Tierhaltung 4.0

Als ich vor zehn Jahren im November 2008 zur Eurotier fuhr, bekam ich am Einlass einen Messeprospekt in die Hand gedrückt. Fast alle Artikel beschäftigten sich mit dem Thema Tierschutz. Ich war voller Hoffnung, dass sich etwas bewegt. Auf der Messe allerdings waren wenig echte Innovationen im Stallbereich zu sehen. Auch in diesem Jahr bin ich Mitte November nach Hannover gefahren. Wieder zur Eurotier. Diesmal gibt es zwar keinen Prospekt, aber dafür lässt der Titel der Messe: „Tierhaltung 4.0“ Veränderungen vermuten. Gespannt gehe ich durch die Hallen, um die Veränderungen im Stallbaubereich zu bestaunen. Allerdings muss man schon suchen, um neue tiergerechte Stallkonzepte zu finden. Die meisten Aussteller setzen leider weiterhin auf Vollspalten, zwar alle mit Spielzeug und organischem Beschäftigungsmaterial, Stroh als Einstreu für eine weiche Liegefläche ist aber kaum zu finden. Sicher, die Stalleinrichter bieten nur das an, was der Markt nachfragt. Doch wann, wenn nicht jetzt, müssten diesbezüglich Zeichen gesetzt werden? Die veränderten Anforderungen sind doch überall sichtbar. Ein Großteil des Lebensmitteleinzelhandels hat in diesem Jahr einen Haltungskompass eingeführt, wodurch der Verbraucher erkennen soll, wie das Tier, dessen Fleisch er kauft, vorher gehalten wurde. Dabei steht 1 für den gesetzlichen Standard, 2 für die Bedingungen der Initiative Tierwohl, 3 für die Bedingungen der Einstiegsstufe des Tierschutzlabels des deutschen Tierschutzbundes und 4 für die Premiumstufe, deren Anforderungen den Neuland- und Biorichtlinien ähneln. Der Handel will nach eigener Auskunft 2020 die Hälfte des Angebotes in der Stufe 2 anbieten und in diesem Bereich somit eine Nachfrage schaffen. Auch wenn das kein ehrgeiziges Ziel ist, weil diesen Standard die Betriebe der Initiative Tierwohl aktuell schon erfüllen und die Anforderungen der Initiative ab 2018 auch noch herabgesetzt wurden. Einen großen Mehrwert werden die beteiligten Landwirte wahrscheinlich auch nicht bekommen, sind es doch nur minimale Verbesserungen des Tierwohls, die eine Teilnahme an der Stufe 2 ermöglichen. Welche Absatzziele der LEH für die Stufen 3 und 4 hat, konnte ich bislang nirgends lesen. Aus meiner Sicht werden aber nur diese beiden Stufen, und hier vor allem die Premiumstufe, die Chance bieten, einen Mehrwert für die Landwirte zu erzielen und darüber hinaus den gesellschaftlichen Konflikt um die Art der Tierhaltung zu lösen. Sie bedeuten aber auch den höchsten Aufwand für die Betriebe, weil sich die konventionellen Stallsysteme stark verändern müssen und zudem die neuen Konzepte auch ein Mehr an Arbeit bedeuten. Trotzdem rufen mich, als Vermarkter von Neuland-Fleisch im Norden, wöchentlich Betriebe an, die ihre Tierhaltung in Richtung Neuland verändern wollen Das ist sicherlich ein Stück weit auch den aktuell nicht kostendeckenden Preisen geschuldet, aber drückt auch die Suche nach einer neuen Perspektive aus, die den Hof zukunftsfähig macht. Für viele, so klingt es bei den Telefonaten heraus, ist ein Auslaufen der Tierhaltung bzw. des ganzen Betriebes die Alternative. Als AbL haben wir für die Schweinehaltung ein Umbaukonzept erarbeitet. Wichtige Voraussetzungen für eine Neuausrichtung der Branche sind neben einem finanziellen Anreiz für schon artgerecht wirtschaftende Betriebe eine Bezuschussung der Umbaukosten und natürlich eine höherpreisige Vermarktung. Die Betriebe können das Risiko der hohen Investitionskosten und der Mehrarbeit nur auf sich nehmen, wenn sie dafür Sicherheiten in Form längerfristiger Abnahmeverträge mit festen Konditionen bekommen. Nicht einzelne Landwirte sollten hier verhandeln, sondern Erzeugerzusammenschlüsse, damit auch auf Seiten der Produzenten eine angemessene Verhandlungsmacht erzielt wird. Die Marktdifferenzierung in Richtung Premiumfleisch ist kein Selbstläufer. Die Unterstützung von Politik und Handel ist bislang ausgeblieben, und das aktuelle Beispiel der betäubungslosen Ferkelkastration zeigt, wie wenig ehrgeizig an selbstgesteckten Zielen im Tierschutzbereich gearbeitet wird. Es braucht weiterhin den Druck der Gesellschaft und der Verbände, damit ein staatliches Tierschutzlabel zu einer wirklichen Verbesserung der Haltungsbedingungen, einem Umbau des Markts und zu mehr Transparenz für die Verbraucher führt. Als AbL werden wir immer mehr Betriebe vertreten, die die Tierhaltungswende in ihren Betrieben umsetzen wollen. Für diese Betriebe zu streiten, wird weiterhin unsere Aufgabe sein, damit Tierhaltung 4.0 anders aussieht als auf der Eurotier 2018.
26.11.2018
Von: Martin Schulz, AbL-Bundesvorsitzender und Neuland-Schweinehalter im Wendland

Martin Schulz