„Die Bauern erwarten zu Recht die Unterstützung der Gesellschaft für ihre Leistungen“

Herr Aeikens, es brodelt unter den Bauern und Bäuerinnen, Düngeverordnung und Agrarpaket scheinen jetzt der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Wie geht’s Ihnen damit, wenn sich Existenzsorgen, Frust und das Gefühl nicht anerkannt zu werden nun in Demos und Aktionen Bahn bricht? Die aktuellen Sorgen unserer Bauern und Bäuerinnen nehmen wir sehr ernst. Wir setzen uns deshalb in allen Verhandlungen für praktikable Lösungen ein. Aber angesichts des Urteils des Europäischen Gerichtshofs aus dem Jahr 2018 kommen wir nicht um Nachbesserungen bei der Düngeverordnung herum. Die Europäische Kommission hat zwar unsere bisherigen Anstrengungen gewürdigt, gleichzeitig aber Zusatzmaßnahmen gefordert. Wenn wir diese nicht erfüllen, droht uns eine Verurteilung im so genannten Zweitverfahren mit hohen finanziellen Sanktionen von ggf. über 800.000€/ Tag. Das müssen wir auf jeden Fall vermeiden. Hinsichtlich des Aktionsprogramms Insektenschutz möchte ich betonen, dass dieses einen politischen Ausgangpunkt darstellt. Das bedeutet, dass die konkreten Gesetzes- und Verordnungsentwürfe zu spezifischen Maßnahmen wie beispielsweise die Ausgestaltung der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln in Schutzgebieten oder die Abgrenzungskriterien für die Unterschutzstellung von „artenreichem Grünland“ und „Streuobstwiesen“ noch erarbeitet werden müssen. Die im Aktionsprogramm aufgelisteten Maßnahmen sollen dazu beitragen, das Insektensterben umfassend zu bekämpfen und die Lebensbedingungen für Insekten in Deutschland wieder zu verbessern. Ziel ist es, eine ausgewogene Mischung aus Vereinbarungen zu ordnungsrechtlichen Vorgaben und Anreiz- und Fördermaßnahmen zu schaffen. Dabei verfolgen wir den Gedanken der Freiwilligkeit und des Ausgleichs für zusätzliche Leistungen der Landwirtschaft. Insgesamt werden 100 Millionen Euro/ Jahr mehr für die Förderung des Insektenschutzes und für den Ausbau der Insektenforschung bereitgestellt.
Ist nicht Teil des Dilemmas, dass Sie nach Kompromissen gesucht und diese schließlich auch gefunden haben, aber nicht oder zu wenig mit den Bauern und Bäuerinnen – auch jenseits der Funktionäre des Bauernverbandes - verhandelt wurden? Muss nicht ein Prozess folgen, der alle Beteiligten an einen Tisch holt und verbindliche Ziele, Maßnahmen und Zeithorizonte festlegt? Das Aushandeln von Kompromissen ist Teil der demokratischen Willensbildung. Wir diskutieren im BMEL häufig mit Vertreterinnen und Vertretern aus Landwirtschafts- und Umweltverbänden sowie Forschung. Das Aktionsprogramm Insektenschutz ist eine Zielvereinbarung der Bundesregierung. Nun folgt ein Prozess, in dem die bewusst offen gestalteten Formulierungen des Aktionsprogramms umgesetzt werden. Hier wird natürlich die Landwirtschaft einbezogen werden. Zudem sieht das Aktionsprogramm vor, dass der Bund noch 2019 einen hochrangigen „Runden Tisch Insektenschutz“ einrichtet, um die weitere Einbindung aller zentralen gesellschaftlichen Akteure in die Umsetzung der Maßnahmen zum Insektenschutz zu gewährleisten. Dabei wird die Landwirtschaft als kooperativer Partner gesehen. Unser Ministerium wird im weiteren Prozess darauf achten, dass die Verhältnismäßigkeit jeder Maßnahme gewahrt bleibt. Wir sind der Auffassung, dass eine nachhaltige Landwirtschaft nur mit Unterstützung der Landwirtinnen und Landwirte möglich ist.
Kritik von Bauern und Bäuerinnen ist, dass sie mit Düngeverordnung und Insektenschutz vor allem finanziell alleine gelassen werden. Ähnlich ist es beim Umbau der Tierhaltung. Ist es nicht die Aufgabe der Politik, die gesellschaftlichen Forderungen umzusetzen, also jetzt die nötigen finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen, damit überhaupt noch bäuerliche Betriebe übrigbleiben, die diese erfüllen können? Dort, wo neue Belastungen durch erhöhten Insektenschutz unvermeidbar sind, sollen Landwirte auch finanziell unterstützt werden. Der Bund setzt sich zur Verbesserung der nationalen Finanzierung von Maßnahmen des Insektenschutzes für einen Sonderrahmenplan „Insektenschutz in der Agrarlandschaft“ in der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ (GAK) ein und wird hierfür Mittel in Höhe von 50 Millionen Euro pro Jahr durch Umschichtung und zusätzliche Finanzmittel bereitstellen. Mit einer 40prozentigen Co-Finanzierung der Länder stehen dann 83 Millionen Euro pro Jahr zur Verfügung, um die Landwirte beim praktischen Insektenschutz zu unterstützen.
Und die Auswirkungen der Düngeverordnung? Wir müssen in Deutschland dringend Verbesserungen bei der Nitratbelastung der Grundwasserkörper erzielen. Dazu sind ambitionierte Maßnahmen – vor allem in den mit Nitrat belasteten Gebieten – erforderlich. Allerdings war es schon immer unser Ansatz, dass wir den Berufsstand bei der Bewältigung dieser besonderen Herausforderung unterstützen müssen. Dies soll auch über ein Bundesprogramm Nährstoffmanagement geschehen. Das Programm soll unter anderem aus Mitteln der Ackerbaustrategie, die ab 2021 mit Mitteln aus dem Klimafonds weiter verstärkt wird, finanziert werden. Die konkrete Ausgestaltung des Förderprogramms ist derzeit in Vorbereitung.
Und die Tierhaltung? Es ist auch Aufgabe der Politik, wenn ein Tierwohl-Niveau erreicht werden soll, das über dem gesetzlichen Standard liegt, zu überprüfen, wie dieses finanziell unterstützt werden kann. Die Förderung im Rahmen des Agrarinvestitionsförderprogramms gilt für die nächste Förderperiode und beinhaltet eine bis zu 40-prozentige Förderung von Modernisierungsmaßnahmen für mehr Tierwohl. Das wird gerne vergessen bei der Tierwohl-Diskussion. Für die Einführung des Labels sind insgesamt 70 Millionen Euro vorgesehen. Für die Modell- und Demonstrationsbetriebe sind es fast sechs Millionen Euro. Außerdem arbeitet das Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung unter dem Vorsitz von Bundesminister a.D. Jochen Borchert seit April dieses Jahres mit Hochdruck an der Frage, wie mehr Tierwohl in den Ställen finanziert werden kann, ohne dass bäuerliche Betriebe deshalb aufgeben müssen und die landwirtschaftliche Tierhaltung aus Deutschland abwandert. Die Vorschläge des Kompetenznetzwerks will unsere Bundesministerin Julia Klöckner im Frühjahr 2020 der Öffentlichkeit vorstellen. In dem Kompetenznetzwerk und den Arbeitsgruppen sitzen übrigens auch Vertreter der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft mit am Tisch.
Jahrzehntelang ist Bauern und Bäuerinnen vermittelt worden, sie müssten billig für Exportmärkte produzieren. Wie kann man verhindern, dass zusätzliche Leistungen, wie mehr Tierwohl, gentechnikfreie Fütterung oder eine ökologischere Bewirtschaftung zu Standards werden, ohne dass die Mehrkosten berücksichtigt werden? Stabile und verlässliche Handelsbeziehungen sind für unsere Agrar- und Ernährungswirtschaft unverzichtbar. Die Landwirtschaft verdient jeden vierten Euro mit dem Export, die Ernährungswirtschaft sogar jeden Dritten. Was unsere Nutztierstrategie betrifft, beschäftigt sich das Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung intensiv genau mit dieser zentralen Herausforderung. Persönlichkeiten, Entscheidungsträger und Fachleute aus Politik, Wissenschaft, Praxis und Verbänden beraten uns bei der Weiterentwicklung und zukunftsfähigen Aufstellung der Nutztierhaltung. Sie diskutieren Grundsatzfragen der Nutztierhaltung und die gesellschaftliche Akzeptanz, etwa den Konflikt zwischen Tierwohl und Umweltschutz. Das Kompetenznetzwerk entwickelt Ideen und Lösungsvorschläge für die Ministerin und wird sie mit ihr diskutieren. Ich kann und will den Ergebnissen nicht vorgreifen, aber ich kann Ihnen versichern, dass die Vorschläge uns weiterbringen werden und diese Schlüsselfrage konkret und – ich gehe davon aus – auch zu Ihrer Zufriedenheit beantwortet wird.
Muss nicht auch die EU-Agrarpolitik reagieren und bei den Prämien entsprechend die Bauern und Bäuerinnen honorieren, die Leistungen für Biodiversität, Klima und Tierschutz erbringen? Bislang weisen die Signale aus ihrem Haus eher in Richtung: „weiter so mit den Flächenprämien“. Im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU (GAP) werden bereits in der laufenden Förderperiode (2013-2020) konkrete Leistungen der Landwirtschaft für Klimaschutz, Biodiversität, vielfältigere Kulturlandschaften und eine nachhaltige Produktion gefordert und gefördert. Im Rahmen der sogenannten ersten Säule der GAP sind dies zum Beispiel die zwingend einzuhaltenden Standards für einen guten landwirtschaftlichen und ökologischen Zustand der Flächen sowie die Zahlungen für die Klima- und Umweltschutz förderlichen Landbewirtschaftungsmethoden, die sogenannten Greening-Prämien. Weitere wichtige Instrumente sind die Agrarumwelt- und Klimamaßnahmen (AUKM) im Rahmen der sogenannten zweiten Säule der GAP. In Deutschland kommen auf etwa vier Millionen Hektar solche AUKM-Maßnahmen zum Tragen, die dem Schutz der Umwelt und der biologischen Vielfalt dienen. Bei der Weiterentwicklung der GAP für die Zeit nach 2020 setzt sich unser Ministerium dafür ein, dass Leistungen der Landwirtschaft zum Schutz der Umwelt, der Biodiversität, des Klimas, des Tierwohls und der natürlichen Ressourcen gestärkt werden, um die Nachhaltigkeit der landwirtschaftlichen Produktion weiter zu fördern. Unser Ministerium unterstützt deshalb die diesbezüglichen Vorschläge der Europäischen Kommission. Die sogenannte „Grüne Architektur“ der GAP muss so gestaltet werden, dass sie einerseits ambitionierte Beiträge zur Erreichung von Umweltzielen leistet und andererseits für die Landwirtschaft auch praktikabel und wirtschaftlich tragfähig ist. Die Landwirte und die ländlichen Räume stehen vor großen Herausforderungen. Es werden zusätzliche Leistungen in den Bereichen Klima, Umwelt und Tierwohl erwartet und der Erhalt attraktiver ländlicher Räume fordert im Lichte von Abwanderungen und demografischem Wandel ebenfalls politisches Handeln. Aus diesem Grunde brauchen wir auch in Zukunft ein angemessenes Agrarbudget. Die Bauern erwarten zurecht die Unterstützung der Gesellschaft für gesellschaftliche Leistungen.
Eins ihrer Steckenpferde ist schon als Landwirtschaftsminister von Sachsen-Anhalt die Agrarstrukturpolitik gewesen. Auf der Agrarministerkonferenz in Mainz forderte die Bundesministerin ihre LänderkollegInnen auf, endlich wirksame Agrarstrukturgesetze zum Schutz vor dem Ausverkauf landwirtschaftlicher Flächen und Betriebe an außerlandwirtschaftliche Investoren zu erlassen. Warum passiert hier seit Jahren nichts? Die Länder sind seit der Föderalismusreform im Jahre 2006 für die Gesetze zum Bodenmarkt zuständig. Für die Übertragung der Zuständigkeit wurde das Grundgesetz geändert. Gleichwohl unterstützt die Bundesregierung die Länder bei einer Überarbeitung der Gesetze. So hat eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe bereits im Jahre 2015 der Agrarministerkonferenz eine Zusammenstellung von Handlungsoptionen vorgelegt. Darin werden verschiedene Ansatzpunkte zur Novellierung der Gesetze dargestellt. Leider haben diese gemeinsamen Aktivitäten von Bund und Ländern bisher keine Ergebnisse auf Länderseite gehabt. Mir ist bekannt, dass in Sachsen-Anhalt an einer Novellierung der Gesetze gearbeitet wird. Auch aus anderen Ländern hört man verbale Ankündigungen zu entsprechenden Maßnahmen. Für den Bund kann ich nur ausführen, dass unser Ministerium zur Unterstützung der Länder bereitsteht. Wir haben dazu im Jahre 2018 eine weitere Arbeitsgruppe mit den Ländern eingerichtet, die zur Koordinierung der Länderaktivitäten beitragen soll. Entscheidend sind letztendlich gesetzgeberische Aktivitäten der Länder.
Welche Überlegungen und Handlungsmöglichkeiten gibt es noch für das Bundesministerium? Grundsätzlich ist zuerst einmal festzuhalten, dass eine absolute Notwendigkeit zur Überarbeitung der Bodengesetzgebung besteht. Dies betrifft die Reform des Landpachtverkehrsgesetzes, des Reichssiedlungsgesetzes und das landwirtschaftliche Grundstücksverkehrsrecht. Denn es kann nach meiner Auffassung nicht angehen, dass reine Grundstücksverkäufe, auch in kleiner Größenordnung einer Genehmigung bedürfen und darüber hinaus auch noch mit Grunderwerbsteuer belegt sind, aber Anteilsverkäufe, bei denen zum Teil mehrere 100 ha mit veräußert werden, keiner Kontrolle und keiner Grunderwerbsteuerpflicht unterliegen. Durch die Bodengesetzgebung soll der landwirtschaftliche Betrieb gestärkt werden, sie ist ein Instrument der Agrarstrukturpolitik. Wenn die Politik und hierbei insbesondere die zuständigen Länder nicht reagieren, wird sich die Agrarstruktur erheblich weiterverändern. Dies sollte allen Akteuren bewusst sein. Zur Unterstützung der Länder mit der Einrichtung einer gemeinsamen Arbeitsgruppe hat unser Ministerium eine Reihe von wissenschaftlichen Forschungsprojekten vergeben. Damit sollen unter anderem die Auswirkungen von Investoren auf die Agrarstruktur, auf die Steuern, auf die Marktbeherrschung auf dem Bodenmarkt sowie auch Fragen der Förderung von Junglandwirten und Existenzgründern in Bezug auf den Bodenmarkt geklärt werden. Zusätzlich haben wir die EU-Agrarstrukturerhebung ab 2020 erweitert: ergänzend zu den Einzelbetrieben werden dann auch Holdingstrukturen erfasst. Vielen Dank für das Gespräch!