Ein von prekärer Beschäftigung abhängiges System

Die sich aktuell zeigende Situation von Saisonarbeitskräften und zumeist osteuropäischen Arbeitskräften in den Verarbeitungsbetrieben muss nach Ansicht des stellvertretenden Bundesvorsitzenden der Gewerkschaft Bauen, Agrar, Umwelt (IG BAU), Harald Schaum, genutzt werden, um grundlegend über die Bedingungen eines falschen Systems nachzudenken und diese zu ändern. „Hier ist eine Situation entstanden, in der die Betriebe hochgradig abhängig von prekärer Beschäftigung sind“, erklärt Schaum im Interview mit der Unabhängigen Bauernstimme. Der Mangel an Arbeitskräften zeigt nach Ansicht von Schaum beispielhaft: „Die Lebensmittelindustrie hat sich entlang der gesamten Wertschöpfungskette davon abhängig gemacht, dass Hunderttausende Menschen unter prekärsten Bedingungen die eingeplanten Arbeitsspitzen auffangen. Eine andere Ausrichtung der Lebensmittelproduktion ist auch aus Sicht der Beschäftigten dringend notwendig und auch möglich. Eine vielfältigere Ausrichtung landwirtschaftlicher Betriebe könnte beispielsweise mehr ganzjährige Arbeitsplätze schaffen, gut für den ländlichen Raum insgesamt. Positive ökologische Auswirkungen hätte dies auch“. In der Lockerung von Arbeitsrechten sieht Schaum ein Ausnutzen der Corona-Krise. „Die jetzt getroffenen Regelungen waren bereits seit Jahren auf der Agenda der landwirtschaftlichen Arbeitgeberverbände: Ausweitung der täglichen und der wöchentlichen Arbeitszeit sowie die Verkürzung der Ruhezeit. Auch die Verlängerung des Zeitraums, in dem eine sozialversicherungsfreie Beschäftigung möglich ist, von 70 auf 115 Tage gehörte dazu. Aus unserer Sicht ist es ein Widerspruch, die Systemrelevanz der landwirtschaftlichen Produktion in der Pandemie anzuerkennen und dann Regelungen zu treffen, die auf Kosten der Gesundheit der Beschäftigten gehen. Hier wurde die Corona-Pandemie genutzt, um die langjährigen Forderungen umzusetzen. Die Regelungen waren bereits davor so flexibel wie in keiner anderen Branche in Deutschland“, so Schaum. Nicht in Ordnung findet er, dass die Umsetzung von staatlichen Vorgaben dem Bauernverband überlassen wird. „Da wird der Bock zum Gärtner gemacht. Der Vorgang der Vermittlung gehört in die Hände von bewährten Profis, das ist die Bundesagentur für Arbeit“, erklärt Schaum. Das vollständige Interview findet sich in der aktuellen Ausgabe der Unabhängigen Bauernstimme.