„Wo willst Du eigentlich hin?“

Unabhängige Bauernstimme: Bauern und Bäuerinnen haben extreme Jahre hinter sich: Regen, Dürre, schlechte Preise. Merken Sie das auch in den Anfragen, die bei Ihnen landen?

Irmgard Hüppe: Ich hatte damit gerechnet, dass wir mehr Anfragen bekommen, aber das ist überhaupt nicht so. Mein Eindruck ist, und das bestätigen auch Kollegen und Kolleginnen aus anderen Beratungseinrichtungen, dass die Bauern und Bäuerinnen, besonders vielleicht die Milchviehhalter, in einer so geradezu bedrohlichen Situation waren und zum Teil auch noch sind, dass es um ganz vordergründige Fragen geht: Wo bekomme ich genug Futter her, um meine Tiere satt zu kriegen? Wie soll ich das bezahlen bei den Preisen? Es bleibt gar kein Raum mehr, sich selbst und die Menschen drum herum in den Blick zu nehmen und zu fragen: Wollen wir das so weitermachen, gibt es Alternativen?


Hat es Veränderungen bei den Anfragen bei Ihnen gegeben, weg von familiären Themen hin zu wirtschaftlichen?

Wir machen ja keine wirtschaftliche Beratung, aber der große finanzielle Druck auf den Höfen ist sehr spürbar. Bauern, die sagen: „Ich muss doch überhaupt erst mal wieder Rücklagen erwirtschaften und die muss ich dann auch noch gleich wieder hoch versteuern.“


Worum geht es denn in den Anfragen meistens?

Grundsätzlich stehen die Generationenkonflikte noch immer an erster Stelle der Anfragen, mit denen Menschen sich bei uns melden. Danach kommen die Eheprobleme und da sind es vermehrt die Frauen von Sauenhaltern, die anrufen und sagen: „Ich seh meinen Mann gar nicht mehr, bin praktisch allein erziehend, er ist nur noch im Stall.“ Da wird eher auf den Mitarbeiter verzichtet und wieder alles selbst gemacht, hinzu kommen die vielen neuen Anforderungen, allein schon die Hygieneverordnung insbesondere bei den Sauenhaltungsbetrieben. Ja, und der große gesellschaftliche Druck. Das sind ja alles nur Ausschnitte, die wir mitbekommen, aber ich nehme die Schweinehalter eher so wahr, dass sie immer nach vorne wollen mit ganz viel Know-how, sagen: „Ich mache doch ein super Produkt“, und dann von überall her gespiegelt kriegen: „Eigentlich ist das nicht richtig und wertig was Du das da machst.“


Ist da nur Unsicherheit und Unmut oder auch eine Offenheit für Veränderungen?

Die meisten wissen schon, dass sie etwas verändern müssen. Aber ich höre häufig: „Es muss aber so gehen, dass wir das menschlich und wirtschaftlich vollziehen können.“ Das ist aber schwierig, wenn bei den Änderungen der Haltungsbedingungen vieles noch so vage ist. Viele beklagen die mangelnde Planungssicherheit, haben Angst in etwas zu investieren, was kurz darauf schon keinen Bestand mehr hat. Ganz oft gibt es das Gefühl von: „Was machen die eigentlich mit mir?“, Politik, Behörden, Kontrolle. Das Gefühl „Freier Bauer auf freier Scholle“ ist oft längst weg. Ein Bauer hat mir mal gesagt: „Wir werden abgerechnet“ und der meinte das durchaus in diesem doppelten Sinne, dass die Preise wie auch die Bedingungen des Umgangs mit Bauern und Bäuerinnen diktiert werden.


Wie können Sie da helfen?

Wir versuchen nach Möglichkeiten zu suchen, aus der passiven, aber auch aus der klagenden Rolle herauszukommen. Ich frage immer: „Wo willst du denn eigentlich hin?“ Natürlich müsste man das System verändern, das ist sicher schwieriger, als erst mal zu gucken, wo meine Chance ist, etwas zu bewegen. Das geht oft nur Stück für Stück.


Das gilt sicher für familiäre Fragen wie auch für betriebliche?

Ja, wie kriege ich es hin, wieder mehr Zeit mit der Familie zu verbringen? Da muss ich vielleicht doch einen Teil der Büroarbeit abgeben oder Arbeit im Stall. Da kommt oft hinzu, dass nicht wenige überfordert sind in dem Punkt der Mitarbeiterführung, weil sie es auch nie gelernt haben. Oft ist Sprachlosigkeit eine Schwierigkeit oder auch das „Es bleibt in der Familie“. Manchmal muss man Sprechen richtig wieder üben. Manchmal gibt es das Gefühl, es höre sowieso keiner zu – vor lauter Arbeit und Überforderung.


Sprechen ist sicher auch eine Schlüsselqualifikation im Hinblick auf die hohen Ansprüche der Gesellschaft.

Ja, aber ohne gleich in einen Klage- oder Abwehrmodus zu verfallen. Ich muss es auch mal hinkriegen, mich auf die andere Seite zu begeben und zu sehen, wie der andere mich wahrnimmt. Eigentlich ist es doch toll, dass sich so viele Menschen wieder mehr dafür interessieren, wie Landwirtschaft betrieben wird. Das ist eigentlich ja auch eine Wertschätzung, die Bauern und Bäuerinnen oft so schmerzlich vermissen. Dabei sagen die meisten Bauern und Bäuerinnen mir, wie toll sie es eigentlich finden, Landwirtschaft zu machen, das kann ich dem Gegenüber doch vermitteln.


Warum tritt das Schöne am Beruf heute öfter in den Hintergrund?

Bauern werden oft immer noch komisch angeguckt, wenn sie den Betrieb so organisieren, dass sie mit der Familie zwei Wochen in Urlaub fahren können, und wenn sie nicht „immer verfügbar“ sind. Es gehört Mut dazu, auch mal zu sagen: „Es reicht, das brauche ich nicht auch noch.“


Droht man im „Immer höher, schneller, weiter“ die schönen Seiten aus dem Blick zu verlieren?

Ja, dabei sind doch so viele mit Energie und Freude und Herzblut dabei und haben so viel ans Laufen gebracht. Und ein Bauernhof mit seiner ganzen Vielfalt ist ein toller Ort, um groß zu werden. Das sieht man doch dann auch daran, was aus den jungen Leuten von Höfen wird. Meist sind sie sehr verlässlich, können Entscheidungen treffen, auch mal 'ne Krise überstehen, Verantwortung übernehmen. Wir müssen doch mal den Blick richten auf das, was uns prägt und dann gucken, wie wir uns mit den Veränderungen arrangieren.


Vielen Dank für das Gespräch!


Die ländliche Familienberatung des Bistums Münster e. V. bietet Unterstützung in Krisen und schwierigen Lebenssituationen an. 29 Berater und Beraterinnen mit landwirtschaftlichem Hintergrund stehen ehrenamtlich jeweils in Zweier-Teams zur Verfügung, finanziert im Wesentlichen durch verschiedene Träger des Vereins. Irmgard Hüppe ist als einzige Hauptamtliche die Geschäftsführerin und Koordinatorin der Anfragen.

03.04.2019
Von: cs

Frau Hüppe gibt Unterstützung bei der Frage nach den familieninternen Stellungen zueinander