Exklusive Stadtrundfahrt!

Eindrücke und Gedanken von einem, der mit seinem Trakor nach Berlin zur Wir-haben-es-satt-Demo fuhr

Nach einigen organisatorischen und technischen Problemen bei den Vorbereitungen für unsere Berlinfahrt hat meine Motivation am Donnerstag Abend fast den Nullpunkt erreicht. Trotzdem starten wir Freitag Morgen, nachdem sich noch ein Kollege aus Hessen uns angeschlossen hat, unpünktlich um 4.45 Uhr mit 5 Traktoren auf unserem Hof hier im Landkreis Göttingen. Da wir aufgrund der begrenzten Geschwindigkeit immer wieder einen Kompromiss zwischen „schnellster Route“ (zum Teil gut ausgebaut aber weiter) oder „kürzester Route“ (zum Teil schlechter ausgebaut aber kürzer) finden müssen, erleben wir nach einigen Stunden Fahrt, die ländlichen Regionen Ostdeutschlands hautnah. Zukunft des ländlichen Raums? Hier sind uns die landwirtschaftlichen Strukturen, auf Grund von historischer Ereignissen, um einiges „voraus“. Aber man kann in einigen Dörfern teilweise recht deutlich erkennen, wo es hin führt, wenn die landwirtschaftliche Wertschöpfung nicht mehr bei den Menschen vor Ort bleibt. Ebenfalls fallen mir die zum Teil monotonen Landschaften und die nicht mehr vorhandene Vielfalt der Betriebe auf. Jetzt wird mir wieder bewusst wofür ich nach Berlin fahre und meine Motivation steigt. Um 20.30 Uhr kommen wir am Treffpunkt in Blankenfelde an und ich sehe die vielen Bäuerinnen und Bauern aus ganz Deutschland die nicht bereit sind, sich ihre Zukunft aus den Händen nehme zu lassen. Obwohl hundskaputt steigt auch meine Motivation wieder auf 100 Prozent, kurz was essen, dann eine Besprechung, jetzt müsste man eigentlich gleich ins Schlafquartier aber die meisten Kollegen trifft man doch eher selten und es gibt viel zu erzählen. Es geht los Samstag ist um 6 Uhr die Nacht vorbei, Frühstücken, die Fahrzeuge mit unseren Botschaften und Forderungen plakatieren und schnell noch die Gummistiefel von der letzten Kuhscheiße befreien. Ja, nachdem unsere Kollegen von WMES Gummistiefel als imageschädigend für “moderne Landwirte“ erklärt haben, trage ich aus Protest bei dieser Demo meine Gummistiefel, mit denen ich vorgestern noch unsere Kühe eingestreut habe. Sie sind warm und bequem und ich trage sie selbstbewusst und mit Stolz. Jetzt fahren wir in die Stadt und bringen unsere Botschaften und Forderungen unters Volk und zum Landwirtschaftsministerium. Ganz nebenbei erlebt man eine exklusive Stadtrundfahrt, hoch oben vom Schlepper aus und in gemächlichen Tempo kann man einiges von Berlin sehen. Dann geht es zur Kundgebung, ein emotionaler Höhepunkt ist es immer wieder, wenn wir alle mit den Treckern über den Potsdamer Platz, mitten durch die anderen teilnehmenden Menschen fahren. Hierbei fühlt man sich ein bisschen wie ein Held der von einer gewonnenen Schlacht heimkommt . Ich bin mir nicht sicher ob wir den Kampf gegen die Agrarindustrie und das Höfesterben schon gewonnen haben, ist aber auch egal, fühlt sich jedenfalls gut an. Nun die Abschlusskundgebung am Brandenburger Tor. Mit oder ohne Gummistiefel Wegen meiner Gummistiefel werde ich von auffallend vielen Menschen in ein Gespräch verwickelt, Bauern, Bürger und Medienleute. Scheinbar bin ich eindeutig einer freundlichen und kompetenten Berufsgruppe zuzuordnen. Letztendlich der Bühnenauftritt der Treckerfahrer, um weiteres Lob und Anerkennung zu kassieren. Klar wir haben viel auf uns genommen, um mit dem Trecker nach Berlin zu kommen, aber schließlich geht es um Landwirtschaft und damit um uns und unsere Zukunft. Ich hatte mir dieses mal vorgenommen, auf der Bühne das Mikrofon an mich zu reißen und auch mal den vielen anderen Teilnehmern „Danke“ zu sagen, denn ohne ihr kommen, wäre ich auch nicht hier. Dabei muss ich an unsere Kollegen mit den gelben Warnwesten vor dem Hauptbahnhof denken und frage mich mit welcher Motivation sie hier sind? Um als die “ richtigen“ Bäuerinnen und Bauern “ ohne Gummistiefel“ den Gegenpol zu einer landwirtschaftsfeindlichen Demonstration zu bilden, ohne politischen Forderungen, da es, außer uns ja scheinbar keine Probleme gibt ? Und um den Dialog mit den kritischen Menschen der WHES-Demo zu beginnen? Ich habe jedenfalls keine Gelbwesten auf unserer Demo gesehen. Scheinbar ist es mit dem Dialog nicht so weit her. Mich würde das nicht vom Sofa holen. Mit meiner Danksagung ist es jedenfalls nichts geworden da ich zu spät zur Bühne kam und diese rappelvoll war. Kein Wunder, den wir werden jedes Jahr mehr. Schade! Aber vielleicht klappt es nächstes Jahr. Um 16 Uhr zurück nach Blankenfelde und einen schönen langen Abend mit den verbliebenen Kollegen verbracht. Und jetzt zurück Sonntag 5.30 Uhr nach einer viel zu kurzen Nacht, aufstehen, frühstücken und los geht’s, bei ruhigem Winterwetter treten wir die Heimreise an. Angesichts der vielen engagierten und hoch motivierten jungen Menschen die ich in Blankenfelde gesehen habe, macht sich in mir eine große Zuversicht für eine bäuerliche Landwirtschaft breit und erste Anzeichen von Müdigkeit verschwinden. Um 18.30 Uhr kommen wir Zuhause an. Mit den Gedanken an ein unvergessliches Wochenende schlafe ich ein.
30.01.2017
Von: Lothar Goldmann

Zwischenstopp im Schnee