Eigene Märkte erschließen

Kommentar

Man brauchte kein Hellseher zu sein, um zu prophezeien, dass nach dem Ende der Milchquote die Milchpreise fallen würden. Viele Betriebe hatten ihre Ställe in den Jahren zuvor schon auf Zuwachs gebaut und fieberten dem Ende der ungeliebten Mengenbegrenzung entgegen, um den Stall endlich voll zu machen. Den Strukturwandel, den die Milchviehbetriebe seit ein paar Jahren verstärkt vorantreiben, kennen die Schweinehalter bereits aus den neunziger Jahren. Betriebe mit Sauenhaltung haben sich seitdem mit Beständen von 300 Sauen spezialisiert. Die Folge dieser Entwicklung ist, dass das Angebot an Ferkeln die Nachfrage überschreitet, und die Erlöse nicht zur Entlohnung von Arbeit und Kapital reichen. Ähnliche Entwicklungen sind auch in der Schweinemast zu beobachten. Es ist schon bemerkenswert mit wie viel Risikobereitschaft und Arbeitsbelastung diese Familien ihre Betriebe ausrichten. Ein Hamsterrad, das sich immer schneller drehen muss, und das nicht wenige Betriebsleiterfamilien an die Grenzen der Belastbarkeit bringt.
Aktuelle Betriebszweigauswertungen deuten darauf hin, dass die Einkommen der Futterbau- und Veredelungsbetriebe das sehr schwache Ergebnis des letzten Wirtschaftsjahres um 20% verfehlen und nur noch bei ca. 25.000 Euro liegen werden. Wohlgemerkt muss diese Summe meist für die ganze Familie reichen. Selbst Bauernverband, Bundeslandwirtschaftsministerium und sogar Agrarkommissar Hogan können die Krise nicht mehr leugnen und erzählen jeden Tag von den noch zu erschließenden Exportmärkten. Wenn die Russen nur ihr Embargo zurücknähmen, wäre schon der größte Druck weg.
Mal auf die andere Seite der Preisfindung, nämlich auf das Angebot, zu schauen, wird vom Bauernverband vehement abgelehnt. Das würde nicht zur Exportstrategie passen, weil wir internationale Märkte nur besetzen können, wenn wir billiger sind als unsere Mitbewerber. Zukünftig hoffen die Amerikaner auf einen erfolgreichen Abschluss von TTIP, weil sie den europäischen Markt günstiger beliefern können als die hiesigen Bauern. Statt dies zu thematisieren wirft der Bauernverband Nebelkerzen und sucht alle Schuld bei den grünen Landwirtschaftsministern. Und wie sieht es bei unserem nachgelagerten Bereich aus? Jahrelang wurde uns erzählt, dass wir große Strukturen bei Molkereien und Schlachtbetrieben brauchen, damit diese konkurrenzfähig am Markt agieren können und den Bauern vernünftige Preise zahlen. Die Realität sieht leider ganz anders aus. Im Schweinefleischsektor haben fünf Betriebe mittlerweile über zwei Drittel Marktanteil und nutzen jede Gelegenheit die Einkaufspreise zu drücken. Da es Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt schwer fällt, sich eine eigene Meinung zu bilden und Ideen zu entwickeln, liegt es an uns Bauern, Märkte zu erschließen, die uns eine vernünftige Arbeitsentlohnung sichern. Das ist bestimmt kein einfacher Weg. Auch die Art und Weise wie in Deutschland Landwirtschaft betrieben wird, steht für die Verbraucher und Medien stärker im Fokus als je zuvor. Der Lebensmittelhandel hat diese Entwicklung im Blick, versucht sich in Produktdifferenzierung, aber das Wohl der Bauern hat dabei selten Priorität. Bäuerinnen und Bauern müssen selbstbewusst für auskömmliche Preise streiten, weil es sonst keiner für sie macht. Die Marktchancen für höherwertige Erzeugnisse sind in jedem Fall gegeben, sie sind eine echte Alternative zu den nicht kalkulierbaren internationalen Märkten.
01.04.2016
Von: Martin Schulz, Bundesvorsitzender der AbL

Martin Schulz