Mehr Rückgrat zeigen

Aktuell wurde in Brüssel mit der so genannten Opt-out-Regelung beschlossen, den EU-Mitgliedsstaaten „mehr“ Möglichkeiten einzuräumen, den Gentechnikanbau auf ihrem Gebiet zu verbieten. Derzeit haben europäische Bäuerinnen und Bauern einen großen Wettbewerbsvorteil: gentechnikfreie Erzeugung. Ob die neue EU-Regelung dazu beiträgt, den Status der gentechnikfreien Erzeugung zu schützen oder ob sie die Tür für den Gentechnikanbau öffnet, darf nicht der Kommission und den Konzernen überlassen werden. Die Bundesregierung, die maßgeblich über die neuen EU-Regelungen mitbestimmt hat, muss diese nun in ein nationales Gesetz gießen, um GV-Pflanzen zu verbieten. Genau das haben die MinisterInnen Schmidt und Hendricks im Vorfeld immer wieder versprochen. Aber anstatt selbst Verantwortung zu übernehmen und alle Ressourcen der zuständigen Ministerien (Recht, Verbraucherschutz, Landwirtschaft, Umwelt, Gesundheit, Forschung) zu bündeln und die Rahmenvorgaben der EU rechtssicher und zum Schutz der gentechnikfreien Landwirtschaft und Lebensmittelerzeugung umzusetzen, will Bundeslandwirtschaftsminister Schmidt diese Aufgabe auf die Bundesländer abwälzen. Das darf nicht sein, denn schnell könnte dieses Vorgehen in einem Flickenteppich mit unterschiedlichen Gentechnikanbau-Situationen enden. Ein Bundesland verbietet GV-Raps, ein anderes herbizidresistente GV-Pflanzen, und beide haben vielleicht ein Nachbarland, das jeden Anbau erlaubt! Wer soll da noch durchblicken? Wo bekomme ich mein Saatgut her? Wohin kann ich meine Ernte noch verkaufen? Wie werden Lebensmittel verarbeitende Unternehmen und der Handel künftig ihren gentechnikfreien Rohstoffbezug sichern? Und wer bleibt auf den Kosten sitzen? Und welches Bundesland – mit Verlaub – hat die finanziellen und personellen Ressourcen, um rechtssichere Verbote zu erlassen und sich mit den abzusehenden Konzernklagen auseinanderzusetzen? Soll es 16 unterschiedliche Rechtsprechungen geben, bis der EuGH geklärt hat, ob die einzelnen Anbauverbote Bestand haben? Mit uns nicht! Jetzt sind alle diejenigen gefragt, die sich die Gentechnikfreiheit immer auf die Fahnen geschrieben haben: die Bundesländer – auch die, die sich dem Netzwerk der Gentechnikfreien Regionen angeschlossen haben; die Politiker jeglicher Couleur, die wie Löwen um die Wahlfreiheit und den Schutz der gentechnikfreien Landwirtschaft und Umwelt kämpfen; Bayern, das langfristig nur gentechnikfrei bleiben kann, wenn ganz Deutschland gentechnikfrei ist. Auch alle anderen Bundesländer sind aufgefordert, nicht der Versuchung nachzugeben, nur das eigene Bundesland vor der Gentechnik zu schützen – sondern sich für bundeseinheitliche Anbauverbote, durch den Bund erteilt, einzusetzen. Die Agrarminister haben Ende März auf der Agrarministerkonferenz in Bad Homburg „die Notwendigkeit eines einheitlichen Vollzugs“ betont und gefordert, dass „Opt-out zentral von einer Bundesbehörde gesteuert und vollzogen“ werden soll. Es ist also an der Bundesregierung und an den zuständigen CSU-, CDU- und SPD-Ministerien, den Rahmen für bundesweite rechtssichere Verbote zu schaffen, die dann vom Bund erteilt werden – ohne sich auf Konzernabsprachen einzulassen! Die Bundesregierung darf CETA nicht unterzeichnen und muss TTIP stoppen, um Gentechnik nicht durch die Hintertür zuzulassen. Neue Züchtungstechnologien müssen streng geprüft und reguliert werden. Bei Gentechnikzulassungen auf europäischer Ebene muss die Bundesregierung konsequent mit „Nein“ stimmen – und dafür Mehrheiten organisieren. Denn das ist die größte Rechtssicherheit für die Mitgliedsstaaten und zugleich der sicherste Schutz unseres europäischen Wettbewerbsvorteils: Dass wir auch in Zukunft gentechnikfreie Lebensmittel erzeugen können. Also: Rückgrat zeigen und keine Ruhe geben.
05.05.2015
Von: Annemarie Volling, Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, Netzwerk gente