Startschuss für Dialog auf Bauernhöfen

Fast 100 Teilnehmer diskutierten in Quarnstedt über ihre Landwirtschaft

Jörg und Susanne Hauschildt strahlen. Dabei müsste ihnen eigentlich der Schweiß auf der Stirn stehen. Es ist Sonntag morgen zehn Uhr auf ihrem Milchviehbetrieb in Quarnstedt, Schleswig-Holstein. Die tägliche Morgenarbeit auf dem Hof hat die Familie bereits erledigt und jetzt steht eine Großveranstaltung auf dem Tagesplan. Der Hof sieht aus wie geleckt. Die vielen Autos werden auf eine Koppel zum Parken geleitet. Knapp 100 Gäste treffen am 16. Oktober ein und werden von den bäuerlichen Gastgebern Jörg und Susanne Hauschildt willkommen geheißen zum bundesweiten Auftakt von „Bauer hält Hof“ in der Kampagne „Meine Landwirtschaft“. In den kommenden Wochen finden bundesweit „Bauer hält Hof“-Veranstaltungen statt. Bäuerinnen und Bauern organisieren diese Veranstaltungsreihe auf ihren Höfen und werden von den regionalen Trägern der Landwirtschaftskampagne unterstützt. In Quarnstedt beginnt „Bauer hält Hof“ mit einer Andacht des Umweltpastors Thomas Schaack. Er verweist auf die Aussage von den mehr als 400 unabhängigen internationalen Wissenschaftlern im Weltagrarbericht von 2008: „Weiter wie bisher ist keine Option.“ Eine halbe Stunde später zwängen sich die vielen Gäste in den alten Kuhstall. Hofführung. Jörg Hauschildt skizziert die Hofgeschichte: „1971 hatten wir 24 Kühe. Davon konnte man leben. 2010 zählten wir 101 Kühe und die Milchleistung pro Kuh hat sich in dem Zeitraum verdoppelt. Der Trend geht in Richtung 200 oder 300 Kühe. Dahin will ich aber nicht. Dieser Betrieb soll ein Familienbetrieb bleiben.“ Welche Agrarpolitik dahinter steckt und wie sich das gesellschaftliche Bündnis der Landwirtschaftskampagne positioniert, dazu referieren Hans Foldenauer vom Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM) und Christel Kohnert von Brot für die Welt, Schleswig-Holstein, in ihren Eingangsvorträgen. Dann geht es in den Kern dieser Veranstaltung. Neben Grußworten von verschiedenen Organisationsvertretern zur Eröffnung gehen Bauern und Bürger in den agrarpolitischen Diskurs. Wie sich Bauern und Verbraucher bereits treffen und warum solche Begegnungen wichtig sind, weiß Barbara Retzlaff vom Slow Food-Convivium Hamburg: „Slow Food arbeitet daran, dass die Verbraucher die Realitäten auf den Höfen kennenlernen. Wir fragen uns: Wo ist der Geschmack geblieben? Der Geschmack ist bedroht durch die agrarindustrielle Massenproduktion. Wir fragen auch nach den Produktionsbedingungen, denn wir wollen Verantwortung mittragen.“ Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf sagt: „Wenn es diese Agrarpolitik der letzten Jahrzehnte nicht gegeben hätte, dann würde es heute mehr Bäuerinnen und Bauern geben. Und an der Zerstörung bäuerlicher Betriebe verdienen Andere, wie etwa die Gentechnik-Industrie. Die neue Bewegung in der Bankenkrise zeigt uns, dass die Auseinandersetzung von der Straße übernommen wird. Da wird Druck von unten aufgebaut. Das muss uns in der Kampagne ,Meine Landwirtschaft’ auch gelingen.“ In der Debatte kritisiert ein Teilnehmer, dass es doch nicht das Ziel sein könne, in kleinste landwirtschaftliche Strukturen zurückzufallen. „Davon ist auch gar nicht die Rede“, erwidert Milchbäuerin und BDM-Mitglied Annelie Wehling. „Die Frage ist, wo wir hin wollen. Warum müssen wir erst die Fehler machen wie in den USA. Dort sind die Milchbetriebe viel größer und der Markt funktioniert überhaupt nicht. Jetzt wird dort überlegt, wie der Markt gesteuert werden kann.“ Eine Teilnehmerin empört sich darüber, dass in Osterhorn ein Betrieb auf 2.500 Milchkühe aufstocken will, und berichtet, dass sich dort bereits eine Bürgerbewegung dagegen entwickelt. Ein anderer Gast stellt fest, dass er in seiner Souveränität als Verbraucher eingeschränkt ist. Weder seien die Beschreibungen auf den Lebensmittelverpackungen ausreichend, noch darf er die Milch von seinem Nachbarn kaufen, wie es früher möglich war. Eine weitere Frage aus dem Publikum lautet: „Warum ist der Deutsche Bauernverband nicht dabei?“. Joachim Schoof, Moderator der Debatte, antwortet, dass der DBV zur Veranstaltung eingeladen war, aber offiziell keine Vertreter geschickt habe. Mit an Bord der Auftaktveranstaltung war der NABU, vertreten von Hermann Schulz, Landesvorsitzender Schleswig-Holstein. „Wir freuen uns, in dem Trägerbündnis der Kampagne zu sein.“ Für Bioland sprach Hans Möller, Landwirt und Vorstandsmitglied in Schleswig Holstein. „Wir arbeiten an der regionalen Wertschöpfung und die ist durch die Agrarpolitik gefährdet.“ Volker Kwade, 2. Vorsitzender von ProVieh, sagt: „Es muss uns gelingen, möglichst viel Bewusstsein über die Agrarpolitik in die breite Öffentlichkeit zu bringen. Es muss klar werden, dass wir alle in einem Boot sitzen.“ Eine erfolgreiche Bewusstseinsbildung für eine andere Agrarpolitik hängt maßgeblich von Menschen wie Jörg und Susanne Hauschildt und den vielen aktiven Helfern und Organisatoren vor Ort ab. Bäuerinnen und Bauern können noch bei „Bauer hält Hof“ mitmachen.         Berit Thomsen Kontakt: Tel: 030-28482437, bauerhaelthof@meine-landwirtschaft.de
01.11.2011
Von: Unabhängige Bauernstimme, Berit Thomsen