Ackerbau „zukunftsstabil“

Kommentar

Sie war gut gebaut, im besten Alter und voller Zuversicht, als sie sich, wohl überlegt und furchtlos, in die vermeintlich unendliche Tiefe fallen ließ. Es war ihr wohl zu heiß geworden auf der Kante meiner Kaffeetasse. In den nahe gelegenen großen, schwarzen Teich hinter ihr wollte sie nicht – auch nicht wenn oder gerade weil viele andere darin schon untergegangen waren! Voller Bewunderung und Interesse schaue ich zu und frage mich: Woher nimmt sie den MUT, das Andere, Ungewisse zu wagen? Woher weiß sie, dass sie dem immensen Gegenwind auf ihrem Weg so viel WIDERSTAND entgegen setzen kann, dass die Fallgeschwindigkeit abgebremst wird, sie sicher landet? Warum hat sie genau die RICHTIGE GRÖSSE? Ist nicht ZU KLEIN, um vom Wind weggetragen zu werden, nicht ZU GROSS, um beim Aufprall zu zerplatzen? Sie kennt ihre eigene STABILITÄT. Sie fällt auf die Füße ihrer VIELEN BEINE oder rappelt sich schnell wieder auf. Sie ist AKTIV und FLEXIBEL, kann sich, kaum unten angekommen, sofort wieder orientieren und auf die geänderten Bedingungen reagieren. Und doch ist sie nicht allein. Wie aber funktioniert die KOMMUNIKATION mit den vielen Artgenossen? Wie kann dieses riesige TEAM in dem großen Garten meines Ackers ein GEMEINSAMES ZIEL verfolgen, das allen INDIVIDUEN dazu verhilft, zu überleben? All diese Fragen stelle ich mir, während ich über den Rand meiner Kaffeetasse schaue, der Ameise zuschaue und von der Natur lerne! Zunächst ist es sicher die Vielseitigkeit in der Anlage des Betriebes, die den langfristigen Erfolg ausmacht. Die Bestellung, Pflege und Ernte einer vielfältigen Fruchtfolge ermöglicht einen gleichmäßigen Arbeitsaufwand über zehn Monate des Jahres, ohne gefürchtete Arbeitsspitzen, die nur durch Zukauf von Lohnunternehmen zu bewältigen sind. Die Verteilung des Risikos auf verschiedene Standbeine, bei mir möglichst viele Ackerfrüchte, gibt dem Betrieb Stabilität und Flexibilität für die Zukunft. Die einzelnen Aufgaben sollten in der Arbeitserledigung zu jeder Zeit des Jahres einen erträglichen Arbeitsaufwand für dauerhaft angestellte Arbeitskräfte bedeuten. Über die vielen Standbeine kann so ein festes Team über das ganze Jahr ein gemeinsames Ziel erreichen. Aus der „ganzzahligen“ Festlegung der Arbeitskräfte oder der Fruchtfolge ergibt sich eine optimale Betriebsgröße. Ein übermäßiges Wachstum über dieses Optimum hinaus ist nicht mehr sinnvoll! Durch weiteres Wachstum und fortschreitende Spezialisierung entstehen Arbeitsspitzen, die nur durch Fremdmechanisierung oder Lohnarbeit abgefangen werden können und langfristig den Bauern überflüssig machen. Um zum richtigen Zeitpunkt effektiv das Richtige tun zu können, bedarf es einer modernen präzisen Landtechnik. Keine Gigantomanie, gigantische Flächenleistungen und Produktionszahlen sind nötig, um jeweils einen Bruchteil des Betriebes zu einem Termin zu bearbeiten. Wenn der Betrieb als Ganzes verstanden wird, die verschiedenen Ansprüche der Ackerfrüchte sich ergänzen und sich deren individuelle Fähigkeiten unterstützen, sind wir auf dem Weg zu einem nachhaltigen, auch in Krisen stabilen Landwirtschaftssystem. Lasst uns dafür auch politisch kämpfen, viel zu oft verschwinden Geld und gute Ideen noch in schwarzen Teichen, einfach weil wir tun, was alle machen, nicht mutig genug sind, eigene Gedanken zu formulieren und neue Wege zu gehen. Von der mutigen Ameise über das Bodenleben, die Pflanze, moderne Technik, zufriedene Arbeitskräfte bis hin zu einem Bauern mit Zeit für einen Kaffee in der Hand wird so eine sozial- und naturverträgliche Brücke geschlagen, über die auch die Gesellschaft gern mitgeht, um gute regionale Lebensmittel zu erhalten. Lasst uns auf unseren Höfen täglich MIT der Natur arbeiten!
31.05.2017
Von: Jan Wittenberg, Ackerbauer und Mitglied des AbL-Bundesvorstands

Jan Wittenberg, Ackerbauer und Mitglied des AbL-Bundesvorstands