon um 25% eingebrochen. Wenn jetzt Schlachtkapazitäten wegbrechen, ist ein weiteres Preistal zu erwarten. So wurde bei der Freitagsauktion der ISN in Norddeutschland erstmals kein einziges Schwein vermarktet. Und eine Erzeugergemeinschaft kündigte an, Panikverkäufe unter dem Durchschnittsgewicht von 96 kg mit 5 € abzustrafen. Außerdem notieren Ferkel ab Montag, 11. Mai mit 54 € gegenüber 76 € vor vier Wochen. Auch wenn die Schweinebauern vor schwierigen Zeiten stehen, sollten sie im eigenen Interesse spätestens aus Corona den Schluss ziehen, die unwürdigen und miserablen Arbeits- und Wohnverhältnisse mit oft dubiosen Subunternehmen in der Fleischbranche zu stoppen. Immerhin halten Gewerkschaftsvorstände es dazu für überfällig, „den ruinösen Preiskampf beim Fleisch zu beenden.“
Dann könnte aus dem Schlamassel noch etwas Gutes gelernt werden.