„Der Berufsstand ist im Aufbruch“

Zum zehnten Mal mit dem Trecker nach Berlin. Zum zehnten Mal demonstrieren Bäuerinnen und Bauern, Verbraucherinnen, Natur- und Umweltschützer gemeinsam mit Tierschützern und Eine-Welt-Organisationen anlässlich der Grünen Woche für eine andere, ökologischere, sozialere Agrarpolitik. Immer wieder dasselbe, könnte man denken, denn längst ist bei vielen Teilnehmern die Wir-haben-es satt-Demo im Januar zu einem festen Termin im Jahresverlauf geworden. Ein Datum, an dem man nach Berlin fährt, runterkommt vom eigenen Hof, rausgeht aus der eigenen Wohnung, auf die Straße, ins Regierungsviertel nach Berlin. Und doch ist in diesem Jahr vieles anders. Denn obwohl das Bündnis Meine Landwirtschaft, das von über 100 Verbänden, Vereinen und Organisationen getragen wird, schon seit einem Jahrzehnt darauf aufmerksam macht, dass es eine veränderte Agrarpolitik, einen Zusammenschluss mit den Verbrauchern, bessere Preise und nachhaltige Wirtschaftsformen mit mehr Tierwohl und Vielfalt auf den Feldern braucht, war das gesellschaftliche Interesse, die gesellschaftliche und politische Aufmerksamkeit für Landwirtschaft noch nie so groß wie in diesem Jahr. Ganz wesentlich zu dieser veränderten öffentlichen Wahrnehmung haben die vielen und großen Schlepperdemonstrationen von Land schafft Verbindung (LsV) beigetragen. Auch einen Tag vor der Wir-haben-es-satt-Demo hatte LsV in vielen Städten, auch in Berlin, mit großer Beteiligung demonstriert. Schwerer Start Spätestens seit dem Landwirtschaftsdialog Anfang Dezember im Kanzleramt wurde deutlich, dass die Zukunft der Landwirtschaft in Deutschland eine zentrale gesellschaftliche Frage ist. Eine Zukunftskommission soll die unterschiedlichen Interessen der verschiedenen Gruppierungen zusammenführen. „Im Rahmen des Landwirtschaftsdialogs mit Bundeskanzlerin Merkel am 2. Dezember 2019 wurden der Deutsche Bauernverband und die Initiative Land schafft Verbindung von der Kanzlerin gebeten, für die geplante Zukunftskommission Landwirtschaft einen Mandatsentwurf vorzulegen. Die Vorbereitungen für die Einsetzung der Zukunftskommission dauern an“, so die Antwort aus dem Kanzleramt zum aktuellen Stand. Der Deutsche Bauernverband teilt auf Nachfrage mit: „Wir hatten den Auftrag von der Kanzlerin, gemeinsam mit LsV einen Vorschlag für eine Zukunftskommission zu machen. Das haben wir getan und sind derzeit in der Vorabstimmung mit dem Kanzleramt.“ Während man also auf offizieller Seite, zumindest aktuell, wenig transparent an einer Zukunftskommission arbeitet, formulierten die Menschen bei der WHES in Berlin klare Ziele. Der erste Stopp der Treckerkolonne am Außenministerium, dem Tagungsort der von Bundeslandwirtschaftsministerin Klöckner einberufenen internationalen Agrarministerkonferenz, wurde traditionell dazu genutzt, die Forderungen für eine alternative Agrarpolitik zu übergeben. Anders als in den Vorjahren nahm die Ministerin selbst sich die Zeit, die Forderungen der Bäuerinnen und Bauern entgegenzunehmen. Medienwirksam kletterte sie auf eine Milchkanne, die ihr im Anschluss als Symbol des bäuerlichen Wirtschaftens überreicht wurde. Eine konkrete eigene Vision der zukünftigen Agrarpolitik blieb die Ministerin genauso schuldig wie eine konkrete Reaktion auf die zuvor von Georg Janßen, dem Bundesgeschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, vorgetragenen Forderungen. Keine Spaltung Deutlichen Widerspruch bekam die Ministerin für ihren Versuch, die Bauern mit ihrem Interesse am Erhalt ihrer Höfe in verschiedene Lager zu spalten. Unbestritten gebe es unterschiedliche Vorstellungen über die nächsten konkreten Schritte, aber geeint seien die Bauern in ihrem Bedürfnis, eine Perspektive für den Erhalt der Betriebe zu entwickeln. Dass sich die verschiedenen Gruppierungen längst im Dialog befinden, zeigen die unterschiedlichen Veranstaltungen sowie durchweg positiv aufgenommene Redebeiträge von Vertretern von LSV sowie WHES auf der jeweils anderen Veranstaltung. Auch Felix Prinz zu Löwenstein, Vorsitzender des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft, betont an dieser Stelle entschieden die Notwendigkeit einer von den Bauern gemeinsam entwickelten Vorstellung, wie Landwirtschaft in Zukunft aussehen soll. Erst dann könne man mit der Gesellschaft in einen Dialog treten. Bei ihrer Rede auf der Abschlusskundgebung der WHES am Brandenburger Tor freute sich die Bundesvorsitzende der AbL über die vielen Bäuerinnen und Bauern die mit ihren Traktoren als bäuerliches Zeichen nach Berlin gekommen waren, um hier gemeinsam „inmitten einer bunten und lauten Menschenmenge“ für eine andere Agrarpolitik zu demonstrieren. „Der Berufsstand ist im Aufbruch“, so Freesen. Dieser agrarpolitische Umbruch müsse zu einer anderen Landwirtschafts- und Gesellschaftspolitik führen. Als wichtigstes Instrument nannte Freesen die Gemeinsame Agrarpolitik und mahnte eine Qualifizierung der Agrarförderung anhand von Umwelt-, Tierschutz- und Sozialleistungen anstelle der aktuellen Vergabe nach Fläche an. Es gehe um Klimaschutz und den Erhalt der Höfe, um einen Markt mit fairen Preisen und ein Gesellschaftssystem, in dem sich alle gesunde Lebensmittel leisten können.
04.02.2020
Von: mn

27.000 demonstrieren in Berlin für eine bäuerliche Landwirtschaft