Die Rache langjährig falscher Entscheidungen

Es ist eine Gemengelage – nicht nur das, was auf Mistplatten und in Güllepötten zusammenkommt, sondern auch, was jetzt im Zusammenhang mit der Düngeverordnung bei den Bauernprotesten, in Diskussionsrunden und auf den Höfen diskutiert wird: Kläranlagen, Verschwörungstheorien, die Funktionsfähigkeit von Messstellen, der Sinn oder Unsinn von bestimmten Messstellenstandorten, das Prozedere der Meldung an Brüssel. Das alles soll hier nicht Thema sein. Schließlich wird nicht erst seit gestern gemessen und nicht nur von offiziellen Stellen, sondern auch von den Wasserversorgern. Dabei entstand letztlich über Jahrzehnte ein genaues Bild, das Handlungen zur Reduktion des Nitratgehaltes im Grundwasser einfordert. Und das Bild lässt auch keinen Zweifel daran, dass die Landwirtschaft, speziell eine nicht an die Fläche angepasste Tierhaltung, ihren Anteil zur Belastung des Grundwassers mit Nitrat beiträgt. Dementsprechend ist es mehr als geboten, dass die Landwirtschaft auch einen Beitrag zur Reduktion des Problems leistet. Rahmen im wahrsten Sinne des Wortes ist die EU-Wasserrahmenrichtline von 2000, zu deren Einhaltung auch Deutschland verpflichtet ist und genau das aber – und deshalb drohen nun die immer wieder im Raum stehenden über 800.000 Euro Strafzahlung pro Tag – bis heute nicht schafft. Alle bislang eingeleiteten Maßnahmen inklusive der letzten Anpassung der Düngeverordnung von 2017 reichen nicht aus. Im Prinzip deshalb, weil die Politik auf Druck des Bauernverbandes niemals – durchaus in der Debatte vorgebrachte – wirklich wirksame Mechanismen durchgesetzt hat. Im Gegenteil, sie sendete gegenteilige Signale in die Landwirtschaft hinein, zum einen: wir regeln das, macht euch keine Sorgen, zum anderen: wir genehmigen und (fördern sogar) weiterhin Ställe auch in Regionen, die längst die Grenzen im Hinblick auf Nitrateinträge überschritten haben. Das Signal an die Ackerbauern war noch vor drei Jahren die Erhöhung der Düngebedarfswerte für Ackerkulturen, die nicht nur das System einer Düngung (und des Ackerbaus) auf Höchsterträge hin, sondern vielmehr eine permanente Überdüngung in Bauernköpfen salonfähig hielten. Nun kommt das Ende der Sackgasse in Sicht. Die Misere hat erheblich Fahrt aufgenommen, sodass die Folge ordentliches Steuerradgereiße ist. Und natürlich hat auch der Bauernverband sein seit Jahren erfolgreiches Spiel weitergespielt. Deshalb ist bei dem Referentenentwurf zur neuesten Änderung der Düngeverordnung, den die Bundesregierung Ende 2019 nach Brüssel geschickt hat, nichts herausgekommen, was die maßgeblichen Verursacher des Nitratproblems, Betriebe mit intensivster Tierhaltung auf nicht vorhandener Fläche, bzw. die maßgeblichen Profiteure eines auf billiger Massenproduktion basierenden Agrarsystems zur Rechenschaft zieht. Der Bauernverband vertritt die Mehrzahl der bäuerlichen Betriebe nicht, sorgt aber immer wieder dafür, dass sie sich mit denen solidarisieren, die er im Blick hat. Der Referentenentwurf nimmt ein Stück weit die gesamte Landwirtschaft in Sippenhaft. Hinzukommt, dass seine Wirksamkeit durchaus in Frage zu stellen ist. Dennoch ist es angesichts der Dramatik der Gesamtsituation nicht hilfreich, ihn in Gänze abzulehnen. Wichtiger ist der Blick darauf, wo aus Sicht bäuerlicher Betriebe die Pferdefüße liegen. Ein Monster Die vorgesehene schlagspezifische Düngebedarfsermittlung bringt für alle Betriebe erheblich mehr Bürokratie mit sich. „Es ist ein Bürokratiemonster, was besonders vielfältige und kleine Betriebe belastet“, sagt Gemüsebäuerin Marlene Herzog. Vor allem ist es Ausdruck der falschen Herangehensweise. Die AbL schlägt hingegen vor, Betriebe, die aufgrund ihrer Struktur (max. Tierbesatz von 2 GVE/ha, keine Aufnahme außerbetrieblicher Futter- und Düngemittel, Stichwort „gewässerschonende Betriebe“) nicht maßgeblich zu den Verursachern der Probleme gehören, von der schlagspezifischen Betrachtung ausgenommen und stattdessen auf Risikobetriebe fokussiert werden sollte. „Gewerbliche Tierhalter, zu hoher GV-Besatz, Biogas, die Kriterien wollte schon das vergangene grüne niedersächsische Landwirtschaftsministerium, konnte sich aber gegen die Agrarlobby nicht durchsetzen“, sagt Ottmar Ilchmann, AbL-Landesvorsitzender, „damit hätte man wahrscheinlich 80 % der Probleme erfasst.“ Aus seiner Sicht komme auch die lauteste Kritik an der ebenfalls im Referentenentwurf vorgesehenen 20-prozentigen Reduzierung der Düngung unterhalb der festgelegten Bedarfswerte in roten Gebieten von eben solchen Betrieben, die damit ihre schon vorhandenen Schwierigkeiten und Kosten weiter wachsen sehen, Gülle und Biogassubstrat auf (bei ihnen zu wenig vorhandenen) Flächen unterzubringen. Das vorgebrachte und eben zum Teil vorgeschobene Argument vom nicht mehr erzeugbaren Backweizen, welches vermehrte Importe zur Folge habe, muss sicherlich im Blick behalten werden, gerade solange weder mit Qualitätsparameteranpassungen bei den Mühlen noch bei Sortenentwicklung und Empfehlungen in der Pflanzenzucht reagiert wird. Rote Tücher Es sind die schon angesprochenen roten Gebiete, die vielfach ein rotes Tuch für Bauern und Bäuerinnen sind. Zur Überraschung vieler spiegeln sie eben nicht unbedingt wieder, wo im Hinblick auf die Tierhaltung oder den intensiven Ackerbau Probleme aufgrund der Bewirtschaftung zu erwarten sind. Das macht zum einen deutlich, wie umfassend die Situation des Grundwassers und eben auch die der Nährstoffeinträge – inzwischen – ist. Gleichzeitig nimmt es auch Betriebe in die Verantwortung, die von ihrer Bewirtschaftung her kaum einen negativen Beitrag leisten. Die AbL plädiert in ihrer Stellungnahme zum Referentenentwurf für mehr Differenzierung innerhalb der roten Gebiete. Zwar sind Betriebe, die eine maximale Düngemenge von 160 kg/ha nicht überschreiten, von der 20 % Düngereduzierung ausgenommen. Es sollte aber für Dauergrünland auch eine generelle Ausnahme – und nicht nur die eines irgendwie zu definierenden Fünftels der Grünlandfläche eines Landes und auch im Hinblick auf die Herbstdüngung – geben, um damit in Rechnung zu setzen, dass die Gefahr des Nährstoffeintrags unter Dauergrünland in Gewässer wesentlich geringer ist als unter Acker. Deshalb spricht sich die AbL auch dafür aus, im Hinblick auf die nicht nur in roten Gebieten festgelegten Gewässerrandstreifen das Grünland auszunehmen. Gleichzeitig gilt es in Gewässernähe auch nach Düngemitteln zu differenzieren: Festmist und Kompost enthalten stark gebundene Nährstoffe, die weniger von Auswaschung gefährdet sind. Bauern und Bäuerinnen, die ihre Tiere auf Stroh halten, sind aber momentan genauso von beispielsweise der Sperrzeitverlängerung in oder außerhalb roter Gebiete betroffen wie alle anderen auch. So kann die Situation entstehen, dass ein Tierhalter mit einem angepassten Tierbesatz in einem gesellschaftlich und tierschutzmäßig gewünschten Strohstall aufgrund seiner Lage in einem roten Gebiet seine Lagerkapazitäten für Mist und/oder Jauche erweitern muss (oder seinen Tierbestand abstocken), während sein Kollege im benachbarten grünen Gebiet seinen Vollspaltenstall ohne große Veränderungen weiter betreiben kann. „So schnell, wie das jetzt umgesetzt werden soll“, sagt Martin Schulz, Neuland-Schweinehalter in einem roten Gebiet, „kriege ich gar keine Baugenehmigung für Jauchebehälter oder Mistplatte.“ So eine Schrotschuss-Steuerungswirkung hilft weniger dem Grundwasser als der Bau- und Agrarindustrie. Solidarisierungseffekt Mehr für den Solidarisierungseffekt innerhalb der Bauernschaft als für die Problemlösung ist auch das Verbot der Andüngung einer Zwischenfrucht hilfreich. Dort finden sich unter den Kritikern auch Biobauern und -bäuerinnen, die ihre Zwischenfrüchte organisch andüngen, wie auch Bodenschützer, die den Wert auch einer winterbegrünten konventionellen Ackerfläche herausstellen und die den Verlust dieser Praxis fürchten. Mal davon abgesehen, dass es dadurch zu einer im Hinblick auf den Wasserschutz kontraproduktiven konzentrierten Düngung im Frühjahr kommen würde. Die AbL fordert daher, vor dem Hintergrund von Erfahrungen in Wasserkooperationen gegebenenfalls eine Herbstdüngung in gewissem Umfang zuzulassen. Auch im Hinblick auf die schlagbezogene Obergrenze von 170 kg N/ha, die innerhalb der roten Gebiete gelten soll, gibt es Kritik von Seiten, die eher nicht im Verursacher-Fokus stehen. Biogemüsebauern formulieren, darauf angewiesen zu sein, auf einzelnen Flächen mehr als die 170 kg N/ha düngen zu können. Aufgrund der Tatsache, dass die moderne Pflanzenzüchtung auch für sie eigentlich nur Hochertragssorten bereithält, die eine entsprechende Düngung benötigen, um die Qualität zu erzeugen, welche vom Handel verlangt wird, gehe es kaum anders, sagt auch Marlene Herzog. Sie strebe im Gesamtkreislauf des Betriebes ausgewogene Nährstoffbilanzen an, mit denen sie bislang düngeverordnungskonform wirtschaften konnte. Kaum Spielraum Verschiedene Landespolitiker haben bereits angekündigt, im Bundesrat noch Änderungen an der Düngeverordnung bewirken zu wollen. Es macht sich gut, auf Bauerndemos kaum haltbare Versprechungen zu machen. Brüssel hat schon signalisiert, dass die eingereichten Maßnahmen nicht weit genug gehen. Also sind Spielräume auch für die Änderungen, die die AbL für sinnvoll hält, eher winzig.