CETA: Bekannt wider Willen

Nicht-demokratisch und nicht-regional zahlen sich nicht aus

CETA? Bis Juli dieses Jahres führte das Handelsabkommen zwischen der EU und Kanada noch ein Dasein im Schatten. Die Scheinwerfer der Öffentlichkeit strahlten immer wieder auf TTIP, das geplante EU-USA-Abkommen, wohl bemerkt: strahlten. Denn mit einem ungewollten Geniestreich hat Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker CETA über Nacht zumindest zu deutlich mehr Berühmtheit verholfen, als er ankündigte, CETA sei ein „EU-only“-Vertrag. Das heißt, dieses Abkommen sollte vom EU-Handelsrat und vom EU-Parlament abgeschlossen werden, ohne die Mitgliedsstaaten befragen zu müssen. Dem entgegen stand eine zivilgesellschaftliche Gegenwehr und Öffentlichkeitsarbeit, aber auch ein Rechtsgutachten des Bundeswirtschaftsministeriums aus dem Jahr 2014. Demnach ist das geplante Freihandelsabkommen ein so genanntes „gemischtes Abkommen“. Das heißt, das Abkommen berührt Zuständigkeiten der Mitgliedsstaaten und deshalb müssen diese als weitere Vertragsparteien (gemischtes Abkommen) mit abstimmen. Juncker wollte diese Tatsache einfach übergehen, indem er CETA als reines Handelsabkommen deklarierte, demzufolge alle Aspekte (z. B. geistiges Eigentum, Arbeitschutz, Umweltschutz) nur unter Handelsaspekten zu betrachten seien. Aus Sicht der EU-Juristen wäre das Abkommen demnach ein Only-Vertrag, der ausschließlich den Handel beträfe und deshalb keiner Zustimmung nationaler Parlamente bedürfe. Diese Auslegung und der Ausschluss der Mitgliedsstaaten wurden von den Leitmedien bis hin zu regionalen Zeitungen ausführlich thematisiert und meist kritisiert. Daraufhin knickte die EU-Kommission ein und ließ Handelskommissarin Cecilia Malmström in einer Pressemeldung vom 5. Juli verkünden: „Angesichts der offenkundigen politischen Situation im Rat verstehen wir jedoch, dass das CETA als ‚gemischtes Abkommen’ vorgelegt werden muss, wenn eine rasche Unterzeichnung ermöglicht werden soll.“ An den Parlamenten vorbei Das mag als ein Erfolg gesehen werden, aber der nächste Fallstrick für die Demokratie ist bereits eingeleitet, diesmal vom EU-Handelsrat, der eine vorläufige Anwendung anordnen will. Dann soll der CETA-Vertrag – mit Ausnahme von nur wenigen Textteilen – mit der Zustimmung des EU-Parlamentes, aber ohne Zustimmung der Mitgliedsstaaten bereits vorläufig in Kraft treten. „Die nationalen Parlamente werden vor vollendete Tatsachen gestellt“, kommentiert Michael Efler von „Mehr Demokratie“ dieses Vorgehen. Für die vorläufige Anwendung gibt es keine Zeitbegrenzung. Das Provisorium könnte zum Dauerzustand werden, wenn sich die Ratifizierung in den Mitgliedsstaaten hinzieht. Deutschland als EU-Ratsmitglied begrüßt die vorläufige Anwendung. An dieser Stelle wird die Zwiespältigkeit von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel deutlich, der im EU-Handelsrat eine führende Position einnimmt. Erst hat er sich in der Öffentlichkeit noch dafür ins Zeug gelegt, dass es kein „EU-only“ geben dürfe. Nun befürwortet er ein vorläufiges In-Kraft-Treten – somit eine Entscheidung an den Köpfen der einzelnen Parlamente in den Mitgliedsstaaten vorbei. Gleichzeitig versucht er seine Partei auf eine Zustimmung zum Vertrag im Bundestag einzuschwören. Rind- und Schweinefleisch Unabhängig von diesem Prozedere verspricht CETA inhaltlich nichts Gutes für die Landwirtschaft und ist ein unsäglicher Anfang einer radikalen Marktöffnungsstrategie der EU-Handelspolitik. Bisher sind sensible Sektoren wie Fleisch und Milch in Europa noch vor billigen Importen geschützt. Aber mit CETA sollen beispielsweise zollfreie Importquoten von 50.000 Tonnen billigen Rindfleischs aus Kanada zugelassen werden, das entspricht rund 0,6 Prozent der europäischen Rindfleischproduktion. Mit TTIP – die amerikanische Fleischlobby hat ein großes Interesse am EU-Markt – werden sich die Rindfleischimporte nochmals drastisch erhöhen und auf die bisherigen CETA-Importe aufgeschlagen werden. Die EU verhandelt aber noch weitere bilaterale Handelsabkommen, u. a. mit Mercosur, einer Ländergruppe in Südamerika, der u. a. Brasilien und Argentinien angehören. Die dortige Fleischindustrie wünscht sich eine Importquote in die EU von 150.000 Tonnen jährlich und hält die zeitweilig von der EU vorgeschlagenen 78.000 Tonnen für unzureichend. „Die Importmengen nach Europa summieren sich bedenklich“, sagt Gertraud Gafus, AbL-Bundesvorsitzende. „Es macht einfach keinen Sinn und erzeugt hohe externe Kosten, Fleisch über den Atlantik zu transportieren, das in Europa ja auch erzeugt wird. Lediglich die Fleischindustrie profitiert davon.“ Auch im Schweinesektor lauern massive Exportinteressen in Richtung Europa. Während sich in Deutschland der Schweinepreis aktuell wieder etwas erholt und 1,66 Euro je Kilogramm erreicht, entwickelt sich die Schweinefleischproduktion in den USA hin zu rekordverdächtigen Höhen und soll nach Schätzungen des US-Landwirtschaftsministeriums dieses Jahr um 1,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr steigen. Übermengen drücken auch dort auf die Schlachtschweinepreise, die von 1,29 Euro/kg im Jahr 2015 in diesem Jahr auf 1,24 Euro/kg gefallen sind. Geografische Spezialitäten Aber auch Qualitäten wie etwa der Schutz regionaler Erzeugung werden durch ein CETA-Abkommen geopfert. Dafür ist in Europa das Siegel „Geografische Herkunftsangaben“ etabliert worden. Das heißt, Produktionsschritte müssen in einer Region erfolgen, damit Produkte dieses Siegel erhalten. In Europa sind 1.308 Lebensmittel, 2.883 Weine und 332 Spirituosen mit Geografischen Herkunftsangaben geschützt. Im CETA-Vertrag sind für Europa gerade mal 173 Produkte mit Geografischen Herkunftsangaben geschützt, davon 14 Produkte aus Deutschland. Für Kanada ist eigens eine Tabelle aufgeführt, die allerdings leer ist, denn dieses System des regionalen Schutzes gibt es in Kanada nicht – und in den USA ebenfalls nicht. Dort wird Käse unter dem Namen Parmesan verkauft, auch wenn er komplett in den USA erzeugt wird. Die Milchindustrie in den USA würde es zudem gerne sehen, wenn sie solche Produkte künftig auch in Europa absetzen könnte. In Kanada bleibt selbst der Schutz der aufgelisteten Produkte fraglich, zu denen etwa der Schwarzwälder Schinken oder das Münchener Bier gehören. Denn die Verwendung der Bezeichnungen in englischer oder französischer Übersetzung durch kanadische Produzenten ist weiterhin zugelassen. Nach Aussage der Europäischen Kommission konnte ein weiterreichender Schutz für die englischen und französischen Übersetzungen dieser Herkunftsangaben nicht erreicht werden. Spätere Änderungen schwierig Zwar kann die Liste der Geografischen Herkunftsangaben auch nach Abschluss des Vertrages erweitert werden, allerdings nur mit der Zustimmung von Kanada. Denn diese Fragen sollen mit CETA im „Joint Committee" behandelt und entschieden werden. Das ist der so genannte Hauptausschuss der Regulierungszusammenarbeit und in diesem Ausschuss werden Konzerne mit einbezogen, aber das Mitspracherecht der Parlamente in Europa ist nicht zwingend notwendig. Die Geografischen Herkunftsangaben stehen auch in anderen geplanten Freihandelsabkommen zur Disposition. Statt die Geografischen Herkunftsangaben durch CETA, TTIP und Co. zu schwächen, sollte dieses System in Europa erhalten, gestärkt und qualitativ verbessert werden. Wie geht’s weiter? Als erstes muss der EU-Handelsrat über CETA abstimmen. Die Position der Bundesrepublik im Handelsrat wird auf dem SPD-Konvent am 19. September und in den anschließenden Beratungen des Bundestages und der Koalitionsfraktionen festgelegt werden. Das alles wird für den Herbst dieses Jahres erwartet, nur wenige Tage nach dem 17. September, wenn in sieben Städten in Deutschland unter dem Motto „CETA & TTIP stoppen – Für einen gerechten Welthandel!“ demonstriert wird. Auf zur Demo!
29.08.2016
Von: Bertit Thomsen, AbL - internationale Agrarpolitik

Demo in Hannover Foto: Adam Wolf