Gentechnik-Befürworter greifen „Ohne Gentechnik“-Kennzeichnung an

Ein Rechtsgutachten, das von der Pro-Gentechnik-Organisation „Forum Grüne Vernunft (FGV)“ in Berlin vorgestellt wurde, hält das „Ohne GenTechnik“-Siegel für irreführend und daher für eine „Verbrauchertäuschung“. Für den Verband Lebensmittel ohne Gentechnik (VLOG), der die Lizenzen für das einheitliche Siegel "Ohne GenTechnik" für Lebensmittel vergibt, ist dieser Vorwurf „völlig abwegig und falsch“. Das Grundsatzurteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zu Neuer Gentechnik schafft nach Ansicht des VLOG, anders als in dem Gutachten behauptet, in Bezug auf die „Ohne Gentechnik“-Kennzeichnung keine neuen rechtlichen Tatsachen. In seiner Stellungnahme für das „Forum Grüne Vernunft“ befasst sich Professor Dr. Reimund Schmidt-De Caluwe, Lehrstuhlinhaber für öffentliches Recht und Sozialrecht an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, mit dem Urteil des EuGH vom letzten Sommer. In diesem hatten die Richter des obersten europäischen Gerichts neue gentechnische Verfahren wie CRISPR/Cas als Gentechnik eingestuft. Entsprechend müssen sie nach dem EU-Gentechnikrecht reguliert werden. Zudem bestätigten die Richter, dass Mutagenese-Verfahren zu gentechnisch veränderten Organismen (GVO) führen. Jedoch sind diejenigen Mutagenese-Methoden, mit denen in der Pflanzenzüchtung schon lange gearbeitet wird und die deshalb seit langem als sicher gelten, etwa Bestrahlung oder Einsatz von Chemikalien, nach Entscheidung des Gerichts von der EU-Gentechnikgesetzgebung eben ausdrücklich von einer solchen Regelung ausgenommen. Schmidt-De Caluwe interpretiert das Urteil aber als „verbindliche Einordnung aller Organismen, die mittels Mutagenese gewonnen werden, als GVO (...)“. Das beträfe dann viele gängige Pflanzensorten. Schmidt-De Caluwe folgert daraus: Die Nutzung des „Ohne GenTechnik“-Siegels bei Lebensmitteln, die etwa mit Mutagenese gezüchtete Pflanzen enthalten, verstoße „gegen das Verbot der Irreführung der Verbraucher“. Hier verstößt der Gutachter nach Ansicht des VLOG selber gegen das bewährte Prinzip, politische Argumente von rechtlichen streng getrennt zu halten. Eine sachliche Diskussion der komplexen Thematik wird hierdurch nahezu ausgeschlossen, was letztlich in der heute vom FGV vorgetragenen und völlig abwegigen Forderung gipfelt, wonach „die hemmungslose Verbrauchertäuschung [durch die „Ohne Gentechnik“-Kennzeichnung] ein Ende haben“ muss. „Noch mehr Theatralik ist in diesem Zusammenhang fast nicht vorstellbar“, kommentiert der VLOG. Nach dem EuGH-Urteil sind nur neue Mutagenese-Verfahren, die über keine Geschichte der sicheren Nutzung verfügen, der EU-Gentechnikgesetzgebung unterworfen. Darüber hinaus bleibt es dem Urteil zufolge den EU-Mitgliedstaaten überlassen, auch die klassische Mutagenese als Gentechnik zu behandeln. „Verbindlich“ vorgegeben, wie Schmidt-De Caluwe schreibe, hat der EuGH das nicht. So gelangen die Rechtsanwälte Dr. Georg Buchholz und Dr. Achim Willand in einem Beitrag in der Fachzeitschrift Lebensmittel & Recht zu dem Schluss: „Solange der nationale Gesetzgeber – wie in Deutschland – die klassische Mutagenese keinen gentechnikrechtlichen oder ähnlichen Anforderungen unterwirft, ist es deshalb ohne weiteres konsistent, wenn er auch die Ohne-Gentechnik-Kennzeichnung so regelt, dass die Verwendung von durch klassische Mutagenese verwendeten Organismen dieser Kennzeichnung nicht entgegensteht. Im Ergebnis steht es der Verwendung der Kennzeichnung 'Ohne Gentechnik' damit nicht entgegen, wenn Lebensmittel Stoffe aus Pflanzen oder Tieren enthalten, die mit klassischer Mutagenese gezüchtet wurden.“ Zu diesem Ergebnis kommt auch der Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde (BLL). Die Nutzung des „Ohne GenTechnik“-Siegels verstoße nicht gegen das Täuschungsverbot der Lebensmittelinformationsverordnung (LMIV), erklärte der Verband vergangenes Jahr, als das „Forum Grüne Vernunft“ die „Ohne Gentechnik“-Kennzeichnung schon einmal angegriffen hatte. Die vom BLL am 13.06.2019 online veröffentlichte ausführliche Stellungnahme „zu den Auswirkungen des EuGH-Urteils in Rs. C-528/16 zu neuen Züchtungstechniken auf das Lebensmittelrecht“ macht sich der VLOG inhaltlich ausdrücklich zu eigen und verweist im Übrigen auch auf das dort gezogene Fazit: „Zur Versachlichung der Diskussion sollte […] künftig daher wieder schärfer zwischen politischen und rechtlichen Argumenten differenziert werden. So ist die politische Diskussion um die Glaubhaftigkeit der geltenden „Ohne Gentechnik“-Kennzeichnung am Maßstab der Verbrauchererwartung und die Frage der rechtlichen Zulässigkeit von Produktauslobungen mit „Ohne Gentechnik“-Angaben auf der Basis der aufgezeigten geltenden Rechtslage strikt auseinanderzuhalten.“ Das „Forum Grüne Vernunft (FGV)“ präsentiert sich auf seiner Homepage mit sechs Personen. Dazu gehören der FDP-Landtagsabgeordnete Uwe Schrader in Sachsen-Anhalt und der ehemalige FDP-Minister (im Saarland und in Sachsen-Anhalt) Horst Rehberger. Letztgenannter ist auch Vorsitzender des Beirates im Verein InnoPlanta in Gatersleben/Sachsen-Anhalt, der sich laut Satzung die Förderung der Pflanzenbiotechnologie und eine entsprechende Öffentlichkeitsarbeit zum Ziel gesetzt hat.