Wissenschaftliche Beiräte für Neuausrichtung der Agrarpolitik

Gleich zwei Wissenschaftliche Beiräte des Bundeslandwirtschaftsministeriums haben deutliche Kritik an der bisherigen Agrarpolitik geäußert und sich für eine konsequente Neuausrichtung der Gemeinsamen EU-Agrarpolitik (GAP) ausgesprochen. Die Wissenschaftlichen Beiräte für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz (WBAE) sowie für Biodiversität und Genetische Ressourcen übergaben ihre Position in Form zweier getrennter Stellungnahmen am Montag an Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU), auf Wunsch der Ministerin und zum Ärger der Beiräte „hinter verschlossenen Türen und ohne Kameras“, wie Spiegel online schreibt. Während der WBAE langfristig ein Modell für eine vollständige Abwendung vom jetzigen System vorschlägt, wird in der zweiten Stellungnahme, quasi als kurzfristige Maßnahme, eine Neuausrichtung auch im bestehenden System der Direktzahlungen und der 2. Säule gefordert. Nach Ansicht des WBAE wird die derzeitige GAP den gegenwärtigen und zukünftigen Herausforderungen im Politikfeld Landwirtschaft und ländliche Räume nicht gerecht und verharre seit Implementierung der 2003er Reform in weitgehendem Stillstand. Zahlreiche wichtige der auf europäischer und deutscher Ebene spezifizierten und für die Landwirtschaft relevanten Umweltziele im Bereich des Klima-, Wasser- und Biodiversitätsschutzes würden nicht erreicht und könnten mit der bisherigen Politik unzureichend entwickelter Anreizsysteme und eines ungenügenden Vollzugs des Ordnungsrechts auch nicht erreicht werden. Im Bereich des Tierschutzes sei der Handlungsbedarf bei weitgehend fehlenden Anreizsystemen erheblich und auch in Bezug auf die Entwicklung ländlicher Räume bestehe großer Handlungsbedarf. Zu den Direktzahlungen schreibt der WBAE: „Diese Zahlungen, die zum größten Teil ausdrücklich Einkommenszielen dienen sollen, sind verteilungspolitisch nicht zu rechtfertigen: Sie sind weder an der Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Funktionen der Landwirtschaft noch an der betrieblichen oder der personellen Bedürftigkeit der Landwirte ausgerichtet und werden zudem über den Bodenmarkt zu einem großen Anteil an Bodeneigentümer durchgereicht. Schließlich fehlen diese Mittel für eine gezielte Honorierung von Gemeinwohlleistungen.“ Zudem habe sich das Greening als „weitgehend wirkungslos“ erwiesen. „Die dringend notwendige, inhaltlich und strukturell grundlegende Neukonzeption geht unvermeidlich mit einer Veränderung bestehender und im Sektor oft als gerechtfertigt empfundener Besitzstände einher und erfordert deshalb politisches Durchsetzungsvermögen. Eine zeitliche Verschiebung der erforderlichen Neuausrichtung der GAP würde allerdings sowohl die zu adressierenden Problemlagen als auch den betrieblichen Anpassungsbedarf verschärfen“, heißt es in der Stellungnahme. Der Beirat für Agrarpolitik spricht sich „für eine gemeinwohlorientierte gemeinsame Agrarpolitik der EU nach 2020“ aus, so auch der Titel der Stellungnahme. Für die „gemeinwohlorientierte Transformation“ empfiehlt der WBAE der Bunderegierung für die Entscheidungen auf EU-Ebene und die nationale Umsetzung unter anderem „die Ziele der GAP neu zu gewichten und konsequent zu verfolgen“. Dazu zählt: die Herausforderungen in den Bereichen Umwelt-, Klima- und Tierschutz sowie der ländlichen Entwicklung herauszuarbeiten, daraus Ziele abzuleiten und diese zu operationalisieren; insbesondere die nicht erfüllten landwirtschaftsbezogenen Umweltziele konsequent umzusetzen und die GAP stärker als bisher hierauf auszurichten, (2) adäquate Steuerungs­ und Finanzierungssysteme für die Erbringung von Gemeinwohlleistungen und -pflichten der Landwirtschaft zu erarbeiten, (3) die Förderpolitik am Erhalt der gesellschaftlichen Funktionen der Landwirtschaft auszurichten (und sich damit für die Interpretation und Umsetzung des Einkommensziels gemäß der gängigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes einzusetzen), und (4) über die derzeitigen Reformentscheidungen hinaus einen breiten gesellschaftlichen Diskurs zur Ausgestaltung der GAP zu initiieren und aktiv zu gestalten, um die Finanzierung und Gestaltung einer gemeinwohlorientierten GAP gesellschaftlich zu verankern und tragfähig zu machen. Kappung, Degression und Förderung der ersten Hektar lehnt der WBAE ebenso ab wie eine gesonderte Junglandwirteprämie. Neben der erforderlichen grundsätzlichen Reform der GAP sieht der WBAE aber auch „bereits heute sehr viel mehr Spielraum für eine an gesellschaftlichen Zielen orientierte Mittelverwendung in den Mitgliedstaaten“, als sie beispielsweise gegenwärtig in Deutschland genutzt wird und empfiehlt unter anderem „eine Erhöhung des Umschichtungssatzes von der 1. in die 2. Säule der GAP auf die EU­rechtlich derzeit möglichen 15 Prozent“. Und unter dem Stichwort „Kompetenzzuordnungen überarbeiten“ sprechen sie sich dafür aus „den von der Europäischen Kommission in ihrer Mitteilung von November 2017 skizzierten Weg einer stärkeren Dezentralisierung der GAP zu unterstützen“ (Subsidiaritätsprinzip). „Für eine Gemeinsame Agrarpolitik, die konsequent zum Erhalt der biologischen Vielfalt beiträgt“ lautet der Titel der Stellungnahme des Beirates für Biodiversität. Für ihn trägt die derzeit vorherrschende Form der Landbewirtschaf­tung in Deutschland und in anderen Ländern erheblich zum Verlust der biologi­schen Vielfalt bei. Daher sei eine Neuausrichtung der GAP ist geboten. Dabei müsse die Erhaltung der biologischen Vielfalt ein zentrales Element darstellen. „Eine Fortführung der flächenbezogenen Direktzahlungen, wie von der Kommission vorgeschlagen, ist daher nur gerechtfertigt, wenn damit gesellschaftliche Ziele für die gesamte landwirtschaftliche Fläche verfolgt werden“, schreibt der Beirat. Dabei werde es von entscheidender Bedeutung sein, die flächenbezogenen Direktzahlungen mit wirksamen Maßnahmen zum Erhalt der biologischen Vielfalt in Agrarlandschaften zu verknüpfen. An Stelle der bisherigen, wenig anspruchsvollen Greening-Maßnahmen sei ein System zur systematischen Bewertung und Entlohnung der ökologischen Leistun­gen der landwirtschaftlichen Betriebe notwendig. Dabei seien unter anderem folgende Leitlinien zu beachten:
- Ein wesentlicher Teil der flächenbezogenen Direktzahlungen – zunächst mindes­tens 40 % – sollte an die Erbringung ökologischer Leistungen (also nicht an Mini­malstandards) geknüpft sein. Dieser Anteil sollte im Laufe der Zeit ansteigen.
- Es sollte ein Punktesystem zur Bewertung der ökologischen Leistungen der Emp­fängerbetriebe eingeführt werden. Die Höhe der Direktzahlungen sollte von den erworbenen Punkten abhängen. Die honorierten Leistungen müssen wirksam zum Schutz und Erhalt der biologischen Vielfalt beitragen.
- Das Bewertungssystem muss zu einer signifikanten Differenzierung der Höhe der Direktzahlungen zwischen Betrieben führen, die viel oder wenig für die biologische Vielfalt leisten.
- Ein punktebasiertes System zur Entlohnung von Leistungen, die dem Erhalt und der Förderung der biologischen Vielfalt dienen, kann dabei je nach politischer Präferenz entweder als Prämie für Basismaßnahmen im Agrar- und Umweltschutz oder als Zuteilung flächenbezogener Direktzahlungen entsprechend der relativen Umwelt­leistung ausgestaltet werden.