Eine andere EU-Agrarpolitik ist möglich

„Für eine soziale, ökologische Agrarreform und für ein demokratisches Europa" war das Motto, unter dem die diesjährige Abenddiskussion der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft stand. Auf dem Podium VertreterInnen aus Frankreich und Deutschland. Welches sind die Anforderungen an eine zukünftige europäische Agrarpolitik? Ohne Umschweife gestand die nordrhein-westfälische Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz, Ursula Heinen-Esser, ihre aktuelle Frustration beim Thema GAP (Gemeinsame Agrarpolitik). Sechs Monate intensiver Verhandlungen lägen hinter ihr, darunter zahlreiche Verhandlungen mit den Agrarministern der Länder, mit dem EU-Kommissar für Haushalt und Personal, Günther Öttinger, und dem EU-Agrarkommissar Phil Hogan, und doch verdichteten sich die Signale, dass die GAP bis Mitte Mai nicht zu verabschieden sei. Durch die anstehenden Wahlen zum Europaparlament würde es zu langen Verzögerungen kommen und neben einer neuen Kommission würde gegebenenfalls auch ein neuer Agrarkommissar die Verhandlungen mit vielleicht ganz neuen Vorschlägen fortführen. Letztendlich sei auch durch den aufgrund des Brexits geringeren Haushalt unklar, inwieweit ökologische Themen so erhalten blieben wie bisher. Nach dieser kurzen Einschätzung der aktuellen Verhandlungssituation wurde Heinen-Esser konkreter und umriss ihre Forderungen für eine zukünftige europäische Agrarpolitik: „Ich möchte, dass die finanzielle Ausgestaltung der GAP auf dem aktuellen Niveau bleibt“, so die Agrarministerin, „auch möchte ich keine überproportionalen Kürzungen in der zweiten Säule.“ Heinen-Esser distanzierte sich damit deutlich von den Ambitionen des EU-Haushaltskommissars, der sowohl Kürzungen als auch eine Umverteilung als notwendig erachtet. Zu einer Beibehaltung einer zusätzlichen Förderung der ersten Hektare bekannte sich Heinen-Esser ebenso wie zur Möglichkeit einer Kappung. Damit vor dem Hintergrund der immer stärker auf Exporte ausgerichteten Fleischindustrie die Tierhaltung nicht in einem ökonomisch angetriebenen Wettlauf hin zum niedrigsten Niveau verkomme, müsse man Leitplanken schaffen, die Standards beim Tierwohl festschrieben. Mit Blick auf NRW will die Ministerin die angestoßenen Entwicklungen in der Nutztierhaltung vorantreiben, sich für einen Schutz des Grundwassers gegen Nährstoffeinträge engagieren und die Biodiversität und den Artenschutz fördern. Hier sollen vor allem mithilfe von Agrarumweltmaßnahmen aus der zweiten Säule für die Landwirte Anreize zu einer umweltverträglichen Bewirtschaftung geschaffen werden. In diesem Zusammenhang ist wohl auch die Ankündigung zu verstehen, zukünftig den Ökolandbau, der derzeit in NRW bei circa sieben Prozent liegt, weiter auszubauen. Eine andere Agrarpolitik Eine ganz andere Sicht auf die aktuellen Verhandlungen in Brüssel hatte Aurelie Catallo, Koordinatorin der Plattform „Pour un autre PAC“ (Für eine andere GAP). 33 Organisationen haben sich in Frankreich bei Pour un autre PAC zusammengeschlossen, um für eine bessere – eine gerechtere und grünere – GAP zu arbeiten. „Es geht um eine Evolution, nicht um eine Revolution“, machte Catallo gleich zu Anfang deutlich. Konkret wendete sie sich gegen pauschale Flächenzahlungen, die Heinen-Esser kurz zuvor noch als „Basisabsicherung“ der Landwirte verteidigt hatte. Neben einer Qualifizierung forderte Catallo einen schrittweisen Ausstieg aus dem bisherigen Modell bis 2027. Es sei an der Zeit, die GAP zu demokratisieren. Die GAP, so Catallo, sei eine Politik, die alle Bürger betreffe. „Die Gesellschaft in den EU-Ländern will eine Förderung der Umwelt und von kleinen Betrieben“, so Catallo. Für Pour un autre PAC steht deshalb auch die Ernährungssouveränität, im Gegensatz zu einer immer stärkeren Exportausrichtung, als ein Hauptziel der GAP fest. Vor allem in Frankreich sei Tierschutz ein wichtiges Thema. „Tierschutz muss unbedingt starker berücksichtigt werden, in Frankreich ist dieser derzeit abwesend“, so Catallo. Die Koordinatorin sprach sich darüber hinaus klar für eine Deckelung der Zahlungen je Arbeitskraft und gegen eine Zahlung für eine private Risikoabsicherung aus. Die Agrarumweltmaßnahmen, so Catallo, seien das Werkzeug, um einen Übergang zu einer ökologischen Landwirtschaft zu gestalten. Zahlungen qualifizieren Wie eine Weiterentwicklung der derzeit pauschal an der Fläche ausgerichteten Agrarzahlungen aussehen könnte, verdeutlichte Phillip Brändle vom AbL-Bundesvorstand mit dem AbL-Punktemodell. Der Ansatz, so Brändle, beziehe sich auf eine Qualifikation von Geldern der ersten Säule und solle nicht die Agrarumweltmaßnahmen aus der zweiten Säule ersetzen. „Er besteht aus drei Teilen: einer Flächenprämie, einer Tierprämie und einer Basisprämie“, erläuterte Brändle. In jedem der Teile sind einzelne Maßnahmen, die zum Großteil über den aktuellen Agrarantrag oder die Tierdatenbanken erfasst werden, mit Punkten hinterlegt. Im Bereich der Flächen fließen beispielsweise die Zahl der angebauten Kulturen, die Flächengröße, der Grünlandanteil und der Anbau von Leguminosen in die Berechnung ein. In der Tierhaltung sind es unter anderem der Tierbesatz, das Platzangebot, Weidegang oder der Verzicht auf gentechnisch veränderte Futtermittel. Zusätzlich zu der Flächen- und Tierprämie wird ein weiterer Anreiz zur Orientierung der Betriebe an den gesellschaftlichen Anforderungen durch eine Basisprämie geschaffen, die insbesondere kleinere Strukturen fördert. „Die Basisprämie errechnet sich je Betrieb, indem für die ersten 30 Hektar je Betrieb und für die ersten 30 Großvieh-Einheiten je Betrieb ein Prämienaufschlag erfolgt“, erläuterte Brändle. Die jetzigen GAP-Vorschläge ermöglichten eine direkte Umsetzung dieses Modells innerhalb der vorgesehenen Regelungen der Ecoschemes, erläuterte Brändle. Zu scharf Die Agrarminister seien bei ihren Diskussionen auf der Linie einer Beibehaltung des aktuellen Fördersystems, erklärte Frau Heinen-Esser, die aktuell den Vorsitz der Agrarministerkonferenz hat. Wichtige Anforderungen seien eine bessere Kontrollierbarkeit und ein weniger bürokratisches System, so die Ministerin. Überein stimmte sie mit Catallo und Brändle in der Einschätzung, dass öffentliches Geld nachvollziehbar und öffentlich kontrolliert verwendet werden müsse. Ihre direkte Reaktion auf das vorgestellte Punktemodell: „So ein System ist mir zu scharf.“ Unter anderem bezweifelte Heinen-Esser die Kontrollierbarkeit und befürchtete einen zusätzlichen bürokratischen Aufwand. „Wir wollen unseren Beitrag zur Ökologisierung und Verbesserung der Tierhaltung leisten“, entgegnete Phillip Brändle und forderte, das Punktemodell nicht einfach abzutun. Mit Blick auf den in NRW von Heinen-Esser initiierten Prozess von Umweltschutz- und Landwirtschaftsverbänden forderte er eine intensivere Auseinandersetzung mit dem Ansatz, der neben landwirtschaftlichen Kriterien eben auch gesellschaftliche Anforderungen beinhalte. „Wir setzen uns zusammen, auch mit der Landwirtschaftskammer, und sprechen das mal durch“, war das locker formulierte, aber durchaus ernst gemeinte Angebot der Ministerin, das Brändle gerne annahm.