China rockt den deutschen Schweinepreis

Zwei Ereignisse kennzeichnen den deutschen Schweinemarkt kurz vor Weihnachten. Die Notierung für Schweine ist erstmals seit der BSE-Krise von 2001 über 2 Euro/kg gestiegen. Damit können die Schweinehalter nicht nur mal wieder eine ordentliche Rendite erwirtschaften. Auch die Verluste aus dem letzten Jahr – laut Situationsbericht des Bauernverbandes etwa 20 % – können allmählich ausgeglichen werden. Wenn nicht – und vor diesem Ereignis fürchten sich alle – die Schweinepest die polnisch-deutsche Grenze überschreitet. Die Impulse für die hohen Schweinepreise kommen nicht vom heimischen Markt. Die Schlachtzahlen sind 2019 zwar um etwa 3,5 % gefallen, aber der Verbrauch ist ebenso stark gesunken. Die Ursache liegt eindeutig bei der Schweinepest in China. Da dort fast die Hälfte aller Schweine weltweit gehalten werden und die Pest etwa 40 % des gesamten Schweinebestands vernichtet hat, fehlen global ca. 150 Mio. Schweine. Zum Vergleich: Deutschland schlachtet 55 Mio., die EU insgesamt etwa 200 Mio. und die USA ca. 130 Mio. im Jahr. Während sich die Erzeuger und die Exporteure vor allem in Europa über Preisrekorde freuen, sind die Folgen in China dramatisch. Hunderttausende kleinerer Bauern haben mit ihrer Schweinehaltung aufgehört –freiwillig oder gezwungen aus Biosicherheitsgründen, viele kleinere Schlachthöfe sind geschlossen worden. China steht vor einer neuen Phase der planmäßigen Industrialisierung sowie der vertikalen Integration und ein Strukturwandel gewaltigen Ausmaßes erstreckt sich über das ganze Land. Nicht umsonst drängen auch die EU-Größen wie Danish Crown, Vion oder Tönnies ins Land. Im Jahr des Schweines Zunächst einmal hat sich der chinesische Schweinefleischpreis auf über 5 Euro/kg verdreifacht und ist für viele nicht mehr bezahlbar. Ausweichen auf andere Fleischarten und Verzehrseinbrüche um mindestens 20 % sind die Folge. Schweinefleisch ist aber für Chinesen mehr als ein Nahrungsmittel. Der Preis von Schweinefleisch ist ein wichtiger Indikator für die gesamte Wirtschaft (ausländische Analysten bezeichnen den Verbraucherpreisindex als „Schweineindex“) und hat die Inflationsrate im September auf 4,5 % anschwellen lassen. Und das alles im Jahr des Schweines 2019. Das Schwein steht in China seit Jahrhunderten für Wohlstand, Glück und Zufriedenheit. Ein Neujahrsfest (25. Januar) ohne Schweinefleisch ist eigentlich undenkbar. Deshalb lässt die chinesische Führung jede Menge importieren, auch aus den USA trotz des Handelskriegs, um Unruhen („ein Hongkong reicht“) zu verhindern. Nach offiziellen Berichten sollen Ende 2020 wieder 80 % der Vor-Pest-Produktion erreicht werden. Vielen Experten scheint das sehr optimistisch, da gerade auch viele Sauen der Seuche zum Opfer gefallen sind. Schweinepest auch bei uns ... So lange könnte sich für die europäischen Produzenten und Exporteure das Jahr des Glück und wirtschaftlichen Erfolg bringenden Schweines verlängern. Außer, wenn auch in Deutschland die afrikanische Schweinepest (ASP) ausbricht. Nach neuesten Berichten sind bereits wenige Kilometer vor der polnisch-deutschen Grenze verseuchte Wildschweine gefunden worden. Da Brandenburg als besonders intensives Wildschweingebiet gilt, steigt das Risiko beträchtlich. Seit längerem wird sich in den schweinedichten Gebieten auf den „Katastrophenfall“ vorbereitet. Behörden halten Übungen ab, Betriebe erhöhen ihre Sicherheitsmaßnahmen und Veterinärämter bereiten Sperrzonen vor. Schweineverbände fordern einen Schutzzaun an der polnischen Grenze, wie ihn die Dänen bereits an der deutschen Grenze aufgestellt haben. Der Nutzen wird von Experten zwar als äußerst niedrig gewertet, aber man kann zumindest Aktionismus vorweisen. Sollte ein Pestfall bei Wildschweinen bewiesen werden, wird der Export nach China und in andere Drittländer zum Erliegen kommen. Die Ausfuhr in andere EU-Länder ist erlaubt, wird aber zu starken Verwerfungen der Märkte führen. Der Nachweis eines ASP-Falles bei Hausschweinen würde die Lage weitaus verschlimmern. Verluste bei der Wurstindustrie Die Schlachthöfe mit China-Exportlizenz profitieren von der Sonderkonjunktur. Wer jetzt kein Geld verdient, hat seinen Laden nicht im Griff, heißt es in der Fleischbranche. Wer jedoch seine Ware im heimisch-europäischen Markt unterbringen muss, hat schlechte Karten. Das gilt besonders für die verarbeitende Wurstindustrie, denn der Handel lässt sie bei Preiserhöhungen auflaufen. Wurstfabriken wie in der ostwestfälischen Gegend um Versmold, dem „Fettfleck Deutschlands“, leiden besonders unter der Situation. Hier haben mit Reinert, Wiltmann oder Stockmeyer alte familiengeführte Betriebe ihren Sitz. Reinert (Nummer vier der Branche) hat gerade zum Jahresende seine Fusion mit Kemper (Platz drei) vom Kartellamt genehmigt bekommen und steigt mit der neuen Marke („The Family Butchers“, die Familienmetzger) zur neuen Nummer zwei hinter der Zur-Mühlen-Gruppe von Tönnies auf. Ob diese Fusion eher ein Befreiungsschlag in der Not oder ein Schritt in die Zukunft ist, wird sich zeigen. Reinert fordert aktuell eine Begrenzung der Exporte, da bestimmte Teilstücke wie Schweineschultern am Markt nicht mehr darstellbar seien. „Das, was wir gerade durch die Auswirkungen der Schweinepest in China erleben, ist schlimmer als die BSE-Krise vor 20 Jahren“, beklagt er, „die Rohstoffpreise explodieren und der Handel blockiert notwendige Preiserhöhungen.“ Viele Wursthersteller schreiben tiefrote Zahlen. Ein in den letzten Jahrzehnten nicht gekannter Strukturwandel zeichnet sich ab. Schon jetzt werden Wurstfabriken wie warme Semmel angeboten. Analysten erwarten, dass in den nächsten zehn Jahren nur noch ein Viertel überleben wird. Schweinehalter sehen diese Entwicklung mit Sorge. Denn sinkt die Zahl der Abnehmer, steigt die Abhängigkeit von den „Großen“. Explodierende Verbraucherpreise? Auch wenn „der“ Handel und andere Marktakteure wie Außer-Haus-Verpfleger notwendige Preisanpassungen an den Konsumenten behindern, steigen die Verbraucherpreise allmählich und nach zähen Verhandlungen an. Nach Angaben der Agrarmarkt-Informationsgesellschaft (AMI) zogen sie im September um 5 bis 8 % an. So kostete das Kilo Schweinehack 5,81 Euro/kg gegenüber 5,38 Euro/kg im vergangenen Jahr. Und das Schnitzel kletterte von 7,10 auf 7,39 Euro/kg. Sofort titelten z. B. die Münsteraner Westfälischen Nachrichten auf Seite eins: „Preise für Fleisch explodieren.“ Westfälische Neuland-Bauern halten das eher für einen kleinen Silvesterknaller als für eine Explosion und kritisieren, dass Handel und Handwerk nicht die Gelegenheit nutzen, um faire Preise weiterzugeben, Billigangebote zu reduzieren und den Verbraucher darauf vorzubereiten, dass eine „anständige“ Tierhaltung auch anständig bezahlt werden muss.
23.12.2019
Von: Hugo Gödde, Marktbeobachter

China fragt Masse nach