Neue Hühner braucht das Land

Henne, Hahn oder Ei – die Frage wer zuerst da war, stellt sich für Carsten Bauck nicht. „Hahn und Henne gehören zusammen.“ Was klingt wie ein lapidarer Allgemeinplatz, ist in den vergangenen Jahren zu einem gesellschaftlich immer brisanteren Ethikthema avanciert. Eigentlich sollte schon Ende Mai das Bundesverwaltungsgericht entscheiden, was juristisch als höherwertig anzusiedeln ist: wirtschaftliche Interessen oder der im Grundgesetz verankerte Tierschutz. Es hatte dann kurz vor dem anberaumten Termin noch weiteren Beratungsbedarf, so dass das Urteil nun auf den 13. Juni terminiert ist. Auch daran wird deutlich, wie viel Zündstoff darin liegt, dass jährlich in Deutschland 40 Mio. männliche Eintagsküken aus der Legehennenproduktion getötet werden – und sich inzwischen der Verbraucher damit auseinandersetzt. Viele Jahre funktionierte diese Praxis geräuschlos, auch in der Biobranche setzten sich nur wenige damit auseinander. „Es ist eine Schmach für unser Wohlfühlschlaraffenland hier, dass wir diese Praxis noch immer nicht beendet kriegen“, sagt Carsten Bauck. Er ist ein Mann der deutlichen Worte und hat mit seinem Vorstoß 2012 die Bioszene ganz schön durchgeschüttelt. Damals schob er als einer der Leiter der traditionsreichen biodynamischen Bauckhöfe in der Lüneburger Heide die Bruderhahn-Initiative an, mit dem schreiend pinken Logo eines stolzen, aber mageren Hahns und dem Versprechen, für 4 Cent mehr pro Ei aus der Initiative sämtliche männlichen Küken aufzuziehen. Tiere, die keiner will Hühnerzucht ist eine Angelegenheit weniger multinationaler Konzerne. Seit Jahrzehnten haben sie die Spezialisierung in Lege- und Mastrassen zur Perfektion getrieben. Das heißt bei den Legerassen nicht nur „viele Eier legen“, sondern das auch noch bei einer optimalen Futteraufnahme. Das bedeutet, dass die männlichen Küken der Rasse nicht nur langsam Muskelfleisch aufbauen, sondern auch noch, dass sie keine Fressmaschinen sind. Unter dem Aspekt des Ressourcenverbrauchs sei die Aufzucht solcher Hähne eigentlich zweifelhaft, so Bauck. „Mit Futter, das wir nicht haben, erzeugen wir Tiere, die keiner will“, sagt er provozierend. Aber er habe die Bruderhähne immer als Zwischenschritt gesehen, bevor es eine bessere Lösung gebe. Am Anfang hätten ihm alle gesagt, das gehe gar nicht, diese Hähne überhaupt groß zu kriegen – von Mästen redet hier keiner. Außerdem wurde immer argumentiert, die Küken würden doch gebraucht, als Futter in Zoos und Tierparks. Später, nachdem klar war, es geht doch, so Bauck, war die Argumentation: Das Ganze sei absolut unwirtschaftlich. Eier gegen Wurst Mit zwölf Betrieben habe man 2013 angefangen, heute sind es 30 Biobetriebe, die für die Bruderhahn-Initiative die männlichen Küken aufziehen. Noch immer finanziert die Henne mit 4 Cent pro Ei den Hahn. Die Prophezeiung, niemand werde das Hähnchenfleisch wollen, weil es nicht dem Bild und den Eigenschaften entspreche, die der Verbraucher wolle, hat sich nicht bewahrheitet. Anfänglich waren es vor allem ein paar Restaurants, die mit Engagement für die Idee neue Rezepte probierten und von dem festen Fleisch angetan waren, und die Babynahrungsbranche, die die Bruderhähne in den Gläschen versenkte. Inzwischen geht der Löwenanteil als Frischfleisch oder verarbeitet in den Naturkosthandel und zu Edeka. Geschlachtet und verarbeitet wird aus dem norddeutschen Raum auf dem Bauckhof. „Wir hätten immer mehr verkaufen können, als wir haben“, so Bauck. Das funktioniert auch deshalb, weil es die restriktive Vorgabe der Initiative gibt, dass, wer Eier vermarkten wolle, auch Hähne verkaufen müsse. Und so wird in interessanten Äquivalenten gerechnet: Eine Henne legt 250 Eier; wer die will, muss einen Hahn vermarkten, z. B. über drei Bruderhahn-Salamis zu 150 Gramm das Stück. Es gebe ein Ampelsystem: Wer mehr Eier als Hähne ordere, kriege ein gelbes Signal und den Hinweis, dass man nun aber auch mal ein paar mehr Brüste, Salamis, Frikadellen oder andere Produkte vom Bruderhahn bestellen müsse, sonst springe die Ampel beim nächsten Mal auf rot. „Und dann gibt es keine Eier mehr“, sagt er und angesichts seines strengen Blickes möchte man nicht in diese Situation kommen. Diese Art und Weise, Hahn und Henne gemeinsam zu denken, hebt die Bruderhahn-Initiative von den inzwischen auch entstandenen anderen Projekten, Bio wie auch konventionell, ab. Neue Hühner Die Rewe-Gruppe beispielsweise hatte den „Herz-Buben“ eingeführt, bei dem konventionelle Eier die Aufzucht von Bruderhähnen subventionieren, und auch immer als Übergangslösung propagiert bis zur Praxisreife der Geschlechtserkennung im Ei. Diese wurde im vergangenen Jahr verkündet, auch die Politik preist sie als Ausweg aus dem Kükentöten. Carsten Bauck hält davon nichts. Die Bruderhahn-Initiative verfolgte von Anfang an eine andere Strategie: eine ökologische Geflügelzüchtung, die irgendwann das Zweinutzungshuhn (wieder) auf die Betriebe bringt. Demeter und Bioland initiierten die gemeinnützige Ökologische Geflügelzüchtung gGmbH (ÖTZ), Geld wurde auch über den Eierverkauf über fast alle Naturkostgroßhändler eingeworben. Inzwischen gibt es erste Zuchtlinien, die sich auf Praxisbetrieben bewähren. So kommen zu den rund 60.000 Bruderhähnen von klassischen Legehennen fast ebenso viele des neuen ÖTZ-Huhns. „Wir sind nach wie vor eine Nische in der Nische“, sagt Bauck, aber die Entwicklungen geben Rückenwind. Demeter und auch der Bundesverband Naturkost Naturwaren (BNN) haben sich gegen die Geschlechtsbestimmung im Ei ausgesprochen, Bioland (mit seinen 1,2 Mio. Legehennen) ziere sich noch etwas, so Bauck. „Die Geschlechtsbestimmung im Ei löst das Problem der übermäßigen Spezialisierung in der Geflügelzucht nicht. Ihre Einführung würde dem unersättlichen Streben nach einseitiger Leistungssteigerung der Hennen die letzte potentielle Begrenzung nehmen. Das Verfahren verlagert die Tötung der männlichen Legetiere lediglich in das erste Drittel der Brut“, heißt es in der Pressemitteilung der Bruderhahn-Initiative. Aus Baucks Sicht ist nur das Zweinutzungshuhn aus eigener konzernunabhängiger Zucht „in Bauernhand“ die Perspektive für den endgültigen Ausstieg aus dem Kükentöten. Strukturelle Vorteile inklusive: Bauck berichtet davon, dass die ÖTZ-Legehennen aufgrund ihrer anderen Futterverwertung schwerer als die reinen Legerassen werden. Damit passen sie zwar in Hühnermobile oder kleinere Ställe, aber nicht unbedingt in die durchrationalisierten, hochbauenden ganz großen Bio-Hühnerställe à la Tiemann. Ob sich die ÖTZ-Hühner durchsetzen, entscheidet am Ende auch der Verbraucher: Bauck ist unsicher, ob sich auch dieser nächste Schritt noch vermitteln lässt. „Aber der Verbraucher hat ja schon einmal verstanden, warum es wichtig ist, mehr Geld nur für den ethischen Mehrwert des Produkts auszugeben.“