Mauern einreißen und Bauern mitnehmen

Drei Tage vor dem 9. November, am Brandenburger Tor wird gerade eine futuristische Bühnenkonstruktion für die Feierlichkeiten aufgebaut, an einer Häuserecke hinterm Hauptbahnhof hängt ein riesiges Werbebanner von Coca Cola mit dem Spruch: „Die Welt braucht mehr Menschen, die keine Mauern wollen.“ Nur einen Steinwurf weiter bietet die Stadtmission Berlin gestrandeten Menschen erste Hilfe, daneben kommen zwei kleine Jungs mit Schulranzen auf dem Rücken arabisch plappernd offensichtlich nach Hause in eine Flüchtlingsunterkunft. Im inklusiven Hotel Rossi noch einmal hundert Meter die Lehrter Straße runter beschäftigt sich der Bundesverband Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) auch mit der Überwindung von Mauern – zwischen Landwirtschaft und Gesellschaft. Eingeladen waren Fridays for Future, die Jugend der Naturschutzverbände, Bundestagsabgeordnete. Klar wird jedoch, dass die Konfliktlinien nicht zwischen Ökolandbaufunktionären und -bauern und den gesellschaftlichen Kräften verlaufen, sondern diese gemeinsam anteilnehmend, aber auch irritiert, auf die Bauern und Bäuerinnen blicken, die mit ihren kraftvollen Demonstrationen die Debatte im politischen Berlin beeinflussen. BÖLW-Vorsitzender Felix Prinz zu Löwenstein forderte – bei allem Verständnis für die existenziellen Nöte der Bauern und Bäuerinnen – berufsständische Vertreter auf, gestaltend tätig zu werden und zu formulieren, wie eine Landwirtschaft aussehen kann, die die Ansprüche der Gesellschaft erfüllt und vor allem nicht weiterhin Probleme im Hinblick auf Grundwasser und Biodiversität verursacht. „Dem verschließen sich bislang Berufsstand und Politik.“ Es reiche nicht länger, so zu tun, als müsse man nur kleine Schräubchen drehen. „Es braucht andere stabile Systeme. Viele Menschen haben verstanden, dass beim Klimawandel die Hütte brennt, bei der Artenvielfalt ist das genauso“, konstatiert Löwenstein. Myriam Rapior von der BUND-Jugend betonte, sie sei es leid, dass immer die Jugend vorgeschickt werde, die es richten solle. „Wir werden gefragt: Was macht man mit der Landwirtschaft? Da kann ich doch nur appellieren, dass die Entscheidungsträger endlich das Nötige tun sollen.“ Stattdessen werde immer nur die Eigenverantwortung betont, ergänzte Patrick Stephan von Fridays for Future, und den Jungendlichen vorgehalten, dass sie Fleisch essen würden oder mit dem Auto fahren: „Die Politik zieht nicht mit!“ Albert Stegemann, Agrarsprecher der CDU im Bundestag, zog sich kurz danach auf eine ähnlich beliebte Formel zurück: Der Verbraucher kaufe am Ende kein Bio, und effizient – Stichwort Welternährung – sei Ökoanbau auch nicht. „Wenn wir 100 Prozent Bio hätten, würde auch 100 Prozent Bio gekauft“, schleuderte ihm die sichtlich ungeduldige Myriam Rapior entgegen. Politik fördere das, was nicht Humusaufbau sei, so Friedrich Ostendorff, Agrarsprecher der Grünen-Bundestagsfraktion. Er machte, bewegt von den Sorgen und Nöten der demonstrierenden Bauern und Bäuerinnen, klar: Wenn die Politik sich nun wieder in Hinterzimmern dazu durchringe, nichts zu ändern, „brauchen wir nicht zu glauben, dass die Gesellschaft da mitgeht“. Diese Hoffnung mögen Bauern und Bäuerinnen auf den Demos aussprechen, er halte sie für falsch. Dass nur die Ankündigungen zu Dünge-VO und Insektenschutz schon dazu führten, dass tausende Trecker rollen, müsse „uns in unserer Blase“ erreichen. Man dürfe die Bauern und Bäuerinnen weder finanziell noch bei der Entwicklung von Lösungen alleine lassen. Bewegung oder Stillstand Viele Bauern und Bäuerinnen hätten längst erkannt, dass sie etwas ändern müssten, auch die Politik habe zu lange nichts getan, gab sich Albert Stegemann vermeintlich selbstkritisch. Aber wenn jetzt in FFH-Gebieten Maßnahmen angeordnet würden, nachdem man vor 20 Jahren den Bauern versprochen habe, es brauche sich nichts in der Bewirtschaftung zu ändern, dann müsse das geradezu als Enteignung empfunden werden. Aus dem Publikum fragte ihn daraufhin Christiane Paulus vom Umweltbundesamt, ob man nicht zur Kenntnis nehmen müsse, dass sich in 20 Jahren auch die Bewirtschaftung solcher FFH-Flächen verändert habe, schließlich seien viele Schutzgüter inzwischen kaum noch da. Sie konfrontierte Stegemann damit, dass er für die Honorierung freiwilliger Maßnahmen eintrete, aber jedes Mal, wenn es um das Lockermachen von Geldern – beispielsweise die Umschichtung von GAP-Mitteln aus der ersten in die zweite Säule gehe – werde das von seiner Partei abgeblockt. Stegemann gab unumwunden zu, dass auch die gerade beschlossene Umschichtung nicht von seiner Fraktion gewollt gewesen sei, schließlich dürfe man die große Wirkung der Erste-Säule-Mittel auf die landwirtschaftlichen Betriebsgewinne nicht vernachlässigen. Erschöpfte Gesichter im Raum wollten das nicht mehr hören, nach dem Schwung und der Tatkraft, die die Jugend zuvor verbreitet hatte. Selber Verantwortung zu übernehmen in einem verlässlichen, von der Politik gesteckten Rahmen wünschte sich Volker Krause, BÖLW-Vorstand und Chef der Bohlsener Mühle nicht nur, aber auch von den Bauern und Bäuerinnen. Politik müsse auf die sozialen Auswirkungen ihres Handelns und Nicht-Handelns gucken und die stärken, die bereit seien, Risiken zu übernehmen.
07.12.2019

BAuernproteste in auch in Hamburg und Berlin