Ost-Agrarstruktur ist kein Zufall

Schlechte Stimmung, der Aufstieg rechter Parteien, ungleiche Lebensverhältnisse mit besonders abgehängten ländlichen Räumen, entvölkerte Dörfer, wenige Bauern, höchstens bei fernen Investoren angestellte landwirtschaftliche Arbeiter, ausgeräumte Landschaften, in denen noch mehr Arten verloren gehen als in kleinteiliger Agrarstruktur – viel wird derzeit über den Osten Deutschlands geschrieben. Weder gibt es „den“ Osten, noch ist alles nur negativ. Und doch gibt es gerade in der Agrarpolitik Zusammenhänge, die bestimmte Entwicklungen begünstigt haben. Wo gilt es anzufangen? Vor 30 Jahren, als die friedliche Revolution vielleicht gerade auch auf dem Land Existenzen durchrüttelte? Nein, denn dass die Landwirtschaft wie kaum ein anderer Bereich im Übergang vom real existierenden Sozialismus zum Kapitalismus bewegt wurde, hat seine Wurzeln noch früher. Zur Idee des Sozialismus, wie er nach dem Zweiten Weltkrieg in der sowjetischen Besatzungszone etabliert wurde, passten freie Bauern auf eigenem Grundbesitz nicht. Werktätige auf dem Acker und im Stall sollten die Lebensmittelerzeugung übernehmen. Zunächst waren es 1945 die Großbetriebe der Junker mit über 100 Hektar, Güter vor allem im Nordosten, in Mecklenburg und Brandenburg, die enteignet wurden. Das Land ging in kleinen Päckchen an „Neusiedler“, oft Flüchtlinge aus dem Osten, mit sehr unterschiedlichen landwirtschaftlichen Erfahrungen und Kenntnissen. Später in den 50er Jahren und endgültig dann im „sozialistischen Frühling auf dem Lande“ im Frühjahr 1960 drängte man sie wie auch alle anderen Bauern dann in die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPGs). Wohl auch gerade für manche der Neubauern war es auch eine Erleichterung, Verantwortung abgeben zu können. Für viele von ihnen aber – wie auch für die meisten anderen Bauern und Bäuerinnen – war es kein freiwilliger Schritt. Eine nicht geringe Zahl verweigerte ihn durch Flucht, mit einer der entscheidenden Gründe, warum im Jahr darauf die Mauer gebaut und die innerdeutsche Grenze geschlossen wurde. Es war das Ende des traditionellen Bauernstandes in Ostdeutschland, einhergehend mit massiven agrarstrukturellen Umbrüchen und daraus resultierend auch einem Verlust von Landschaft und Kultur. Umbrüche, die im Nachhinein beim Mauerfall knapp 30 Jahre später häufig als Hemmnis für die Neugründung privater bäuerlicher Betriebe angeführt wurden. Viel entscheidender ist jedoch, dass die Politik und ihre maßgeblichen Akteure – egal ob sie wirklich von der ökonomischen Vorzüglichkeit überzeugt waren oder Klientel bedienen wollten – die in der DDR entstandenen agrarindustriellen Großbetriebe unbedingt erhalten wollten. Sämtliche politischen Entscheidungen, nicht nur in der unmittelbaren Nachwendezeit, sondern bis heute, sprechen unabhängig von der parteipolitischen Couleur der Entscheidungsträger dieselbe Sprache. Daran ändert auch nichts, dass nun bereits seit gut zehn Jahren ein Ausverkauf der längst nicht mehr in der Mehrzahl genossenschaftlich organisierten LPG-Nachfolgebetriebe an außerlandwirtschaftliche Investoren auch von Politikern aller Parteien beklagt wird. Obwohl das Bundesverfassungsgericht bereits 1967 urteilte, dass Eigentum an Land gerecht zu verteilen sei. Die Richter schrieben damals: „Die Tatsache, dass der Grund und Boden unvermehrbar und unentbehrlich ist, verbietet es, seine Nutzung dem unübersehbaren Spiel der Kräfte und dem Belieben des Einzelnen vollständig zu überlassen; eine gerechte Rechts- und Gesellschaftsordnung zwingt vielmehr dazu, die Interessen der Allgemeinheit beim Boden in weit stärkerem Maße zur Geltung zu bringen als bei anderen Vermögenswerten (…) Das Gebot sozialgerechter Nutzung ist aber nicht nur eine Anweisung für das korrekte Verhalten des Eigentümers, sondern in erster Linie eine Richtschnur für den Gesetzgeber, bei der Regelung des Eigentuminhalts das Wohl der Allgemeinheit zu beachten.“ Nach der Wende Es begann 1990 damit, dass das Bodenreformland der Großbetriebe von über 100 Hektar nicht an Alteigentümer zurückgegeben werden sollte. Die Idee der Bundesregierung war, durch Bodenverkäufe des Bundes die Einheit zu finanzieren. Das später enteignete Land der Neusiedler-Bauern sollte ursprünglich hingegen sehr wohl zurückgegeben werden, am Ende passierte das allerdings meist gezielt nicht. Nur das Land Brandenburg versuchte später durch eine Enquete-Kommission im Landtag, die Vorgänge aufzuarbeiten. Dabei wurde auch offenbar, dass die meisten LPG-Umwandlungen in Nachfolgebetriebe fehlerhaft, sprich zum Nachteil von Landeignern oder gründungswilligen Privatbauern abliefen. Was im Nachhinein dann oft als schwieriger Aktionismus in stürmischen Zeiten erklärt wird, hatte wohl doch mehr Methode. So halfen fast alle gesetzlichen Regelungen den LPG-Nachfolgern immer ein bisschen mehr als irgendwelchen Bauerneinsteigern. Eine entscheidende Rolle spielte mit der Bodenverwertungs- und -verwaltungs GmbH (BVVG) die Verwalterin jener bundeseigenen Flächen (Bodenreformland, ungeklärtes Alteigentum ...), welche das Gros der landwirtschaftlichen Flächen Ostdeutschlands stellte. Zunächst wurden den vorhandenen (und damit meist LPG-Nachfolge-)Betrieben in schwierigen finanziellen Zeiten kurzfristige Pachtverträge gewährt, um die Bewirtschaftung zu sichern. Damit setzten sich die DDR-Bewirtschaftungsverhältnisse im Wesentlichen fort. Dann wurden langfristige Pachtverträge über zwölf bis 27 Jahre geschlossen. Jene langfristigen Pächter, so sie denn das Kriterium der Ortsansässigkeit erfüllten (beides traf ja im Wesentlichen auf die LPG-Nachfolger zu), konnten die Flächen dann nach und nach zum halben Verkehrswert kaufen. Der Geschäftsführer der BVVG von 1990 bis 2011, Wolfgang Horstmann, begründete das in seiner Amtszeit mit einer bewussten Besserstellung jener Vertreter der aus seiner Sicht ökonomisch überlegenen Strukturen, die die bei ihnen in Verpachtung konzentrierten Mengen an Flächen nur zu günstigen Tarifen zu kaufen in der Lage waren. Die Regelungen zum begünstigten Verkauf sollten 2008 auslaufen, also gab es 2006 ein weiteres Bonbon: Ortsansässige konnten jeweils 450 Hektar – zum immer noch günstigen Verkehrswert – kaufen. Mit diesem staatlichen „Siedlungsprogramm“ sollten ursprünglich nur natürliche Personen unterstützt werden. Der Vermittlungsausschuss des Bundestages verhandelte auf Druck der ostdeutschen Bundesländer (mit Landwirtschaftsministern aller parteipolitischen Farben) im letzten Moment hinein, dass auch juristische Personen an dem Programm teilnehmen durften. Überflüssig zu schreiben, wer hauptsächlich profitierte, zumal es eine Eigentumsanteilsgrenze von 50 % gab. Das heißt, ein LPG-Nachfolger mit 1.000 Hektar Land durfte die maximale Menge von 450 Hektar kaufen, ein Bauer mit 60 Hektar Eigenland nur maximal 30 Hektar. Die vorhandene Agrarstruktur verfestigte sich weiter. 2010 wurde die Eigentumsklausel geöffnet: Je mehr Eigentum ein Betrieb besaß, desto mehr konnte er auch dazukaufen. Gleichzeitig trat die Regelung in Kraft, dass Betriebe mit mehr als 50 % Eigentumsflächen (wobei alle engen Familienmitglieder mit ihrem Eigentum mitzählen) ihren Anspruch auf Pachtverlängerung bei der BVVG verlieren. Die Regelung trifft im Wesentlichen – wie könnte es anders sein – nicht die juristischen Personen, sondern ein Gros der bäuerlichen Betriebe unter 200 oder 300 Hektar. Zeit der Investoren Horstmann selbst bezeichnete den 450-Hektar-Verkauf später nach seinem Ausscheiden aus der BVVG als Fehler, da man dadurch einer ungerechten Vermögensverteilung Vorschub geleistet habe. Es waren fast noch einmal so viele Flächen wie vorher durch die begünstigten Verkäufe von langfristig verpachteten Flächen an die Betriebe gegangen. Wie groß der Druck und Einfluss der politischen (und wirtschaftlichen) Akteure war und ist, wird zum einen daran deutlich, dass das Bundesfinanz- wie auch das Bundeslandwirtschaftsministerium Horstmann untersagten, seine Erinnerungen zu veröffentlichen, zum anderen auch daran, dass eine Beschwerde der EU-Kommission über die aus Wettbewerbsgründen viel zu günstigen Verkaufspreise 1998 (z. T. zum halben Verkehrswert) nur durch einen Abschlag auf den Verkehrswert von 35 % „geheilt“ werden sollte. Die Festlegungen viel zu geringer Verkehrswerte war die Folge. Äcker wurden zu Schleuderpreisen veräußert, sind heute ein Vielfaches wert und deshalb so attraktiv für außerlandwirtschaftliche Investoren. Der langjährige Ost-Agrarminister Till Backhaus (SPD) in Mecklenburg-Vorpommern warnte schon vor ein paar Jahren vor den negativen Auswirkungen des Ausverkaufs des Ostens auf Landschaften und Gemeinwohl, ist selbst aber nicht unbeteiligt an den Entwicklungen, die dahin führten. Und vor allem: Wenn es jetzt darum geht, dem Ganzen einen anderen Dreh zu geben, versagt bislang die Politik erneut. Gleichzeitig haben sich die Bodenpreise vervielfacht. Pacht und Kauf sind Bauern und Bäuerinnen nur noch schwer möglich, während immer mehr Kapitalanleger astronomische Werte generieren, ohne der Allgemeinheit Teilhabe zu ermöglichen. Als 2014 Sachsen-Anhalts damaliger Landwirtschaftsminister Hermann Onko Aeikens (CDU) versuchte, ein Agrarstrukturgesetz zu etablieren, was unter anderem Anteilskäufe genehmigungspflichtig werden lassen sollte, scheiterte er am Widerstand des Bauernverbandes. Sogenannte Share Deals, bei denen ein Investor nur 95 % eines Unternehmens kauft, ersparen ihm die Grunderwerbssteuer und müssen nicht öffentlich gemacht werden. Aeikens grüne Nachfolgerin Claudia Dalbert, müht sich schon lang mit einem Projekt Agrarstrukturgesetz und lässt aktuell die Vereinbarkeit mit dem EU-Recht prüfen. Länderminister verwiesen bislang gern auf den Bund oder die EU, wenn es darum ging, an Share Deals, Grunderwerbssteuer, Vorkaufsrechten oder Ähnlichem etwas zu ändern, dabei machten Bundesjustiz- wie auch Bundeslandwirtschaftsministerium auf Anfragen mehrfach klar, dass diese Kompetenz eindeutig bei den Länderparlamenten liegt. Aeikens Beispiel wirkt da offenbar abschreckend genug. Brandenburg geht voran Einer, der allerdings als Parlamentarier etwas in die Hand nimmt, ist der brandenburgische Grünen-Landtagsabgeordnete Axel Vogel. In die Thematik eigearbeitet durch die jahrelange Auseinandersetzung in der Enquetekommission, hat er gerade einen Vorschlag für ein Agrarstrukturgesetz in Brandenburg vorgelegt. „Es wird ein Agrarstrukturgesetz in Brandenburg geben“, ist er zuversichtlich auch im Hinblick auf die Mehrheiten nach der Landtagswahl. Er hat versucht, im Vorfeld alle Beteiligten einzubinden, um ein akzeptiertes praxistaugliches Instrument zu erstellen, das ortsansässige bäuerliche Betriebe stärken und den Einfluss außerlandwirtschaftlicher Investoren begrenzen soll. Bäuerlichen Betrieben sollen Vorkaufsrechte eingeräumt werden, Share Deals sollen genehmigt werden müssen und auch versagt werden können. Vogel will auch die gemeinnützigen Siedlungsgesellschaften mit Vorkaufsrechten besser stellen, damit diese durch Verpachtungen bäuerliche Betriebe vor Ort stärken können. „Die Agrarstruktur hat auch etwas mit der Art der Bodenbewirtschaftung zu tun“, so Vogels Herleitung. Häufig genug in der Vergangenheit schafften Investoren in Großbetrieben als erstes Tierhaltung und Gemüsebau ab und setzten auf Biogas. Brandenburgs Bauernverbandspräsident Hendrik Wendtorf konstatiert immerhin, dass man ein Problem habe im Hinblick auf die Investorenübernahmen. „Die Landwirte vor Ort wollen inzwischen selber, dass etwas geschieht“, sagt Axel Vogel. Er habe bislang viel Lob für seinen Vorstoß erhalten, auch CDU und Linke wollten endlich etwas verändern. Die noch im Landwirtschaftsministerium führende SPD lehnte ein Gesetz bislang ab, schickte aber immerhin die Leiterin des Grundsatzreferates zur Gesetzentwurfsvorstellung. Man mag es kaum glauben, aber vielleicht entsteht in Brandenburg zum 30-jährigen Jubiläum des Mauerfalls zum ersten Mal eine Gesetzesinitiative, die ein Zeichen setzt für eine vielfältige Agrarstruktur.
09.09.2019
Von: cs

Demonstration in Dresden für eine andere Landwirtschaft