Wenn eine Krankheit aus Handelsgründen zur Seuche wird

Die verschlungenen Wege der anzeigepflichtigen Tierseuche BHV und ihrer Bekämpfung

Die einen haben es und wollen es loswerden. Andere haben es und es hat für sie keine Bedeutung. Einige hatten es nie. Und viele hatten es, sind es aber mit mehr oder weniger Aufwand losgeworden – und wollen es auf keinen Fall wieder haben. Ein Rätsel? Scheint so, denn eine gemeinsame Lösung ist noch nicht in Sicht. Die Rede ist von rinderhaltenden Betrieben in Deutschland und dem Bovinen (d.h. rinderspezifischen) Herpes Virus Typ 1 (BHV1). In betroffenen Betrieben sind meist  nur wenige Tiere, aber teilweise auch komplette Bestände infiziert. Wer einmal Träger des Virus ist, bleibt das lebenslang. Bricht diese Krankheit akut aus, dann hierzulande in der Form der Infektiösen Bovinen Rhinotracheitis IBR, eine Entzündung von Nase und Luftröhre, die mit starkem Fieber und Fruchtbarkeitsstörungen, Totgeburten oder Euterentzündungen verbunden sein kann. In den meisten Fällen sind jedoch keine Krankheitsanzeichen zu erkennen; die Infektion kann nur durch Laboruntersuchungen nachgewiesen werden. Hauptgrund für die staatliche Einordnung und Bekämpfung als anzeigepflichtige Tierseuche sind Handelsbeschränkungen für nicht BHV1-freie Tiere innerhalb der EU. Saniert wird in Deutschland schon seit 25 Jahren, seit 1997 auf Grundlage einer eigenen Verordnung - jedoch in jedem Bundesland mit unterschiedlicher Herangehensweise und Konsequenz. Bayern ist als einziges Bundesland amtlich anerkannt BHV1-frei. Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Baden-Württemberg, die Stadtstaaten und mittlerweile auch Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen kommen diesem Status mit mehr als 90 Prozent BHV1-freien Beständen und Rindern nahe (Übersicht für 2011 im Tiergesundheitsbericht des Friedrich-Loeffler-Instituts - 2012 in Arbeit). Von den europäischen Nachbarn sind Dänemark und Österreich BHV1-freie Regionen. Die Folge: die Schutzmaßnahmen und Handelsanforderungen dieser Regionen steigen und setzen andere Regionen unter Druck. Deutlich und spürbar für betroffene Höfe wird dies durch Anordnungen und verschärfte Neufassungen von Schutzverordnungen, die die Bundesländer zur Zeit herausbringen oder diskutieren. Einzelbetrieblich heftig In Niedersachsen war ein Weideaustriebsverbot für nicht BHV1-freie Bestände geplant. Dagegen regte sich Protest von betroffenen Betrieben und einigen Tierärzten, die auf die wirtschaftliche Zusatzbelastung und Tierschutzprobleme bei Weidebetrieben hinwiesen. Nach dem Regierungswechsel wird dieser Entwurf mittlerweile überarbeitet. Aus dem Büro von Landwirtschaftsminister Christian Meyer gibt es die Zusage, „dass das derzeit geplante sehr umfassende Weideaustriebsverbot so keinen Bestand haben wird“. Eine derjenigen, die protestiert haben, war Johanne Erchinger aus dem ostfriesischen Landkreis Leer in Niedersachsen. „Wir sind seit 13 Jahren konsequent dabei, unseren Bestand zu sanieren“, betont sie und ihr Mann Christoph fügt hinzu: „alle Vorgaben haben wir eingehalten, acht Jahre waren wir frei und dann kam ein Einbruch, den keiner erklären kann“. Vor neun Jahren war es der gesamte Bestand, nun sind noch 36 von insgesamt 90 Milchkühen der Erchingers BHV1 Träger. Das heißt für den Betrieb: alle Träger sind mit roten Ohrmarken gekennzeichnet, als Beitrag zur Tierseuchenkasse sind sechs Euro zusätzlich fällig, einmal im Jahr wird der Bestand durch Einzelblutproben untersucht und zweimal im Jahr werden alle Tiere älter als drei Monate geimpft. Den Impfstoff und die Blutuntersuchung zahlt die Tierseuchenkasse. Beihilfen zum Merzen von Virusträgern, wie u.a. in Bayern gezahlt wurden, gibt es nicht. Komplett ohne Zukauf, nur durch eigene Nachzucht, tauschen Erchingers nach und nach die Träger aus. Und mussten vor vier Jahren erneut eine Neuinfektion einiger Tiere erleben. Kollegen bescheinigen den beiden höchste Anstrengungen und konsequentes, gegenüber Nachbarbetrieben rücksichtsvolles Weidemanagement. Angst vor einer Ansteckung ihrer eigenen Bestände haben trotzdem viele. Deshalb sprechen sich manche auch offen für ein Weideverbot aus – besonders wenn sie selbst schon zehntausende von Euro für die eigene Sanierung bezahlt haben. Grenzen von Impfungen Rückfälle sind immer wieder zu beobachten, was zum einen auf die Biologie des Virus mit schlummernden und akuten Phasen sowie das hohe Ansteckungspotential und die vielfältigen Übertragungswege durch Tiere, Menschen und Geräte zurückgeführt werden kann - aber auch auf Grenzen der Impfprogramme. So schützt eine Impfung nur vor einem Ausbruch der Krankheit – sie verhindert jedoch nicht zu 100 % eine Infizierung oder die Reaktivierung und Ausscheidung von Viren durch Trägertiere bei Anstrengungen wie z.B. Transport, Geburt, Eingliederung neuer Tiere in die Herde oder Impfung. Klar ist: eine wirksame Eindämmung von BHV1 ist nur möglich, indem die Virusträger gemerzt werden. Dies ist jedoch bei vielen betroffenen Tieren, wie im Falle der Erchingers, nicht auf einen Schlag zu verkraften. Der Leiter des Veterinäramtes Leer, Hans-Jürgen Salge, stellt sich für solche unverschuldeten „Härtefälle“ in der Endphase der Sanierung irgendeine Form der Hilfestellung vor – wie die aussehen kann, weiß er jedoch auch nicht. Grundsätzlich sieht er kein zurück mehr, vor allem, weil inzwischen viel Geld ausgegeben wurde. Nach Auskunft der Tierseuchenkasse in Niedersachsen bisher 143 Mio. Euro, mitfinanziert aus Landesmitteln, die sich in anderen Bundesländern auf zweistellige Millionenbeträge belaufen. Ein heikles Thema,  zumal das Geld zu großen Teilen an die Impfstoffhersteller fließt. Widerstand und Selbsthilfe Die Frage bleibt, ob die Unterstützung für die Höfe ausreichend ist. Denn neben den bemühten „Härtefällen“ gibt es unter den verbliebenen betroffenen Betriebe einige, für die BHV1 keine wirtschaftliche Bedeutung hat: Ein paar Tiere im Bestand sind infiziert, die Krankheit ist jedoch nie ausgebrochen. Der Verkauf von Zuchtvieh spielt keine Rolle, Probleme mit Nachbarbeständen gibt es nicht. Eine Sanierung wäre mit Aufwand verbunden und ist nicht durch eigenes Interesse motiviert – deshalb blieb sie aus. Auch weil viele Veterinärämter in diesen Fällen lange Zeit keine konsequente Sanierung einforderten. Eine zutreffende Beschreibung für die Situation auf dem Milchviehbetrieb von Rüdiger Mayer aus dem Landkreis Waldshut im baden-württembergischen Allgäu. Er hat jedoch im Jahr 2009 den Versuch unternommen seine 16 Virusträger durch zugekaufte BHV1-freie, ungeimpfte Tiere zu ersetzen. Ein Jahr später war aus ungeklärten Gründen fast sein gesamter Bestand infiziert. In der Folge wurde ihm ein Sanierungsprogramm ähnlich dem beschriebenen niedersächsischen auferlegt. Dagegen wehrt sich Mayer nun gerichtlich, weil er Zweifel an dem kostspieligen Impfprogramm hat und sich nicht zur Sanierung zwingen lassen will, für die er keine gesellschaftlich begründete Berechtigung sieht. In Ostfriesland gehen einige MilchviehhalterInnen, zu denen auch Erchingers gehören, einen anderen Weg auf der Suche nach umsetzbaren, sinnvollen Lösungen abseits von starren Verfahrensvorgaben: Sie haben die Initiative ergriffen und organisieren ein Treffen mit Veterinären, Tierärzten und Bäuerinnen und Bauern, um sich regional zu koordinieren und den Betrieben und ihrer Situation gerecht zu werden.
05.06.2013
Von: unabhängige Bauernstimme, Christine Weißenberg